Nationalratssaal während einer Session. (Bild: parlament.ch via Wikimedia Commons)

Hintergrundbericht

Poli­ti­sche Meta­sta­sen einer Pseudo-​Studie

Nach der Prä­sen­ta­tion der Pilot­stu­die zu sexu­el­lem Miss­brauch schwappte ein Medien-​Tsunami über die ganze Schweiz. Ihm folgte eine Flut von Vor­stös­sen im eid­ge­nös­si­schen Par­la­ment: alle­samt an die fal­sche Adresse, denn der Bun­des­rat ist für das Ver­hält­nis von Kir­che und Staat gar nicht zuständig.

Die Geschäftsdatenbank Curia Vista von National- und Ständerat fördert Erstaunliches zutage: Sage und schreibe 17 (in Worten: siebzehn) parlamentarische Vorstösse forderten kurz nach der öffentlichen Präsentation der «Pilotstudie zu sexuellen Missbräuchen im Umfeld der katholischen Kirche den Bundesrat ultimativ auf, den in eben dieser Pilotstudie behaupteten, aber nicht belegten 1002 Missbrauchsfälle auf den Grund zu gehen und drastische Massnahmen zu ergreifen, um solche in Zukunft rigoros zu unterbinden. Von der einfachen Anfrage über die Interpellation bis zur Motion wurde das ganze parlamentarische Arsenal in Anspruch genommen, um diesem Übel auf den Leib zu rücken.

Klar, dass all diese Vorstösse noch vor dem 22. Oktober 2023, dem Tag der eidgenössischen Parlamentswahlen, eingereicht werden mussten. Zu gross war die Versuchung, im Gefolge der zuvor von den Medien platt gewalzten Katholischen Kirche auch noch politisch nachzutreten und so beim dergestalt präparierten Wahlvolk zu punkten.

Waren es schiere Ignoranz, Profilierungssucht, überkommene antikatholische Ressentiments oder vielmehr ein Gemisch von alledem? Was jede mit der Materie auch nur halbwegs vertraute Person längst hätte klar sein müssen: Dem Bundesrat blieb nichts anderes übrig, als diesen 17 Damen und Herren grossmehrheitlich die rote Karte zu zeigen. Zwar zeigte sich der Bundesrat vom Ausmass des sexuellen Missbrauchs betroffen und erwartete von der Katholischen Kirche eine «rasche und gründliche Aufarbeitung und effektive Missbrauchsbekämpfung». Im gleichen Atemzug musste er jedoch darauf hinweisen, dass nicht er, der Bundesrat, sondern die Kantone für die Regelung des Verhältnisses von Kirche und Staat zuständig sind (vgl. Art. 72 Abs. 1 Bundesverfassung).

Im Folgenden zunächst ein Blick auf die Partei-Provenienz dieser insgesamt 17 parlamentarischen Vorstösse:

Grüne Partei

6

Sozialdemokratische Partei

4

Grünliberale Partei

2

Die Mitte/EVP

2

Freisinnig-demokratische Partei

2

Schweizerische Volkspartei

1


Rote Karte
Besonders hervortaten sich im Rahmen dieses Emörungs-Defilées der Genfer Ständerat und notorische Anti-Katholik Carlo Sommaruga, der zuvor schon die Aufhebung des Beichtgeheimnisses gefordert hatte, sowie die Berner Nationalrätin Kathrin Bertschy, die ihrem antiklerikalen Furor gleich mit zwei Vorstössen Luft verschaffte.

Einen vergleichsweise peinlichen Auftritt legte der grüne Nationalrat Raphaël Mahaim hin, der die Errichtung eines von der Kirche unabhängigen staatlichen Entschädigungsfonds für die Opfer sexueller Missbräuche forderte. Er musste sich vom Bundesrat sagen lassen, dass solche Opfer bereits nach den einschlägigen Bestimmungen des geltenden Opferhilfegesetzes Anspruch auf eine Entschädigung und Genugtuung haben, unabhängig davon, wo und in welcher Institution sie missbraucht wurden (vgl. Antwort des Bundesrates vom 18. September 2023, parlamentarischer Vorstoss Nr. 23.7600).
Die grüne Nationalrätin Florence Brenzikofer wurmt ganz besonders, dass der Botschafter des Vatikans, der päpstliche Nuntius, als Doyen des Diplomatischen Korps fungiert. Auch in diesem Fall musste der Bundesrat die rote Karte zücken: Es ist Sache des in der Schweiz akkreditierten diplomatischen Korps selbst, seinen Doyen zu wählen. Im Zuge der 1920 erfolgten Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen der Schweiz und dem Heiligen Stuhl übergab der französische Botschafter als damaliger Doyen diese Funktion einvernehmlich dem päpstlichen Nuntius. Mit Beschluss vom 24. Februar 1953 hat der Bundesrat diese Praxis formalisiert (vgl. Antwort des Bundesrates vom 15. September 2023, parlamentarischer Vorstoss Nr. 23.7555).

