Symbolbild. (Bild: Mufid Majnun/Unsplash)

Hintergrundbericht

Sui­zid­bei­hilfe: Wor­über Frank­reich dis­ku­tiert, ist in Spa­nien bereits Realität

Wäh­rend in Frank­reich aktu­ell die Abge­ord­ne­ten über den Geset­zes­ent­wurf zur Ster­be­hilfe dis­ku­tie­ren, haben andere Län­der die aktive Ster­be­hilfe bereits ein­ge­führt, so auch Spanien.

Spanien war nach den Niederlanden, Belgien und Luxemburg das vierte Land in Europa, das im März 2021 eine aktive Sterbehilfe und assistierten Suizid legalisierte. Das heisst, der Patient hat das Recht, dass er entweder von einer medizinischen Fachkraft direkt eine tödliche Substanz verabreicht erhält oder diese selbst einnimmt.

Nach Angaben des Gesundheitsministeriums wurden in den Jahren 2021 und 2022[1] 749 Anträge auf Sterbehilfe gestellt, von denen 363 zur Sterbehilfe oder zum assistierten Suizid führten. Die Personen waren im Durchschnitt 67,8 Jahre alt und mehr Männer (55 %) als Frauen (45 %). Die meisten von ihnen litten an neurologischen Erkrankungen (37,7 %) oder an Krebs (32,9 %).

Mehrstufiger Prozess
Das Gesetz sieht vor, dass nur volljährige Personen[2] einen Antrag auf Sterbehilfe stellen können. Die Regelung gibt keine konkreten Krankheiten an, sondern setzt den Tatbestand einer unheilbaren Krankheit oder einer schweren, chronischen Erkrankung voraus, die mit ständigem und unerträglichem körperlichem oder geistigem Leiden für die Person, die darunter leidet, verbunden ist, ohne dass die Möglichkeit einer Heilung oder nennenswerten Verbesserung besteht.

Die Sterbehilfe gilt als Teil des gemeinsamen Leistungsspektrums des nationalen Gesundheitssystems und wird deshalb durch öffentliche Mittel finanziert.

Der Sterbewillige muss zweimal innerhalb von 15 Tagen ein schriftliches Gesuch an den von ihm gewählten Arzt richten, das heisst an den Arzt, der bei der Sterbehilfe oder dem assistierten Suizid anwesend sein wird. Der Arzt muss den Patienten über die verfügbaren Behandlungsmethoden und die Möglichkeit der Palliativmedizin informieren.

Die Akte wird dann an die zuständige Prüfungskommission weitergeleitet, die den Zugang zur Sterbehilfe genehmigt oder ablehnt. Diese setzt sich aus Sozialarbeitern, Angehörigen der Gesundheitsberufe und Juristen zusammen. Für jeden einzelnen Fall ernennt die Kommission ein Juristen-Ärzte-Duo, das den Fall überprüft und sicherstellt, dass das Verfahren korrekt durchgeführt wurde.

Sobald die Kommission grünes Licht gegeben hat, entscheidet der Patient über Ort und Zeitpunkt seines Todes. Zunächst hiess es, dass der Tod innerhalb der nächsten anderthalb, maximal zwei Monaten eintreten sollte. Diese Frist wurde jedoch auf sechs Monate verlängert, da viele Ärzte merkten, dass manche Menschen mehr Zeit brauchen.

In Spanien ist es möglich, den Wunsch nach Sterbehilfe in einer Patientenverfügung festzuhalten. Diese kommt zum Einsatz, wenn der Patient nicht mehr bei Bewusstsein ist. Der Antrag kann in einem solchen Fall ersatzweise auch von der Familie gestellt werden und durchläuft das übliche Verfahren. Doch dies sind Ausnahmefälle: 95 % der Menschen waren zum Zeitpunkt der Bitte bei vollem Bewusstsein.

Regionale Unterschiede
Seit der Einführung des Gesetzes hat sich eine regionale Ungleichheit gezeigt. Während Katalonien einen Grossteil der Anträge stellte (240), waren es in Madrid ein Drittel (74) und in Andalusien– der bevölkerungsreichsten Region – nur 49 Anträge. Dies hat auch damit zu tun, dass sich in Madrid die Verbände der Gesundheitsberufe und das Ärztekollegium gegen die Einführung der Sterbehilfe ausgesprochen hatten, während in Katalonien die Sterbehilfe seit langem Konsens ist. Ärzte und Pflegefachleute, die die Sterbehilfe nicht ausführen wollen, dürfen die Beteiligung unter Berufung auf ihr Gewissen verweigern. Während sich in der Hauptstadt fast 3000 Personen in das entsprechende Register eingetragen haben, sind es in Barcelona nur wenige Hundert.

