Christliche Armenier aus Berg-Karabach auf der Flucht. (Bild: Ministry of Defence of the Russian Federation, CC BY 4.0, via Wikimedia Commons)

Kommentar

Tod­sünde Islamophobie

Unlängst hat die Eid­ge­nös­si­sche Demo­kra­ti­sche Union (EDU) eine Peti­tion gestar­tet mit dem Titel: «Ret­tet Berg-​Karabach: Bun­des­rat Cas­sis und Migros, han­deln Sie!» Hin­ter­grund die­ser Peti­tion ist die Tat­sa­che, dass Aser­baid­schan drauf und dran ist, die auf sei­nem Staats­ge­biet gele­gene christlich-​armenische Enklave Berg-​Karabach zu liqui­die­ren. Der dort seit Jahr­hun­der­ten ansäs­si­gen Bevöl­ke­rung bleibt nur die Wahl zwi­schen Ver­trei­bung oder kul­tu­rel­lem Genozid.

EDU-Nationalrat Andreas Gafner äussert sich in der Petition wie folgt:
«Den 120 000 Armeniern in Berg-Karabach wird nicht nur das ihnen zustehende Selbstbestimmungsrecht verweigert. Nein, sie werden über die Blockade des Latschin-Korridors durch das Regime von Aserbaidschan ausgehungert. Gerade auch als Christ kann ich nicht wegsehen, wenn meine Brüder und Schwestern im Glauben drangsaliert und verfolgt und sie mit Vernichtung bedroht werden [...] Wir Schweizer mit unserer langen humanitären Tradition haben die moralische Verpflichtung, unseren Beitrag zu leisten, um dieses Elend zu beenden.»

Die Tageszeitung «Blick» hat diese Petition als löbliche Ausnahme unter den Mainstream-Medien in seinem redaktionellen Teil aufgegriffen. «Über Socar fliessen Milliarden in Aserbaidschans Kriegskasse» titelte er in seiner Online-Ausgabe vom 3. Oktober 2023 – und legte damit den Finger auf einen wunden Punkt: die wirtschaftlichen Verflechtungen der «Migros» mit dem Aggressor Aserbaidschan. Der «Blick» wörtlich: «Rund 200 Tankstellen betreibt Socar in der Schweiz, 75 davon mit Migrolino-Shop. Was den wenigsten bei ihrem Einkauf beim Tanken bewusst ist: Auf den Shops steht zwar Migrolino, in den Regalen gibts Migrolino-Produkte – doch betrieben werden die Geschäfte mittels Franchising-Vertrag direkt von Socar. Auch die Einnahmen wandern damit nicht zur Migros – sondern eben nach Aserbaidschan.» Der «Blick» rechnet vor: «Die Tankfüllung gibts für 100 Franken […]. Das Geld wandert direkt in die Staatskasse Aserbaidschans – und finanziert damit den Konflikt um die Südkaukasusregion Bergkarabach mit. Zumindest dann, wenn man bei Socar tankt und im Migrolino-Tankstellenshop einkauft.»

Die «Migros» am Pranger
Es ist richtig und wichtig, dass der «Blick» auf die zumindest indirekte Mitfinanzierung des Kriegstreibers Aserbaidschan durch die «Migros» hinweist. Doch was «Blick» tunlichst verschweigt, ist die Tatsache, dass es sich in diesem Krieg um einen vom islamischen Aserbaidschan brutal durchgezogenen Vernichtungsfeldzug gegen eine auf seinem Territorium befindliche christliche Gemeinschaft handelt. Wenige Tage später, am 8. Oktober 2023, doppelte der Deutsche Raphael Rauch im «SonntagsBlick» nach. Auch er stellt die «Migros» wegen ihrer Verflechtungen mit dem aserbaidschanischen Erdölkonzern Socar an den Pranger. Vor dem Hintergrund der Ideale des «Migros»-Gründers Gottlieb Duttweiler wettert er: «Anspruch und Wirklichkeit klaffen bei der Migros weit auseinander.» Doch auch er blendet die religiöse Dimension dieses Krieges vollkommen aus, spricht eindimensional verkürzt lediglich von einer «ethnischen Säuberung». Trotzdem irgendwie logisch, denn der Ex-Redaktionsleiter von «kath.ch» wurde ja gemäss Ringier-Angaben eigens als «Wirtschaftsredaktor» zum «Sobli» geholt ...

Mit dem schlechten Beispiel vorangegangen war das im Auftrag der Schweizer Bischofskonferenz tätige Medienportal «kath.ch». Das Schicksal der ihrer Vertreibung, ja ihrem Untergang entgegengehenden christlichen Bevölkerung in Berg-Karabach ist den «kath.ch»-Leuten offensichtlich egal. Bis dato waren sie zu keinem einzigen redaktionellen Beitrag imstande, begnügten sich vielmehr mit der Verlinkung von Drittquellen.

