Pfarrer Dr. Augustine Asogwa. Bild: Kirche in Not (ACN)

Interview

Sit­te­ner Diö­ze­san­pries­ter zur Lage sei­ner Lands­leute in Nigeria

Immer wie­der drin­gen Mel­dun­gen aus Nige­ria zu uns, die von Ent­füh­run­gen von Geist­li­chen und Ordens­leu­ten, von Mord und Drang­sa­lie­rung von Unschul­di­gen berich­ten. Die radi­kal­is­la­mis­ti­sche Grup­pie­rung Boko Haram ter­ro­ri­siert die Bevöl­ke­rung und auch sonst steht das Land vor vie­len Her­aus­for­de­run­gen. Nige­ria ist jedoch auch ein tiefre­li­giö­ses Land mit einer blü­hen­den katho­li­schen Kir­che. Pfar­rer Dr. Augus­tine Asogwa beleuch­tet im Gespräch mit swiss​-cath​.ch die Lage im Land.

Er wurde 1978 in Nsukka, Nigeria geboren und empfing 2007 die Priesterweihe. Danach wirkte er bis 2011 in Nigeria. Anschliessend schickte ihn sein Bischof für vertiefte Studien nach Rom. Er promovierte in Ekklesiologie und erhielt 2017 den Doktortitel. Im gleichen Jahr wurde er vom Sittener Bischof Jean-Marie zum Pfarreiadministrator in Grächen ernannt. Seit September 2021 ist er als Pfarrer für die deutschsprachige Pfarrei in Sitten verantwortlich.

Wie ist die gesellschaftliche Rolle der katholischen Kirche in Nigeria? Wie etabliert ist sie? Was bedeutet den Menschen in Nigeria Religion und spezifisch das Katholische?
Um zu verstehen, welche Rolle die katholische Kirche in der nigerianischen Gesellschaft spielt, ist es wichtig, die Rolle der Religion in Nigeria zu erörtern. Nigeria ist ein sehr religiöses Land. Ich erinnere mich an eine Studie des Pew Research Centre aus dem Jahr 2020, nach der Nigeria zu den religiösesten Ländern der Welt zählt. Es ist sicher, dass die meisten Nigerianer in irgendeiner Weise an Gott glauben. Man kann an Gott glauben und den traditionellen Religionen folgen, die bereits vor dem Aufkommen der anderen Religionen fest etabliert waren, oder man kann Christ in den verschiedenen Konfessionen oder Muslim sein. In Nigeria ist es sehr schwierig, einen Atheisten im eigentlichen Sinne des Wortes zu finden.

Abgesehen davon ist die katholische Kirche in der nigerianischen Gesellschaft sehr gut und stark verankert. Die Katholiken machen mehr als die Hälfte der christlichen Bevölkerung in Nigeria aus. Allein in Nigeria gibt es sechzig Diözesen mit mehr als sechstausend Priestern und mehr als zehntausend Ordensmännern und -frauen. Einige Statistiken beziffern die Zahl der Katholiken auf über fünfundvierzig Millionen. In Zahlen ausgedrückt kann man also sagen, dass die katholische Kirche in Nigeria sehr gut etabliert ist.

Abgesehen von den Zahlen ist der Einfluss der katholischen Kirche in der Gesellschaft deutlich spürbar. Katholische Schulen und Gesundheitseinrichtungen gehören zu den besten des Landes, was die Ausbildung der wachsenden Bevölkerung und die von ihnen erbrachten Dienstleistungen betrifft. In der Politik steht die katholische Kirche an vorderster Front bei der zivilen und politischen Bildung, bei der Wahlüberwachung und -beobachtung usw. Der Einfluss der katholischen Kirche zeigt sich deutlich in den sozialen Diensten, insbesondere in der grundlegenden Option für die Armen und Unterprivilegierten der Gesellschaft. Es ist gut, hier zu erwähnen, dass viele internationale Wohltätigkeitsorganisationen wie Missio, Caritas International, Misserior Deutschland, Kirche in Not usw. der Kirche in Nigeria helfen, ihre Rolle unter den Armen und Bedürftigen in der Gesellschaft zu erfüllen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die katholische Kirche in der nigerianischen Gesellschaft gut etabliert ist und ihre Rolle in praktisch allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens zu spüren ist.

