Pfarrer Kamil Samaan. (Bild: «Kirche in Not (ACN)»)

Interview

Sind Chris­ten in Ägyp­ten gleich­be­rech­tigt? Jein

Chris­tin­nen und Chris­ten machen in Ägyp­ten weni­ger als 10 % der Gesamt­be­völ­ke­rung aus und noch immer wer­den sie als Bür­ger zwei­ter Klasse behan­delt und sind Ziel von Schi­kane und Gewalt. Gerade in länd­li­chen Gebie­ten wer­den ins­be­son­dere Frauen immer wie­der Opfer von Gewalt durch extre­mis­ti­sche Muslime.

Auf Einladung von «Kirche in Not (ACN)» weilt der koptisch-katholische Priester und Professor für das Alte Testament Kamil Samaan einige Tage in der Schweiz. Er besucht verschiedene Gemeinden, feiert mit ihnen die heilige Messe und informiert über die komplexe Lage der Christen in seiner Heimat. Swiss-cath.ch sprach mit ihm.

Pater Kamil Samaan, sind in Ägypten Christen und Muslime mittlerweile rechtlich und politisch gleichgestellt?
Kamil Samaan: Ja und Nein. In gebildeten, wohlhabenden Kreisen der Gesellschaft ist es ein Anliegen, die Gleichstellung auf allen Ebenen durchzusetzen. Jedoch sitzt die Feindseligkeit den Christen gegenüber seit Jahrhunderten tief im Bewusstsein der muslimischen Bevölkerung. Das zu überwinden, braucht viel Zeit. Man kann also sagen, dass Christinnen und Christen politisch als gleichwertig betrachtet werden, dies im Leben der normalen Bevölkerung jedoch noch nicht realisiert ist.

Wie sieht es im Alltag, im normalen Leben der Menschen aus? Wie ist das Verhältnis zwischen den Religionen?
Es kommt sehr auf den Ort und die zahlenmässige Verteilung der religiösen Zugehörigkeit an. Wie gesagt ist in gebildeten städtischen Kreisen das Verhältnis zwischen Christen und Muslimen meistens gut. Auf dem Land hingegen ist es schwieriger. So gab es stets massiven Widerstand, wenn ein Christ in ein politisches Amt gewählt wurde. Da gingen die Muslime vehement auf die Barrikaden, um den Amtsantritt zu verhindern. Ebenfalls gab es in der Vergangenheit in ländlichen Regionen zahlreiche gewalttätige Übergriffe im Alltag und massive Benachteiligung auf dem Arbeitsmarkt gegenüber Christinnen und Christen. Aber auch auf dem Land ist es lokal sehr unterschiedlich. So hat mein Geburtsort Assiut etwa 5000 Einwohnern. Ungefähr die Hälfte davon sind Christen und die Hälfte Muslime. Während der Revolution, als viele Christen ermordet und Kirchen angezündet wurden, haben die Muslime des Ortes eine Kette um die Kirche gebildet, um sie zu schützen. In der Stadt Beni Suef mit vergleichbarer Zusammensetzung wurde eine vorzügliche Schule, die von Franziskanerinnen geführt wurde, angezündet. Muslime und Christen des Ortes hingen sehr an dieser Schule, doch den Extremisten war das egal. Diese christliche Institution war ihnen ein Dorn im Auge. Sie sehen, es ist sehr unterschiedlich, aber im Allgemeinen nehmen die Übergriffe ab.
 

In ihrem Vortrag in den Schweizer Gemeinden sprachen sie von Ägypten als einem Mikrokosmos der Weltkirche, da alle Konfessionen und Riten in dieser kleinen Minderheit der Christen präsent sind.
Es gibt mittlerweile eine grosse Nähe zwischen allen verschiedenen christlichen Konfessionen im Land, da sie Minderheiten sind und zusammenhalten müssen. Es hat aber auch viel mit dem koptischen Papst Tawadros II. zu tun hat, der ein sehr aufgeklärter Mensch ist und die verschiedenen Konfessionen kennt und schätzt. Durch ihn hat sich der interkonfessionelle Dialog erheblich verbessert. Zudem sind Kopten und Katholiken oftmals sehr gebildet und haben daher eine gewisse Offenheit und Toleranz im Denken.