Manuel Martínez-Sellés, Kardiologe und Vorsitzender des Ärztekollegiums, gehört zu den Angehörigen der Gesundheitsberufe, die sich gegen das Gesetz ausgesprochen haben. Er stellt eine Veränderung in der Beziehung zwischen Arzt und Patient fest, wie «La croix» schreibt: «Früher hatte ein Patient, der sich in ein Krankenhaus in Spanien begab, die Garantie, dass alles zu seinem Besten getan würde. Heute ist das nicht mehr der Fall. Es gibt Angst aufseiten der Patienten, und ich denke, dass diese Angst berechtigt ist.» Er bedauert, dass nicht genug in die Palliativmedizin investiert wird.

Das Gesetz war 2021 sowohl von konservativen Parteien wie auch der Katholischen Kirche vehement abgelehnt worden. «Sterbehilfe ist immer eine Form von Mord, weil es bedeutet, dass ein Mensch am Tod eines anderen beteiligt ist», erklärte damals die spanische Bischofskonferenz.

 

Von den 576 Anträgen im Jahr 2022 starben 191 Personen vor Abschluss des Verfahrens; 152 starben an aktiver Sterbehilfe oder assistiertem Suizid; 22 verschoben den Termin auf später; 16 wurden abgelehnt und eine Person entschied sich schliesslich, keine Hilfe beim Sterben mehr in Anspruch nehmen zu wollen. (Angaben übernommen von «La croix».)

 

Regelung in der Schweiz

Direkte aktive Sterbehilfe
Gezielte Tötung zur Verkürzung der Leiden eines anderen Menschen. Der Arzt oder ein Dritter verabreicht dem Patienten absichtlich eine Spritze, die direkt zum Tod führt. Diese Form der Sterbehilfe verboten.

Indirekte aktive Sterbehilfe
Zur Linderung von Leiden werden Mittel (z. B. Morphium) eingesetzt, die als Nebenwirkung die Lebensdauer herabsetzen können. Der möglicherweise früher eintretende Tod wird in Kauf genommen. Diese Art der Sterbehilfe ist im Strafgesetzbuch nicht ausdrücklich geregelt, gilt aber als grundsätzlich erlaubt (vgl. SAMW-Richtlinien)

Passive Sterbehilfe
Verzicht auf die Aufnahme oder Abbruch von lebenserhaltenden Massnahmen (z. B. Sauerstoffgerät wird abgestellt). Auch diese Form der Sterbehilfe ist gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt, wird aber als erlaubt angesehen (vgl. SAMW-Richtlinien)

Beihilfe zum Selbstmord (auch Suizidhilfe genannt)
Nur wer gemäss Strafgesetzbuch aus «selbstsüchtigen Beweggründen» jemanden zum Selbstmord Hilfe leistet (z. B. durch Beschaffung einer tödlichen Substanz), wird nach Art. 115 Strafgesetzbuch bestraft.

 

Quellen:
https://www.sanidad.gob.es/eutanasia/ciudadania/informacionBasica.htm

https://www.la-croix.com/sante/euthanasie-en-espagne-trois-ans-apres-la-loi-un-acte-encore-exceptionnel-20240527

 


[1] Die Zahlen für das Jahr 2023 wurden noch nicht veröffentlicht.
[2] Voraussetzung ist die spanische Staatsangehörigkeit oder ein rechtmässiger Wohnsitz in Spanien oder ein Aufenthalt von mehr als 12 Monaten in Spanien.


Redaktion


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Bemerkungen :

  • Klaus Müller 05.06.2024 um 16:49
    In ein paar Jahren wird es hoffentlich völlig normal sein, sich al mündiger erwachsener Mensch für diesen Schritt zu entscheiden. Die Situation in den Pflegeheimen und der mobilen Pflege ist jetzt schon bereits unerträglich. Ich möchte nicht irgendwann mal 2x täglich frische Windeln bekommen, gefüttert werden und ansonsten dahinvegetieren. Ich fände es vor allem wichtig, dass das jeder für sich entscheiden kann. Wer nicht religiös gebunden ist und den Tod, für etwas völlig natürliches hält, der sollte die Hilfe zum Suizid in Anspruch nehmen können, wenn das Leben nach "eigenem Empfinden" unerträglich wird. Ich finde diese Entscheidung aufgrund ihrer Entgültikeit schon heikel genug. Da hat mir keiner rein zu reden. Angesichts der immer schlimmer werdenden Zustände in der Altenpflege, wir uns irgendwann nichts anderes mehr übrig bleiben als denen zu helfen, die freiwillig gehen wollen. Ich kenne Leute, die seit einem 3/4 Jahr einen Demenz Pflegeplatz suchen. Das sind keine Zustände, wenn die 80 Jährige mit ihrem 84 Jährigen schwer dementen Mann alleine gelassen wird. Man kann das moralisch anzweifeln, aber dann muss man auch für Lösungen sorgen. Und zwar jetzt sofort. Wir stecken bereits mitten in der Pflege Krise.
    • user
      Meier Pirmin 06.06.2024 um 11:09
      Ich wäre eigentlich mit allem, was Sie hier schreiben, einverstanden, schliesse für mich einen solchen Abgang meinerseits aus. Nur möchte ich vor der staatlichen Übernahme dieser elementarsten Aufgabe der Lebensbewältigung warnen. Es gibt hier Kompetenzen, von denen mit Sicherheit feststeht, dass sie missbraucht werden, und sei es auch nur, weil man dieser Aufgabe auch geistig-moralisch nicht gewachsen ist unterhalb des Niveaus sagen wir mal von Mutter Teresa. Es redet ihnen übrigens auch heute schon niemand rein bei solchen Entscheidungen, etwa, wenn Sie darauf verzichten wollten, Nahrung zu sich zu nehmen, eine Sterbemethode von nachweisbar mehreren Heiligen, die man auch in gesunden Tagen trainieren kann. Dies nur ein Beispiel
      • user
        Michael 06.06.2024 um 13:03
        Sehr geehrter Herr Meier,