Von wegen Ballettschulen
Immerhin: In einzelnen Vorstössen wird verlangt, dass neben der Ächtung sexueller Missbräuche in der Katholischen Kirche auch analoge Vorgänge in Sportvereinen und im «Ausbildungsbereich von Ballettschulen» bekämpft werden müssten. Doch gerade ein jüngst publik gewordenes Beispiel aus der Ballett-Szene zeigt, wie sich Verhalten und Handlungen zwischen «Opfer» und «Täter» fast unentwirrbar verzahnen können und eine klare Grenzziehung zwischen dem Angeklagten- und Beschuldigten-Status oft schwierig ist. Wie der «Tages-Anzeiger» am 21. September 2023 berichtete, hat das Zürcher Bezirksgericht einen bekannten Ballettlehrer und Choreografen freigesprochen. Ihm hatte eine Ballett-Schülerin acht Monate nach der angeblichen Tat vorgeworfen, sie in einer Villa in der Toskana vergewaltigt zu haben: Dies im Rahmen eines Trainingslagers, an dem der Angeschuldigte als einziger Mann zusammen mit zwölf Frauen teilgenommen hatte. Der Angeklagte bestritt den Sex mit der Klägerin nicht, machte jedoch geltend, dieser sei einvernehmlich erfolgt. Als Beleg für seine Aussage konnte er Fotos beibringen, die in den Tagen nach der behaupteten Vergewaltigung gemacht wurden. Darauf stellte die Ballett-Truppe eine Sexorgie nach, mit dem Lehrer und der Klägerin als Hauptdarsteller. Hinzu kamen Whatsapp-Nachrichten, in denen die Klägerin den Wunsch äusserte, in Zukunft gerne wieder an einem solchen Trainingslager teilnehmen zu können. Niemand wird ernsthaft bestreiten wollen, dass analog solche Konstellationen auch im kirchlichen Umfeld stattfinden. Mutmasslich gilt dies auch für einen Teil der in der Pilotstudie behaupteten 1002 sexuellen Missbrauchsfälle.

Heute unvorstellbar
Als materiell aussagekräftigster parlamentarischer Vorstoss erweist sich die Interpellation der Ex-Nationalrätin Doris Fiala. Sie wollte vom Bundesrat wissen, wie es sich mit den gesetzlichen Grundlagen bezüglich des sexuellen Missbrauchs von Kindern verhielt und wie staatliche Behörden auf die ihnen zu Ohren gekommenen Meldungen über sexueller Missbräuche reagiert haben. Die Antwort des Bundesrates ist überaus aufschlussreich und erhellend (vgl. Stellungnahme des Bundesrates vom 15. November 2023, parlamentarischer Vorstoss Nr. 23.4002).

Mit der umfassenden Reform des Sexualstrafrechts aus dem Jahre 1992, so die beschönigende Formulierung des Bundesrates, sei das strafbare Verhalten «konsequent am Rechtsgüterschutz» ausgerichtet und «bloss moralwidrige Verhaltensweisen nicht mehr als strafbar erklärt worden». Fragt sich nur, welche Rechtsgüter da geschützt wurden: Im Fokus stand primär der Täterschutz bzw. dessen Resozialisierung. Tatsächlich fand in dieser umfassenden Revision des Sexualstrafrechts die libertäre 68er-Ideologie sozusagen wie eine Granate mit Spätzünder ihren Niederschlag: Dies hatte u. a. zur Folge, dass die allgemein gültige Verjährungsfrist von zehn Jahren für sexuelle Handlungen an Kindern auf fünf Jahre halbiert wurde! Heute unvorstellbar. Die Folgen dieses permissiven Sexualstrafrechts liessen nicht lange auf sich warten (Stichwort «Mord am Zollikerberg»). Der Wind drehte: Die Verjährungsfristen wurden sukzessive dreimal erhöht. Aufgrund einer Volksinitiative sind heute Sexualdelikte an Kindern unter 12 Jahren gemäss Art. 101 Strafgesetzbuch unverjährbar.

Es darf in diesem Kontext erwähnt werden, dass gerade in Deutschland die Grünen in mehreren parlamentarischen Vorstössen Straffreiheit für Sex mit Kindern gefordert hatten. Und es war gewiss nicht zufälligerweise die sozial-liberale Regierung Brandt, die im Jahre 1973 per Gesetz den Kindsmissbrauch vom schweren Verbrechen zum leichten Vergehen herabstufte. Vor diesem Hintergrund sind gerade die Grünen inkl. Grünliberale zuletzt legitimiert, eine strikte Ahndung von Sexualdelikten an Kindern in der Katholischen Kirche einzufordern. Aber wie so oft im Leben. Es ist der Brandstifter, der am lautesten nach der Feuerwehr ruft.

Wollte man das Bergoglio-Misericordia-Prinzip bis zum Geht-nicht-mehr ausreizen, könnte man für diese profilierungssüchtigen parlamentarischen Vorstösse an die falsche Adresse allenfalls mildernde Umstände gelten lassen. Mildernde Umstände, weil Sobli-«Wirtschaftsredaktor» Raphael Rauch kurz zuvor eine falsche Fährte gelegt hatte. In völliger Ignoranz der Schweizer Rechtsordnung forderte er in der Ausgabe vom 10. September 2023 Bundespräsident Berset, dem er den Titel «Religionsminister» andichtete, ultimativ zum Eingreifen auf. An seinem Desinformationsjournalismus hält der deutsche Rauch in echt kohlhascher Manier fest: In der neuesten Ausgabe des SoBli erwähnt er kantonale Staatsanwaltschaften, die Vorwürfen gegen mehrere Priester und Bischöfe nachgehen. Die Tatsache, dass der Generalstaatsanwalt des Kantons Freiburg jüngst die Strafverfahren gegen alle vier Freiburger Bischöfe infolge strafrechtlicher Irrelevanz einstellte, schweigt er tot.


Niklaus Herzog
swiss-cath.ch

E-Mail

Lic. iur. et theol. Niklaus Herzog studierte Theologie und Jurisprudenz in Freiburg i. Ü., Münster und Rom.


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