(Bilder: © Siloam Productions)

Neuerscheinungen

«Real Life» – In der Hoff­nung sterben

Phil­ipp Micken­be­cker, ein bekann­ter Youtube-​Star, erkrankte gut zwan­zig Jahre alt zum drit­ten Mal an Krebs. Im Glau­ben an Gott und umge­ben von Freun­den geht er sei­nen Weg – beglei­tet von der Kamera.

Philipp Mickenbecker ein Grenzgänger. Er fliegt in einer Badewanne zum Bäcker, taucht in einem selbst gebauten U-Boot in einen See, baut sich eine Wasserrutsche in den Garten und eine Achterbahn in den Baumarkt. Gut zwanzig Jahre alt wird er mit seinen «Real Life Guys» zum YouTube-Star. Dann erkrankt er zum dritten Mal an Krebs. Philipp inspiriert eine ganze Generation durch seine Youtube-Videos, dem offenen Umgang mit seiner Krankheit, seine Hoffnung und seinen Glauben an Gott.

Emmy-Preisträger Lukas Augustin und Alexander Zehrer begleiten Philipp die letzten drei Monate seines Lebens. Hautnah erleben die Zuschauer, wie Phillips Freunde für ihn kochen, ihn pflegen und mit ihm auf zwei grosse Reisen gehen. Wie soll man mit so einem grossen Leid umgehen? Kann es einen Gott geben, der so etwas zulässt und welchen Sinn hat das Ganze? Philipp hält bis in die letzte Sekunde an seinem Glauben fest und findet für seine Freunde nichts als ermutigende Worte und ein ergreifendes Lächeln.

Ein zutiefst bewegender Film über das Hoffen und Warten auf ein Wunder, über den Umgang mit der eigenen Endlichkeit, in einer Lebensphase, in der man über den Tod eigentlich nicht nachdenken möchte. Und über einen Freundeskreis, der sich diesen Herausforderungen gemeinsam stellt.

«swiss-cath.ch» hatte die Möglichkeit, mit dem Produzenten des Films, Andrea di Meglio, ein Interview zu führen.

Wie entstand die Idee zu diesem Film?
Andrea di Meglio*: Es begann im Jahr 2020 mit einem inneren Impuls in einem stillen Moment mit Gott: «Begleite eine Person, die eine unheilbare Krankheit diagnostiziert bekam, die an Gott glaubt, ihre Hoffnung auf Gott setzt und ihn mit ganzem Herzen sucht, ohne zu wissen, wie der Verlauf der Krankheit ausgehen wird.» Dieser Impuls legte für mich den Grundstein, ein Team für ein neues Filmprojekt zusammenzustellen. Es sollte sich um einen Film handeln, der aufzeigt, wie ein Mensch im Leid immer wieder durch die Hilfe Gottes Hoffnung schöpft. Ich fragte Lukas Augustin, den ich ein paar Jahren zuvor an einer Konferenz kennengelernt hatte, ob er Teil dieses Projektes sein möchte. Er sagte zu und brachte seinen Freund Alexander Zehrer mit ins Team. Bei einem ersten im November 2020 stattfindenden Video-Call tauschten wir uns darüber aus, wie das Profil solch einer Person aussehen könnte, die wir dokumentarisch begleiten möchten und ob es jemanden gäbe, den wir kennen. Alex erzählte uns die Geschichte von Philipp Mickenbecker. Lukas hatte von ihm gehört, ich aber kannte ihn nicht. Ich habe mich dann mit seiner Geschichte befasst und auch meiner Frau davon erzählt – sie kannte Philipp und die «Real Life Guys» bereits. Lukas, Alex und ich blieben in Kontakt und waren davon überzeugt, dass Philipp «unsere» Person ist. Dabei haben wir festgestellt, dass wir gemeinsame Freunde mit Philipp haben. Als wir Philipp durch sie kontaktierten, war dieser von unserer Anfrage begeistert, musste aber im Vorfeld noch einiges abklären. Im Februar 2021 erhielten wir seine Zusage. Er betonte mehrmals, dass es einer seiner grössten Wünsche sei, dass seine Reise ins Ungewisse authentisch dokumentarisch begleitet wird. Unmittelbar nach der Zusage haben wir damit begonnen, Philipp filmisch zu begleiten und sahen uns von Beginn weg mit der Realität konfrontiert, dass Philipp jederzeit hätte sterben können. Wir erlebten trotzdem einen aufgestellten, warmherzigen und lächelnden Philipp. Er war ein unglaublicher Mann, der Menschen liebte, sich Zeit für sie nahm, sich nie in den Vordergrund stellte und eine unbändige Hoffnung ausstrahlte. Es ist eine der grössten Ehren meines Lebens, durften wir ihn die letzten Monate seines Lebens begleiten.