        welche Heiligen meinen Sie?
        • user
          Meier Pirmin 07.06.2024 um 07:59
          Abgesehen von Pater Maximilian Kolbe wissen wir, dass die hl. Katharina von Siena im Alter von 33 Jahren die Nahrungsaufnahme eingestellt hat, was bei ihr tödliche Folgen hatte, dasselbe bei der Niederländerin Lidwina von Schiedam, auch die gute Beth von Reute, seliggesprochene Heilige des Konzils von Konstanz, scheint verhungert zu sein, ein Spezialfall von heiliger Anorexie ist und bleibt Bruder Klaus, worüber sich auch C.G. Jung interessant geäussert hat; schrieb selber ca. 100 Seiten zum Thema in meiner bekannten noch erhältlichen Biographie, hinter der wie meine heutige Arbeit lebenslange Beschäftigung seit meiner Zeit im Kollegium Sarnen steckt, habe diesbezüglich auch den Zusatzband zu Durrer meines Lehrers P. Rupert Amschwand beraten. Dabei mit dem bestqualifizierten deutschen Fastenarzt, Leiter einer Fastenklinik, mich damals ausgetauscht. Die NAHRUNGSLOSIGKEIT von Bruder Klaus wurde schon von den Bischöfen von Konstanz im Sinne des Hexenhammers verdächtigt, galt auch nie als Argument für Selig- und Heiligsprechung. Für mich ist sie ein zeichenhaftes Geheimnis, kein Wunder, so wie der Heilige in jeder Art Beanspruchung, besonders der politischen, wohl nicht ganz verstanden bleibt. Davon abgesehen, in keiner Weise Bruder Klaus nachahmen wollend, machte ich schon mehrfach Fastenexperimente, setzte mich auch mit Anorektikern und Anorektikerinnen auseinander. U.a. scheint Kafka verhungert zu sein jenseits seiner Krankheit.
          Wenn Sie mal 30kg und mehr abgenommen haben in einer strengen Fastendiät, müssen Sie sich überwinden, wieder normal zu essen. Der Hungertod durch Hungerstreik wäre meines Erachtens absolut schaffbar, dabei klar und eindeutig das Meditierren und sogar bis zu einem gewissen Grade die geistige Klarheit fördernd. Wie es freilich in der finalsten Phase wäre, kann ich nicht beurteilen. Der Beichtvater von Bruder Klaus erlaubte diesem das Fasten nur, so weit es nicht zum Tode führe. Das Nichtessen von Theresia von Konnersreuth, bei der versteckte Wurstwaren gefunden wurden und die beim Fasten noch zugenommen hat, gehört eindeutig in die Richtung Schizophrenie. Dies schliesse ich bei Bruder Klaus aus.

          Ich überlasse es Frau Schärer, ob Sie diese meine Antwort schalten will. Das Thema spielt eine weitere Rolle in meinem Lebensprojekt über die Mystik in der Schweiz und im oberschwäbischen Raum. Vor 12 Jahren starb eine sehr edle mir bekannte Frau an den Folgen von Anorexie, die aber in der Endphase in einen gefährlichen Wahn ausartete. Das Thema heilige Anorexie wurde von verschiedenen Forschungskollegen mitbehandelt, u.a. Prof. Dinzelbacher, Salzburg. Er würde es verdienen, vom Vatikan als Experte für Wunder beigezogen werden. Jeremias Gotthelf, der sich weniger mit Bruder Klaus befasst hat als ich, aber ihn genial verstand, bezeichnete sein Nichtessen wie andere auch schon als Leiden. dem er übrigens mit Ehrfurcht begegnete. Wie Sie wissen , teilte er auch die Vorurteile gegen Jesuiten nicht.
  • user
    Meier Pirmin 04.06.2024 um 19:16
    Man wird diese Sache wie die Abtreibung zum Menschenrecht emporstilisieren. Diejenigen, die nicht mitmachen werden, sind identisch mit denen, die man aus anderen Kulturen herholt, um den nicht mehr selber "produzierten" eigenen Nachwuchs zu ersetzen. Dahinter stecken säkulare, nichtchristliche, aber garantiert menschenfeindliche Ideologien, auch solche, die sich für humanitär ausgeben.