Gründe für das demonstrative Desinteresse
Woher kommt dieses demonstrative Desinteresse, ja diese regelrechte Aversion über das Schicksal von Christen in anderen Regionen der Welt zu berichten? Immerhin ist das Christentum jene Religion, die weltweit am meisten unter Verfolgungen und Diskriminierungen zu leiden hat. Rico Bandle hat dazu in der neusten Ausgabe der «SonntagsZeitung» (Ausgabe vom 8. Oktober 2023) Erhellendes zutage gefördert. In seinem Beitrag «120 000 Christen innert sechs Tagen vertrieben – und niemanden interessierts» geht er den Gründen dieses Tabus nach. Zunächst einmal konstatiert Bandle den Fakt, dass in der Schweiz im allgemeinen die Solidarität gross ist, wenn irgendwo auf der Welt eine Katastrophe ausbricht. Nicht so im Falle der armenischen Enklave Berg-Karabach. Obwohl gerade einmal 50 bis 1000 Menschen von den kurz zuvor dort lebenden 120 000 Armeniern zurückgeblieben sind. Brandle hat auf der Internet-Plattform der «Glückskette», der grössten Spendenplattform in der Schweiz, den Test gemacht: Dort wird zur Zeit für die Opfer des Erdbebens in Marokko gesammelt, ebenso für die Ukraine und die Hungergebiete in Ostafrika, nicht aber für Berg-Karabach. Dieser Befund gilt nicht nur für die Schweiz, sondern für den ganzen Westen. Brandle stellt die rhetorische Frage: «Ist der christlichen Welt die Zerstörung einer der ältesten christlichen Kulturen egal?»

Eine erste Ursache für dieses ostentative Wegschauen: Aserbaidschan verfügt über enorme Gas- und Erdöl-Reserven. Mit diesem Land wollen es die westlichen Staaten, insbesondere auch die EU, gerade auch angesichts des russischen Aggressionskrieges gegen die Ukraine, nicht verscherzen.

Was aber weit bedenklicher ist: Auch christliche Vertreter tun sich ausgesprochen schwer, ihre armenischen Glaubensgeschwister angesichts ihrer existenziellen Bedrohung in Schutz zu nehmen. Eine erbärmliche Rolle spielt ausgerechnet der Papst, der nicht zum ersten Mal ein verstörendes Signal aussandte. Sein Appell beschränkte sich darauf, Aserbaidschan und Armenien zum «Dialog» aufzurufen, «um den humanitären Konflikt zu beenden». Doch wie soll, fragt «SonntagsZeitung»-Autor Brandle zu Recht, ein «Dialog» aussehen, wenn eine Seite die andere bereits vertrieben oder gar ausgelöscht hat? Auch Rita Famos, Präsidentin der Evangelisch-Reformierten Kirche Schweiz, beliess es bei der Aufforderung an den Bundesrat, diese Auseinandersetzung im UNO-Sicherheitsrat zu thematisieren. Damit kommt Brandle auf den Kern des Problems zu sprechen. Er zitiert den ehemaligen Schweizer Botschafter Paul Widmer mit dem Satz: «Wahrscheinlich, weil sich viele fürchten, ein Eintreten für Christen könnte als verkappte Islamophobie denunziert werden.» Voilà!

Diese Islamophobie-Psychose ist gemäss Brandle Teil eines den Westen heimsuchenden Kollektiv-Komplexes: «Wer in unserer säkularen Gesellschaft offen für das Christentum einsteht oder sich auf christliche Werte beruft, macht sich fast schon verdächtig. Die einst katholisch-konservative CVP hat sich vor zwei Jahren sogar in ‹Die Mitte› umbenannt, um das belastete ‹C› loszuwerden. Als ob man sich seiner Wurzeln schämte.»

In der Tat: Dieser Reflex gehört gerade in links-progressiven kirchlichen Kreisen geradezu zum Markenzeichen. Man hat dort den klassischen Sündenkatalog quasi auf Null zusammengestrichen. Halt, nicht ganz: Eine einzige Sünde hat den Kahlschlag überstanden, dafür gleich eine Todsünde: jene der Islamophobie.


Niklaus Herzog
swiss-cath.ch

E-Mail

Lic. iur. et theol. Niklaus Herzog studierte Theologie und Jurisprudenz in Freiburg i. Ü., Münster und Rom.


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    Claudio Tessari 10.10.2023 um 21:38
    Leider ist die Politik oft gottlos. Russland der angebliche Beschützer Armeniens lässt sie im Stich. Und die Waffen für das muslimische Aserbaischan konnen zum grossen Teil gemäss neusten Berichten von Israel, welches gerade islamistischen Terror erlebt. Jeder schaut für sich, wer leider praktisch nie zusammenhält sind wir Christen….