Was war für Sie persönlich die grösste Herausforderung?
Es gab viele Herausforderungen. Zum einen war es nie einfach für mich, einen Film über eine Person zu machen, die im Sterben liegt. Das ist es bis heute nicht. Es war schwer, immer zwischen der Spannung von Hoffnung und Leid zu sein. Das Projekt wurde aus diversen Gründen enorm verzögert, sodass wir das Release-Datum mehrmals verschieben mussten und ich einmal über 30 Events abgesagt habe. Danach wurden wir immer wieder entmutigt, weil viele Fachexperten meinten, dass der Film nicht gross Anklang finden wird. Sie glaubten nicht an einen Dokumentarfilm, der die zwei Tabuthemen «Glaube» und «Tod» aufnimmt. Deshalb haben wir auch keinen Kinoverleih gefunden, der den Film für uns in die Kinos hätte bringen sollen. Viele Gemeinden und Kinos wollten den Film auch nicht mehr vorführen, weil sie dachten, dass der Todestag von Philipp wegen den Verzögerungen zu weit zurückliegt. Deshalb habe ich ein Kino-Team aufgebaut, das versuchte, den Film selbst in die Kinos zu bringen. Und dann kam alles anders, als die ersten Kinos den Film vorgeführt haben: Der Film löste eine grosse Welle der Begeisterung im deutschsprachigen Raum aus, sodass wir mit Anfragen überhäuft wurden. Und weil das Projekt auf sehr viel Interesse gestossen ist, mussten unsere Vertrieb-Teams und ich sehr viel arbeiten. Das haben sie hervorragend gemacht und ich könnte nicht stolzer auf sie sein. Aber die Arbeit zu bewältigen, war eine grosse Herausforderung.
 


Ist die Situation des Sterbens nicht zu persönlich für einen Film? Ich denke hier nicht nur an Philipp Mickenbecker, sondern auch an seine Freunde und Familie.
Eigentlich würde ich diese Frage mit «Ja» beantworten. In diesem Fall aber nicht. Denn es war der letzte grosse Wunsch von Philipp, dass seine Reise ins Ungewisse bis zur letzten Sekunde dokumentarisch begleitet wird. Als Philipp im Spital im Sterben lag, ging unser Kameramann Lukas Augustin zu ihm. Lukas wusste, dass seine Freunde und Familie vor Ort waren, um sich definitiv von Philipp zu verabschieden. Bevor Lukas den Raum betrat, sagte er zu sich selbst: «Spätestens jetzt ist der Moment gekommen, in dem die Kamera abgestellt werden muss». Lukas betrat den Raum, ohne dass die Kamera lief. Philipp hat das gemerkt, drehte sich zu Lukas und sagte: «Ich habe gesagt, dass alles gefilmt werden soll.» Die Freunde von Philipp und auch wir wussten, dass er das wollte.

