Es war eine Zeit der Aufbrüche: Das Zweite Vatikanische Konzil (1962–1965) ermutigte die Laien in ihrer Sendung, Sauerteig in der Welt zu sein, als selbstbewusste Glieder der einen Kirche in weltlichen Fragen mitzureden und die christlichen Werte einzubringen. Auch die Bischöfe als Nachfolger der Apostel wollten «in die Welt hineinwirken», wie es damals hiess; in den «Fragen der Zeit» als Christen mitsprechen. Nicht selten erwiesen sich diese Hoffnungen als trügerisch: Als Aufbrüche drapierte Vorstösse und Entwicklungen mündeten schon bald in veritable Zusammenbrüche. Der Konzilspapst Paul VI. stellte 1972 ernüchtert fest: Er habe das Gefühl, dass durch irgendeinen Spalt der Rauch Satans in den Tempel Gottes eingedrungen sei. «Es gibt Zweifel, Unsicherheit, Unruhe, Unzufriedenheit, Konfrontation.» Und weiter: «Der Zweifel ist in unser Gewissen eingedrungen, und zwar durch Fenster, die stattdessen für das Licht geöffnet werden sollten.» Ob Papst Paul VI. mit diesen Sätzen auf die ein Jahr zuvor, im März 1971 in Rom gegründete Versammlung des «Rats der europäischen Bischofskonferenzen» (Consilium Conferentiarum Episcoporum Europae, kurz CCEE) angespielt hat? Wohl kaum, obwohl der Sitz des Generalsekretariates der CCEE (seit 1977 in St. Gallen) wie auch die nachmalige Kirchenpolitik führender Repräsentanten der CCEE solche Vermutungen nicht als abwegig erscheinen lassen.
Ursprüngliches Ziel der CCEE war es, die Zusammenarbeit der katholischen Bischöfe auf dem Kontinent zu fördern – zu einer Zeit, als der Eiserne Vorhang noch sehr eisern und der Kalte Krieg noch sehr kalt war. Eine schwere Aufgabe für den Gründungsvorsitzenden, Erzbischof Roger Etchegaray von Marseille.
Die Sprachen innerhalb Europas sind vielfältig, die Kommunikation durch den Eisernen Vorhang war schwierig und die politischen und sozialen Realitäten zwischen Ost und West waren äusserst unterschiedlich. In Westeuropa griff die Säkularisierung immer mehr um sich, im Osten herrschte eine Unterdrückung der Kirche. Das Zeitalter der Volkskirche ging bereits ihrem Ende entgegen; die Gestaltungskraft der Kirche schwand dramatisch.
Dazu kam als eine Art interne «Konkurrenz» die EU-Bischofskommission COMECE. Sie entstand 1980, ein Jahr nach den ersten Direktwahlen des Europaparlaments. Das Sekretariat der COMECE ähnelt als Verbindungsstelle zur EU-Politik den Katholischen Büros in Deutschland: Kirchenvertreter halten Kontakt zu Parlamenten und Regierungen und versuchen, Politik im Sinne der kirchlichen Lehre mitzugestalten. Die politische Wende 1989/90, der Fall des Eisernen Vorhangs und die einsetzende EU-Osterweiterung (2004–2013) gaben eher der COMECE die Chance, vor Ort in Brüssel die europäische Integration in Sachfragen voranzutreiben.
Wichtige Erfolge erzielte hingegen der CCEE im Bereich von Ökumene und interreligiösem Dialog. Er kooperiert eng mit der evangelischen und orthodoxen Konferenz Europäischer Kirchen (KEK). Diese Zusammenarbeit führte zu bislang drei Europäischen Ökumenischen Versammlungen – 1989 in Basel, 1997 in Graz und 2007 in Sibiu (Hermannstadt) – sowie zu fünf katholisch-orthodoxen Foren. Ein gemeinsames Ökumenepapier ist die «Charta Oecumenica» von 2001.