Was macht das katholische Leben in Nigeria aus? Gibt es Eigenheiten im Leben und Glauben, in Liturgie und Gemeindeleben?
Ja, die katholische Kirche in Nigeria zeichnet sich durch ihr Leben und ihre Gottesdienste aus. Natürlich wissen Sie, dass die Art und Weise des Gottesdienstes in der katholischen Welt im Allgemeinen überall auf der Welt fast gleich ist. Aber jedes Land und jede Kultur bringt diese Gleichheit im Glauben und im Gottesdienst auf eine besondere Weise zum Ausdruck, durch ihr Leben und ihren Gottesdienst. Dieser Ausdruck wird zum Geschenk und Beitrag jeder Kultur für die Weltkirche. Theologisch gesehen nennen wir dies Inkulturation.

In Nigeria bringen wir die Energie und Lebendigkeit unserer Kultur in das katholische Leben und den Gottesdienst ein. Der Nigerianer ist ein sehr ausdrucksstarker Mensch. Wir drücken uns durch unsere Kunst und vor allem durch die Musik aus. Eine typische Heilige Messe in Nigeria sagt alles. Sie haben sicher schon einmal gesehen, vielleicht online oder gehört, dass eine normale Sonntagsmesse in Nigeria mindestens zwei Stunden dauert. In diesen zwei Stunden bringen wir alles auf, was wir als Volk haben, um Gott anzubeten. Die liturgischen Feiern in Nigeria sind ein klarer Ausdruck des authentischen katholischen Glaubens, gewürzt mit dem Reichtum unserer Kultur, ohne dem Glauben, den wir empfangen haben, zu schaden.

Was bewegt gegenwärtig die Katholiken in Nigeria? Welche Hoffnungen, Ängste, Herausforderungen prägen das katholische Leben?
Wie ich bereits sagte, sind wir ein Volk des Glaubens. Unser Glaube an Gott treibt uns an, Gott zu lieben und anzubeten. Wie der Apostel Paulus an die Korinther schrieb: "Die Liebe Christi treibt uns an" (2. Korinther 5,14). In diesem Zusammenhang sollten wir verstehen, dass die Nigerianer, die schon vor dem Aufkommen des Christentums tief religiös waren, den Respekt, die Ehrfurcht und die Verehrung, die sie in ihrer alten Religion hatten, einfach auf den katholischen Glauben übertragen haben. Es handelt sich also um einen Glauben, der sich im Übergang zur Kultur befindet. Und wenn der Glaube zur Kultur wird, wird er zu einem wirklich gelebten Glauben.

Ja, als Kirche haben wir unsere Herausforderungen, und sie sind vielfältig. Ich habe Ihnen soeben gesagt, dass wir uns im Prozess der Inkulturation des katholischen Glaubens in unserem Land befinden. Das ist keine leichte Aufgabe. Der Prozess der Identifizierung von Werten in unserer Kultur, die bei der Verkündigung des katholischen Glaubens hilfreich sein können, ist ein langer Prozess, der einen tiefen Glauben, eine umfassende Kenntnis der Kultur und ständige Überlegungen und Gebete erfordert. Es ist eine Herausforderung, der ich mich stellen muss, und unsere Theologen sind dabei. In diesem Prozess ist die Versuchung zum Synkretismus allgegenwärtig. Wir sind jedoch zuversichtlich, dass wir erfolgreich sein werden.

Wie ich bereits erwähnt habe, gibt es in Nigeria auch die islamische Religion. Der Islam soll eine Religion des Friedens sein. Aber wie bei den meisten Religionen gibt es fast immer eine fundamentalistische Gruppe. Wir leben also mit einer kleinen Gruppe von Extremisten unter den Muslimen, die andere Religionen als Bedrohung für den Islam ansehen. Dies hat zu Angriffen nicht nur auf Katholiken, sondern auf alle Christen geführt. Sie haben sicher schon von Boko Haram gehört. Das ist eine terroristische Gruppe mit Wurzeln im Islam. Sie erlauben den Christen nicht immer, ihren Glauben zu leben. Deshalb hört man von Bombenanschlägen auf christliche Kirchen, insbesondere im Norden Nigerias, und von physischen Angriffen auf christliche und religiöse Einrichtungen. Im Rahmen des interreligiösen Dialogs werden jedoch Anstrengungen unternommen, um die Freiheit der Religionsausübung zu gewährleisten. Die Ergebnisse dieser Bemühungen stellen sich jedoch nur sehr langsam ein.

