Bischof Felix Gmür gehörte neben Tatjana Disteli und Helena Jeppesen zu den Schweizer Delegierten. (Bild: Rosmarie Schärer/swiss-cath.ch)

Weltkirche

Span­nung zwi­schen Lehre und Barmherzigkeit?

In Prag ver­sam­mel­ten sich diese Woche rund 200 Dele­gierte aus 39 euro­päi­schen Län­dern zu Bera­tun­gen anläss­lich der soge­nann­ten «Kon­ti­nen­ta­len Phase» der Welt­syn­ode. Schnell wur­den Span­nun­gen zwi­schen den Kir­chen in West– und Ost­eu­ropa deut­lich. Ein Zwischenbericht.

Der Prager Erzbischof Jan Graubner ging in seiner Predigt beim Eröffnungsgottesdienst in der Prager Prämonstratenser-Kirche auf die Ergebnisse der Umfragen ein. Aus den Antworten gehe zwar hervor, «was viele Menschen belastet oder verletzt, was sie in der Gemeinschaft der Kirche brauchen und wünschen, was sie gerne ändern würden». Zugleich seien aber auch erhebliche Defizite sichtbar geworden: «Es stellt sich heraus, dass auch viele Menschen, die in der Kirche aktiv sind, weder die Bibel noch die Lehre der Kirche kennen.»

Nachdem er mit deutlichen Worten die Lage der katholischen Kirche in Europa beschrieben hat, stellte er nüchtern fest: «Wenn wir zu dem Schluss kommen müssen, dass wir als Kirche in Europa kein ausreichendes Licht für die Gesellschaft sind, dann müssen wir demütig zugeben, dass auch wir zu denen gehören, die die Finsternis geliebt haben, weil einige unserer Taten böse waren.» Und er fuhr fort: «Keine noch so grosse menschliche Weisheit, Schlauheit oder Ausreden werden uns aus dieser Situation heraushelfen. Und schon gar nicht der Versuch, sich der Welt anzupassen.» Er rief dazu auf, nicht mehr in weltlichen Kategorien zu denken. «Nehmen Sie die Denkweise Gottes an. Setzen Sie nicht Ihre Vision durch, sondern nehmen Sie die Vision Gottes an.»

Kardinal Mario Grech, Generalsekretär der Synode, betonte bei seiner Eröffnungsrede, dass eine synodale Kirche eine «hörende Kirche» sei. Er gab zu, dass es Kritik an der Zusammensetzung der Kontinentalphase gegeben habe. Doch er versicherte: «Wir haben auch der Stille zugehört! Wir haben auch dem leeren Stuhl zugehört.» Er meinte weiter, dass die Wahrheit in der Kirche nicht vom Ton und der Lautstärke der Äusserungen abhänge, «sondern von dem Konsens, den sie gerade durch gegenseitiges Zuhören herzustellen vermag».

In seinem spirituellen Impuls machte der tschechische Priester und Religionssoziologe Tomas Halik Mut zu Veränderungen in der Kirche. Man befinde sich global in einem entscheidenden Moment, so Halik. Die Hinwendung des Christentums zu Synodalität und eine Umwandlung der Kirche in eine dynamische Gemeinschaft von Pilgern könnten Einfluss auf das Schicksal der gesamten Menschheit haben. «Als die durch das Coronavirus ausgelöste Pandemie Kirchen leerte und schloss, habe ich mich gefragt, ob dieser Lockdown nicht eine prophetische Warnung sei. So könnte Europa bald aussehen, wenn unser Christentum nicht wiederbelebt wird; wenn wir nicht verstehen, was der Heilige Geist den Kirchen heute sagt.»

Halik zeigte sich auch überzeugt, dass man keine Angst davor zu haben brauche, «dass einige Formen der Kirche aussterben». In jeder Phase der Kirchengeschichte gelte es, sich in der Kunst der geistlichen Unterscheidung zu üben «und am Baum der Kirche die lebendigen von den vertrockneten und toten Zweigen zu unterscheiden».

Der scheidende Präfekt der vatikanischen Bischofsbehörde, Kardinal Marc Ouellet, sagte in seiner Predigt bei der Frühmesse am Dienstag in Bezug auf den Schöpfungsbericht von Mann und Frau: «Wenn es stimmt, dass die spirituelle Dimension von Mann und Frau eine Ähnlichkeit mit Gott beinhaltet, so ist zu beachten, dass der Mensch von Gott als Mann und Frau für eine spirituelle und körperliche Beziehung geschaffen wurde.»
Die Pastoralkonstitution «Gaudium et Spes» lehre uns, dass «die echte eheliche Liebe in der göttlichen Liebe aufgeht» (GS 48, 2). Die Liebe Gottes, «die sich mit der menschlichen Liebe vermählt, gibt ihr Anteil an ihren göttlichen Eigenschaften: Einheit, Fruchtbarkeit, Unauflöslichkeit. Diese Teilhabe stärkt, reinigt und heiligt die menschliche Liebe und vervielfacht ihre Chancen auf Glück. Leider schlägt der sündige Mensch diese Gnade oft aus und zieht seine eigenen autonomen Entscheidungen vor, die ihn von Gottes Wegen abbringen.» Kardinal Quelle warnte abschliessend die Teilnehmer davor, das Wort Gottes auf eine Weise auszulegen, die die dem widerspricht, was es wirklich sagt.