Von 2001 bis 2006 war Bischof Amédée Grab von Chur Vorsitzender der CCEE. Aktuell ist es der Erzbischof von Vilnius und Vorsitzender der Litauischen Bischofskonferenz, Gintaras Linas Grušas (62) – nach dem ungarischen Primas Kardinal Péter Erdö (2006-2016) wieder ein Mittel-Ost-Europäer. Litauen bläst derzeit der Wind des Ukraine-Krieges und der europäischen Migrationskrise an der Grenze zu Belarus besonders scharf ins Gesicht.
Grušas zur Seite stehen zwei Stellvertreter: der serbische Belgrader Erzbischof und Vorsitzende der internationalen Bischofskonferenz der Heiligen Kyrill und Method (CEICEM), Laszlo Nemet (67), ein Vertreter der slawischen Kirchentradition; und der Luxemburger Jesuit und Kardinal Jean-Claude Hollerich (65). Er ist nicht nur ein Ordensbruder und Vertrauensmann von Papst Franziskus, sondern auch ehemaliger COMECE-Vorsitzender. Er soll für die notwendige Verzahnung mit der «Konkurrenz-Organisation» in Brüssel sorgen.
Dem CCEE gehören derzeit 39 Mitglieder an: 33 Bischofskonferenzen von Portugal bis Russland, dazu der Apostolische Administrator von Estland sowie Vertreter aus dem Erzbistum Luxemburg, dem Fürstentum Monaco, aus Moldawien, Zypern und der Ukraine. Repräsentiert wird der Rat von einem gewählten Präsidenten und zwei Stellvertretern. Diese 39 Mitglieder repräsentieren gemeinsam die Katholische Kirche in 45 europäischen Ländern. Sitz des CCEE-Generalsekretariats war seit 1977 St. Gallen. Dies ist kein Zufall. Treibende Kräfte bei der Gründung und kirchenpolitischen Ausrichtung des CCEE waren der spätere St. Galler Bischof Ivo, Fürer (von 1977 bis 1995 Generalsekretär des CCEE) sowie der Mailänder Kardinal Carlo Martini. Beide verstanden den CCEE als eine Art Gegengewicht zu «Rom», insbesondere zum Pontifikat von Johannes Paul II. Die sogenannte «St. Galler Gruppe» – von einem ihrer Mitglieder, dem belgischen Kardinal Godfried Danneels, selbst als «St. Galler Mafia» bezeichnet – setzte sich aus Kirchenvertretern zusammen, die sich im Rahmen der Zusammenkünfte des CCEE kennengelernt hatten. Eben diese St. Galler-Gruppe, zu denen auch Fürer und Martini gehörten, war bestrebt, nach dem Tod von Papst Johannes Paul II. einen Kandidaten nach ihren Vorstellungen zur Papstwahl zu verhelfen. Ihr erster Versuch scheiterte. Beim zweiten Versuch war ihr Kandidat erfolgreich. Sein Name: Jorge Mario Bergoglio, der heutige Papst Franziskus.
Nun zieht der CCEE nach Rom. Dies hatten die Vorsitzenden der Bischofskonferenzen Europas im November 2023 bei ihrer Vollversammlung in Valletta auf Malta beschlossen.
Am Mittwoch, 20. März 2024, ist der offizielle Umzugstermin. Damit einhergehen soll eine deutliche Aufwertung dieser bislang eher unscheinbaren Institution. Erklärtes Ziel: der Kirche in Europa eine gemeinsame Stimme zu geben. Bitter nötig wäre es, denn die unbedachten, geschichtsblinden und realitätsfremden Äusserungen des Papstes gerade der jüngsten Zeit wirken kontraproduktiv, schaffen Zwietracht und reissen Gräben auf. Ob der CCEE den Mut aufbringen wird, den Papst zur überfälligen Kurskorrektur zu bewegen? Klar ist: Es herrscht wieder Krieg im Osten; in vielen Ländern drohen Stimmungen hin zum Schlechten zu kippen. Stimmen, die den Frieden fördern, werden dringend gebraucht.
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