Was ist aus Ihrer Sicht die Botschaft des Films?
Das ist eine gute Frage. Ich denke, der Film trägt viele Botschaften. Und jeder kann sich sein eigenes Fazit daraus ziehen. Das Interessante am Film ist folgendes: Obschon man das Ende des Films bereits kennt, sitzt man dennoch am Schluss sprachlos da. Man ist von so vielen Gefühlen überwältigt und versucht, diese zu ordnen. Ich persönlich nehme folgende Botschaft mit: Man sieht wie ein junger Mann im Reinen mit seiner Familie, seinen Freunden, mit sich selbst und mit Gott ist und darauf die Erde verlässt. Er ist von seinen Liebsten umgeben, als er stirbt und trägt diesen Frieden. Das möchte ich auch. Ich möchte im Reinen mit meinem Umfeld, mit Gott und dadurch mit mir selbst sein. Aber dann stelle ich mir die Frage, was ich heute tun kann, damit das einmal zur Realität wird. Dann kommen viele gute Werte hervor, die ich leben möchte. Werte wie Nächstenliebe, Grosszügigkeit, Barmherzigkeit, Versöhnung usw. gewinnen auf einmal an Bedeutung. Die ganze Frage, wohin wir nach dem Leben auf dieser Erde gehen, wird auch relevant. Ich selbst vertraue wie Philipp darauf, dass ich zu Jesus gehen darf. Aber jeder Zuschauer sollte sich die Frage stellen, was er in dieser Hinsicht glaubt.

Hat der Film Sie verändert? Wenn ja, in welcher Beziehung?
Das Projekt «Real Life» hat mich definitiv verändert. In welcher Hinsicht genau, kann ich noch nicht ausführlich sagen. Das Jahr 2021 war allgemein ein spezielles Jahr für mich. Von Februar bis Mai habe ich vier Freunde in meinem Alter verloren. Zwei von ihnen (ein junges Ehepaar) sind beim Wandern abgestürzt. Eine Freundin hat sich selbst das Leben genommen. Sie hat mir ein paar Stunden zuvor noch geschrieben und gefragt, ob ich für sie beten könnte. Und der vierte Freund starb an einer Drogenüberdosis. Danach kam am 9. Juni 2021 der Tod von Philipp. Das hat etwas mit mir gemacht. Ich habe das alles noch nicht verarbeiten können. Der Tod wurde auf einmal sicherlich sehr real. Ich merkte, wie endlich unsere Leben sind. Aber bei Philipp habe ich gesehen, wie man bis zur letzten Sekunde im Angesicht des Todes dennoch einen unbändigen Frieden haben kann. In seinem Leid war Jesus für Philipp realer als seine Krankheit. Und obwohl Philipp das Wunder der Krankenheilung nicht erlebte, hat er seinen letzten Kampf auf der Erde gewonnen. Denn bis zum Schluss setzte er seine Hoffnung auf Jesus und wurde in Würde und im Frieden von dieser Erde verabschiedet. Seine Geschichte ist und bleibt für mich persönlich ein Wunder. Philipps Glaube und Vertrauen in Gott werden mich mein Leben lang prägen. Aber ich weiss, dass die Veränderung noch viel tiefer ist als oben beschrieben. Aber ich brauche mehr Zeit, um das alles noch zu verarbeiten.

* Andrea di Meglio ist Produzent und Regisseur bei Siloam Productions.

 

«Real Life» wird am 16. November um 19.30 Uhr im MythenForum Schwyz gezeigt. Anschliessend findet ein Live-Interview mit Andrea di Meglio statt.
Kostenlose Tickets sind online oder an der Abendkasse erhältlich.
Weitere Informationen und Tickets für andere Standorte siehe hier.
Organisiert wird die Filmvorführung durch den Verein Alphalive Schwyz


Rosmarie Schärer
swiss-cath.ch

E-Mail

Rosmarie Schärer studierte Theologie und Latein in Freiburg i. Ü. Nach mehreren Jahren in der Pastoral absolvierte sie eine Ausbildung zur Journalistin und arbeitete für die Schweizerische Kirchenzeitung SKZ.


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