Wie bringen sich die koptischen Katholiken, die nur eine kleine Minderheit in Ägypten darstellen, in den interreligiösen Dialog ein?
Sie müssen bedenken, dass Dialog immer praktisch ist. Das ist keine blosse Theorie. Interreligiöser Dialog entsteht nur durch praktisches Dienen am Nächsten, durch die Liebe zu den Menschen. Das ist es, was Spuren hinterlässt. Wenn wir christliche Institutionen in Bildung, Medizin und karitativer Arbeit stärken, können wir dienend auf die muslimische Bevölkerung zugehen und zugleich Christinnen und Christen, die auf dem Arbeitsmarkt oftmals benachteiligt sind, zu einer Anstellung verhelfen.

Es gibt viele katholische Schulen in Ägypten, die mehrheitlich von Muslimen besucht werden. Wie gelingt in diesen Schulen das Zusammenleben?
Die katholischen Schulen sind qualitativ sehr gut. Daher schätzen die meisten Muslime sie und versuchen, nach Möglichkeit ihre Kinder dort hinzuschicken. Es gibt aber auch einige, die durchaus skeptisch sind und ihre Kinder dennoch hinschicken, um ihnen eine Ausbildung zu ermöglichen. Nicht wenige der muslimischen Schülerinnen und Schüler sind Kinder fundamentalistischer Eltern. Gerade deswegen ist die Schule ein so wichtiger Ort der Begegnung. Aus dieser Begegnung kann mit der Zeit ein Umdenken entstehen.
Das Gleiche gilt für die christlichen Spitäler. Ich war jahrelang Kaplan und Seelsorger in einem katholischen Krankenhaus. Jedes Jahr wurde Weihnachten mit einer heiligen Messe und einem anschliessenden Empfang gefeiert. Da gab es eine muslimische Frau, die war zwanzig Jahre zuvor Patientin in diesem Spital gewesen. Seither kam sie jedes Jahr zu dieser Weihnachtsfeier. Sie fühlte sich so viele Jahre später immer noch diesem Ort verbunden. Viele Menschen machen diese Erfahrung. Wenn sie sehen, wie wir uns mit Liebe und Hingabe für sie einsetzen, sie behandeln und pflegen, egal ob sie Christen oder Muslime sind, berührt sie das und diese Erfahrung bleibt.

Wie kann die Weltkirche den Christinnen und Christen in Ägypten beistehen?
Die koptischen Katholiken sind eine kleine Minderheit in Ägypten und sind dennoch ein Glied der Weltkirche. Eine besondere Kraft liegt im Selbstverständnis der Katholischen Kirche, die in jeder Lokalkirche ein vollgültiges Glied der Weltkirche sieht, das Solidarität und Unterstützung verdient. Mit dieser moralischen wie auch ganz praktisch finanziellen Unterstützung ist uns sehr geholfen. Und ich möchte alle dazu einladen, nach Ägypten zu kommen, unsere Institutionen zu besuchen und Zeugnis dafür abzulegen, dass wir allen Menschen, egal welcher Religion sie angehören, gleich dienen. Wenn sich die Kunde davon verbreitet, stärkt uns das.


Silvan Beer

Silvan Beer studiert gegenwärtig Theologie und Philosophie in Freiburg i. Ü.


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Bemerkungen :

  • user
    Hansjörg 10.07.2023 um 10:27
    Sind die Frauen in der kath. Kirche gleichberechtigt?

    Obschon mindestens 50% aller Angehörigen der kath. Kirche Frauen sind, sind sie innerhalb dieser Kirche nicht gleichberechtigt und nicht gleichwertig.