Pater Damian mit Simba (KAE, Foto 1.0601.1885.0025) (Bilder: © Kloster Einsiedeln)

Hintergrundbericht

Pater Damian und die Löwen

Man scheint weit weg zu sein von der schwar­zen Madonna, den Pil­ger­strö­men und der ein­drück­li­chen Barock­kir­che des Klos­ters Ein­sie­deln, wenn man das Natu­ra­li­en­ka­bi­nett betritt. Der ein wenig ver­steckte Raum ist voll von Kno­chen, Gesteins­pro­ben, Tier­prä­pa­ra­ten und aller­lei sons­ti­ger Kurio­si­tä­ten, alles sorg­fäl­tig beschrif­tet und sys­te­ma­tisch geordnet.

Der Benediktinermönch Bruder Oswald, der sich um das Naturalienkabinett kümmert, weiss so manche skurrile Geschichte über die Sammlung zu erzählen. So wunderten sich schon manche anatomiekundigen Besucherinnen und Besucher darüber, ob es sich beim menschlichen Skelett in der Sammlung nun um einen Mann oder eine Frau handelt. Schliesslich fand man heraus, dass die Firma, die in den Dreissigerjahren menschliche Skelette zu Studienzwecken verkaufte, es nicht so genau genommen und dieses Exemplar aus Knochen von Männern und Frauen zusammengesetzt hatte. Oder da ist das Delfinskelett, das ein lokaler Exzentriker, der einst mit lebenden Delfinen in einem Tank durch die Lande zog, dem Kloster als Leihgabe anvertraute. Die Mönche glauben kaum mehr, dass der später als Hochstapler entlarvte und polizeilich gesuchte Spender seine Leihgabe jemals zurückfordern wird. Doch die spannendste Geschichte mag sich hinter den beiden präparierten Löwen verbergen, die man heute noch hinter Glas bestaunen kann. Denn vor über hundert Jahren, als die beiden noch weniger starr und weitaus hungriger waren, lebten diese mitten im Kloster Einsiedeln. Eine kuriose Geschichte entfaltet sich hier, die eng mit der Person des bedeutsamen und charismatischen Mönches Prof. Dr. Pater Damian Buck zusammenhängt.

Anfänge eines exzentrischen Mönches
Wer ist dieser Benediktiner, den die Fotografien im Klosterarchiv nicht nur beim Unterrichten und Wandern und auf ernsten Gruppenfotos zeigen, sondern oftmals zusammen mit allerlei wilden Tieren wie Füchsen, Greifvögel, Affen und Löwen? Was für ein Mensch ist das, der da vor hundert Jahren mit einem jungen Löwen an der Leine nach Wädenswil spazierte, um sich dort in einem Fotogeschäft mit dem Löwen zusammen ablichten zu lassen? Die vielen voller Achtung formulierten Nachrufe geben einen lebendigen Einblick in das Wirken und die Persönlichkeit von Pater Damian Buck. Der 1871 geborene Sohn eines Gaswerkmeisters entdeckte früh seine Liebe zur Natur. Jahrzehnte später dachte er noch gerne an die Streifzüge auf den Spuren von Füchsen, Rehen und Hasen zurück, die er bereits als kleines Kind unternommen hatte. Als Jugendlicher kam er dann in die Stiftsschule Einsiedeln und legte 1893 zum Erstaunen vieler seiner Bekannten die Profess ab und wurde Benediktinermönch. Nach eingehenden theologischen Studien wurde er 1897 zum Priester geweiht und widmete sich danach weiteren nun naturwissenschaftlichen Studien. Diese zwei Bereiche, der Glaube und die Naturwissenschaft, würden ihn ein Leben lang prägen.
 


Ein engagierter Pater
Pater Damian wird durchwegs als energiegeladener, engagierter Mensch beschrieben, der sich in vielerlei Projekten verwirklichte. Er war mit Leidenschaft Lehrer in Naturkunde, der viel von seinen Schülern erwartete und sich zugleich stark für sie einsetzte. Die manchmal aufbrausende, direkte Art des keineswegs pflegeleichten und angepassten Paters war berüchtigt. Aber dennoch blieb vor allem seine Herzlichkeit in Erinnerung, mit der er auf Menschen zuging, und mit welchem Herzblut er sich Projekten widmete. Mit seinen Schülern machte er weite Wanderungen. Er durchforstete die ganze Schweiz nach Ausstellungsstücken für das Naturalienkabinett im Kloster, das er massgeblich bereicherte. Er züchtete Pferde, dirigierte die Blaskapelle, fotografierte und inszenierte Theaterstücke mit seinen Schülern. Dazu schrieb er eine Vielzahl von Artikeln und unterhielt eine weite Korrespondenz mit Vertretern aus der Naturwissenschaft. Zudem gründete er bereits 1908, also noch vor der Gründung des «Schweizerische Bund für Naturschutz» (seit 1997 «Pro Natura»), die «Schwyzerische Naturschutzkommission». Auf diesem Wege kommen wir dem Geheimnis der beiden Löwen im Kloster allmählich näher.
 


Die Löwen von Einsiedeln
Pater Damian war ein Vorreiter des Tier- und Naturschutzes. Er setzte sich zeitlebens vehement für den Schweizer Naturschutz ein und versuchte schon früh, Naturschutzgebiete zu etablieren. Eines seiner Projekte, um die Liebe zur Tierwelt zu vermitteln, war die Anlegung eines Tierparks im Kloster, in dem Wölfe, Greifvögel, Adler, Äffchen und eben auch Löwen gehalten wurden. Das mag uns heute erstaunen, aber vor hundert Jahren war dies der innovative Versuch, den Menschen Ehrfurcht und Faszination vor Gottes Schöpfung zu vermitteln. Der erste Löwe, Simba, war ein Geschenk eines ehemaligen Schülers, den es in die Benediktinermission nach Afrika verschlagen hatte. Er schenkte seinem geschätzten Naturkundelehrer den jungen Löwen, der fortan mit den Mönchen in Einsiedeln lebte und wie gesagt von Pater Damian an der Leine durchs Dorf spazieren geführt wurde. Schliesslich konnte er einem Wanderzirkus noch eine Löwin, Bassa genannt, abluchsen. So entstand im Kloster Einsiedler erstaunlicherweise eine Löwenzucht. Das Stammelternpaar können wir noch heute im Naturalienkabinett bewundern. Ein ehemaliger Schüler erinnert sich in einem Nachruf an den Pater, der mit Eimern voll Fleisch durch die Klostergänge stapfte, um die Löwen zu füttern. Unwillkürlich denkt man an den heiligen Hieronymus, der der Legende nach einen zahmen Löwen in seinem Kloster hielt. Nur waren die Löwen von Pater Damian, bis auf Simba, keineswegs so zahm und das exzentrische Projekt nahm ein Ende, nachdem einer der Löwen einen Mitbruder angefallen und ihm die Kutte zerfetzt hatte. Der Bruder kam mit einem Schrecken davon, doch die Löwen wurden dennoch eingeschläfert und erinnern jetzt als Präparate im Naturalienkabinett an eine skurrile Episode und eine beeindruckende Persönlichkeit aus der reichen Geschichte des Klosters Einsiedeln.
 


Silvan Beer

Silvan Beer studiert gegenwärtig Theologie und Philosophie in Freiburg i. Ü.


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