Durch diese Predigt fühlten sich viele sogenannte «queere» Menschen verletzt. Sie forderten, dass die Kirche ihre Haltung in diesem Punkt ändere.

Einseitige, manipulierende Berichterstattungen
Es fiel auf, dass sich die Berichterstattung in den Medien vor allem auf die Stellungnahmen jener Länder stützte, die eine «einladende» Kirche, mehr Partizipation oder das Frauenpriestertum forderten. Die Stellungnahmen der vielen anderen Länder wurden entweder mit Schweigen übergangen oder nur kurz zusammenfassend erwähnt. Eine Ausnahme bildete hier CNA Deutsch.

Gemäss CNA Deutsch sprach Erzbischof Eamon Martin, der Vorsitzende der irischen Bischofskonferenz, über die kreative Spannung zwischen Synodalität und Hierarchie in der Gemeinschaft der Kirche. «Eine der Herausforderungen, vor denen eine synodale Kirche steht, ist zu lernen, wie man diese tiefere Gemeinschaft in Christus zwischen dem Volk Gottes, den Bischöfen und dem Papst fördern kann.» Die Synodalität solle danach streben, die Lehrautorität des Papstes und der Bischöfe zu bekräftigen und zu stärken, nicht sie zu schmälern. «Dies ist die Kirche Christi, nicht unsere, die wir nach Belieben nach unseren Vorstellungen gestalten können.»

CNA Deutsch berichtete weiter, dass verschiedene Gruppen angemerkt hätten, dass sie eine Spannung zwischen Lehre und Seelsorge und eine «Spannung zwischen Wahrheit und Barmherzigkeit» wahrgenommen hätten. Eine Vertreterin einer englischsprachigen Gruppe erklärte: «Die fundamentale Wahrheit Jesu Christi mag in Spannung zur Barmherzigkeit und zur pastoralen Sorge stehen, aber die fundamentale Wahrheit Jesu Christi ist ein Moment der Gnade und der Barmherzigkeit an und für sich, weil die Barmherzigkeit zur Wahrheit führt, zur Wahrheit, dass das Evangelium Liebe ist. Und das Evangelium ist das, was der Mensch braucht, um Freude und Frieden zu erfahren.»

Vatikan News zitierte Stephan Lipke, einen deutschen Jesuiten, der als Mitglied der russischen Delegation in Prag ist. Er wies auf einen wichtigen Punkt hin, der bisher zu wenig beachtet wurde: «Wie können wir die Erfahrungen der byzantinischen und der anderen Kirchen des Ostens in den grossen gemeinsamen synodalen Weg einbringen?»

Mehrere Delegationen aus Süd- und Osteuropa warben in ihren Beiträgen dafür, Lehre und Strukturen der Kirche nicht infrage zu stellen. So warnte etwa der Sprecher der litauischen Delegation ausdrücklich vor einer «Verfälschung der christlichen Lehre» und verteidigte die klerikale Struktur der katholischen Kirche. Zugleich betonte er, dass die Forderung nach einer Frauenordination in seinem Land kein Thema sei.
Dass bei diesen Beratungen nicht alles zur Disposition steht, hatte Papst Franziskus Ende des vergangenen Jahres im Blick auf das Thema Frauenpriesterweihe klar gemacht. Das kirchliche Nein dazu bleibt für Franziskus massgeblich.

Immer wieder waren die Missbrauchsfälle ein Thema. So forderte z. B. die irische Delegation radikale Konsequenzen aus dem kirchlichen Missbrauchsskandal. Der Missbrauch bleibe eine offene Wunde, wenn er nicht umfassend angegangen werde. Nur wenn eindeutig gehandelt und tiefer angesetzt werde, um die Ursachen vollständig zu verstehen, könne die Kirche das «Feldlazarett» werden, das Papst Franziskus gefordert habe.

Der katholische Erzbischof von Belgrad, Laszlo Nemet, stellte einen gemeinsamen Text der osteuropäischen Bischöfe zu diesem Thema in Aussicht. Darin werden sie gemeinsam mit den Bischöfen aus Westeuropa die Opfer um Vergebung bitten und sich zu einer Politik der Nulltoleranz verpflichten.

Schweizer Delegation für Partizipation und Inklusion
Die Schweizer Delegation legte in ihrer Stellungnahme Wert auf die Anerkennung der Würde und Berufung aller getauften Menschen, insbesondere der Frauen. «Deswegen müssen die kommenden Synodenversammlungen die Rolle der Frau in der Kirche unter Mitwirkung von Frauen beraten und konkrete weitere Schritte entscheiden.» Queere Menschen fühlten sich in der Kirche oft abgelehnt, entwürdigt und diskriminiert. Sie wünschten sich «sichere Begegnung und ehrlichen Dialog auf Augenhöhe».