Wie in den meisten Entwicklungsländern ist auch hier die Armut noch immer eine Herausforderung. Armut bezieht sich hier nicht nur auf materielle Armut. So wie es materiell arme Menschen gibt, so gibt es auch die Armut des Geistes. Die materielle Armut kann durch Umverteilung des Reichtums, Gerechtigkeit und Frieden verringert werden. Wir bemühen uns, die Armut des Geistes durch Bildung zu verringern. Dies sind keine leichten Aufgaben. Es handelt sich um ein langfristiges Projekt, für das sich die Kirche in Nigeria durch ihre Einrichtungen stark engagiert.

Wie schätzen Sie die Gewalt und Gefahr ein, die in Nigeria herrscht? Von wem geht diese aus? Wer ist Ziel der Gewalt? Was sind die Hintergründe?
In Nigeria besteht eine echte Bedrohung für das Leben. Obwohl die Verfassung die Regierung beauftragt, die Sicherheit von Leben und Eigentum zu gewährleisten, scheint die Regierung diesem Ziel nicht gerecht zu werden. Im Norden des Landes herrscht die Bedrohung die islamische Extremistengruppe Boko Haram. Sie stellen eine Gefahr für das Leben und die Religionsfreiheit dar. Im Süden hören wir täglich von Entführungen zur Erpressung von Lösegeld. Ohne auf viele Einzelheiten einzugehen, genügt es zu sagen, dass die Sicherheit in Nigeria ein ernstes Problem darstellt. 

Was die Ziele dieser Gewalt betrifft, so muss man wissen, dass niemand in diesem Land sicher ist. Die Wahrheit ist, dass man, egal welcher Religion oder politischen Richtung man angehört und welchen sozialen Status man hat, nicht sicher vor Gewalt ist. Sie kann einem jederzeit und an jedem Tag treffen.

In religiösen Kreisen kann man jedoch sagen, dass die Christen derzeit besonders von Boko Haram und in jüngster Zeit von den Fulani-Hirten angegriffen werden. Deshalb sprechen wir von Christenverfolgung vor allem in Nordnigeria.

Ehrlich gesagt können mehrere Faktoren für diese Gewalt verantwortlich gemacht werden. Armut, Arbeitslosigkeit, religiöse Fanatismus, jahrelange Misswirtschaft und schlechte Regierungsführung, um nur einige zu nennen, sind einige der Ursachen für die Gewalt.

Was wird getan dagegen? Was könnte man Ihrer Meinung nach besser machen? Was wäre unbedingt nötig?
Derzeit arbeiten die katholische Kirche und viele Organisationen der Zivilgesellschaft zusammen und setzen sich für eine gerechtere und zivilere Gesellschaft ein. Im Rahmen des interreligiösen Dialogs setzen sie sich für alle religiösen Gruppen ein. Ziel ist es, die Menschen zu sensibilisieren für die Heiligkeit des menschlichen Lebens und die Notwendigkeit, es durch ein friedliches Zusammenleben und eine Verringerung der Gewalt zu schützen.

Ich glaube auch, dass eine der besten Möglichkeiten, eine bessere Gesellschaft zu schaffen, in der Stärkung unserer Gesetze besteht. Die Regierung muss die Rechtsstaatlichkeit garantieren. Dies wird eine Gesellschaft schaffen, in der diejenigen, die nicht gehorchen, die vollen Konsequenzen des Gesetzes zu tragen haben. Dies wird uns eine gewaltfreie Gesellschaft sichern, in der Gerechtigkeit und Frieden herrschen.

Wie können wir im Ausland den Menschen in Nigeria beistehen? Auf politischer und auch kirchlicher Ebene?
Ehrlich gesagt waren Menschen aus dem Ausland schon immer eine große Unterstützung für die notleidenden Menschen im Lande. Auf politischer und religiöser Ebene sind in Nigeria viele Wohltätigkeitsorganisationen tätig, die nicht nur materielle Hilfe leisten, sondern sich auch für andere einsetzen.  Viele Schulen und Krankenhäuser verdanken wir der Hilfe dieser Organisationen. Persönlich möchte ich Kirche in Not erwähnen. Sie haben uns beim Wiederaufbau so vieler Schulen und Krankenhäuser geholfen.  Wahrlich, die ausländischen Nationen und Organisationen tun schon viel für uns. Wir wissen das zu schätzen und sind ihnen dankbar. Wir können sie nur bitten, uns weiterhin so zu unterstützen, wie sie es bisher getan haben.


Silvan Beer

Silvan Beer studiert gegenwärtig Theologie und Philosophie in Freiburg i. Ü.


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