Ein anderes Thema war die Frage der Partizipation. «Die Frage nach partizipativer und verantwortlicher Leitungsmacht ist dabei ein zentrales Prüfsiegel für die Glaubwürdigkeit einer synodalen Kirche.» Diese Partizipation ist zugleich mit der Erwartung nach Dezentralisation verbunden. «Die Kirche soll künftig in den Regionen mehr Eigenverantwortung wahrnehmen können. Nur in lokalen, gelebten Kontexten wird die Partizipation aller Getauften am christlichen Leben konkret und direkt.» Dabei kann es nach Auffassung der Schweizer Delegation auch Unterschiede zwischen den konkreten Ortskirchen geben: «Die Kirche darf in den Alpen ein anderes Gesicht zeigen als an der Ostsee oder am Schwarzen Meer.»

Es sei daran erinnert, dass an der Umfrage, die diesen Voten zugrunde liegt, nicht einmal 1 Prozent der Schweizer Katholikinnen und Katholiken teilgenommen haben.

Am Donnerstag sollte gemäss Plan ein gemeinsames Schlussdokument verabschiedet werden. Dies war aufgrund der doch sehr unterschiedlichen Positionen fraglich. Tatsächlich wurde heute nur der 20-seitige Entwurf des Schlussdokuments verlesen. Dieses wird in den kommenden Wochen von einem Redaktionsteam1 in eine definitive Form gebracht. Die Delegationen können dazu noch Ergänzungen oder Neuformulierungsvorschläge einbringen.
 

Die europäische Kontinentalversammlung ist eine von sieben Kontinentalversammlungen der Synode, die im Februar und März auf der ganzen Welt stattfinden. Als Grundlage dient das Vorbereitungsdokument «Mach den Raum deines Zeltes weit» (Jes 54,2), das Ende Oktober 2022 vom Vatikan veröffentlicht wurde. Bis diesen Donnerstag erarbeiten die 200 Personen vor Ort zusammen mit 390 Online-Delegierten ein Abschlussdokument. Anschliessend tagen vom 10. bis 12. Februar die Vorsitzenden aller Bischofskonferenzen in Europa. Diese werden sich mit dem Abschlussdokument befassen und ein eigenes Dokument erstellen.
Verantwortlich für die Konferenz ist der Rat der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE). Im Oktober 2023 findet die erste Bischofssynode in Rom statt, im Jahr 2024 die zweite.

 


1 Verantwortlich für die Redaktion des Dokumentes ist ein sechsköpfiges Redaktionsteam:

  • Giacomo Costa SJ (Konsultor des Synodensekretariats und Verantwortlicher der Task Force für die Ausarbeitung des Dokumentes für die Kontinentalphase)
  • Klara Antonia Czizar (Pastoralprofessorin in Linz sowie Direktorin des Forschungszentrums für Ökumenische Studien und Interreligiösen Dialog an der Babeș-Bolyai-Universität Cluj/Rumänien)
  • Arnaud Join-Lambert (Theologie- und Liturgieprofessor in Löwen)
  • Andrea Gagliarducci (italienischer Vatikanjournalist)
  • Miroslaw Tykfer (Priester aus Polen)
  • Myriam Wijlens (Kirchenrechtsprofessorin in Erfurt und Beraterin des Generalsekretariates der Synode)

 


Rosmarie Schärer
swiss-cath.ch

E-Mail

Rosmarie Schärer studierte Theologie und Latein in Freiburg i. Ü. Nach mehreren Jahren in der Pastoral absolvierte sie eine Ausbildung zur Journalistin und arbeitete für die Schweizerische Kirchenzeitung SKZ.

KNA Katholische Nachrichten-Agentur


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    Heinz Hürzeler 10.02.2023 um 17:36
    Höchste Zeit, dass alle Gläubigen ernsthaft fasten und sich an Epheser 18 orientieren: Hört nicht auf, zu beten und zu flehen!
  • user
    Daniel Ric 10.02.2023 um 08:39
    Die Schweizer Delegation sollte mehr Demut an den Tag legen. Als Vorzeigemodell für andere Ortskirchen kann sie sicherlich nicht gelten. Die Partizipation am kirchlichen Leben ist in der Schweiz (vor allem Deutschschweiz) extrem tief - vielleicht sogar rekordtief. Man darf nicht den Umfragen glauben, bei denen Bürger gefragt werden, wie oft sie in die Kirche gehen. Wer der kirchliche Leben in der Deutschschweiz kennt, weiss, wie wenig Menschen die Gottesdienste besuchen und wie tief auch das Wissen rund um die Kirche ist. Anstatt andere Teile der europäischen Kirche belehren zu wollen, sollte man sich überlegen, welche Fehler in der Vergangenheit gemacht wurden.