Frau Waldvogel, Ihre Tochter wurde mit Trisomie 21 geboren. Können Sie kurz beschreiben, was das bedeutet?
Trisomie 21 wird nicht als Krankheit definiert, sondern es ist eine Chromosomenstörung. Das 21. Chromosom ist dreifach vorhanden. Neben Entwicklungsverzögerungen können auch verschiedene Begleiterkrankungen auftreten. Viele Kinder kommen mit einem Herzfehler zur Welt. So auch unsere Elisa. Sie hatte einen sogenannten Vorhofscheidewanddefekt Typ II. Doch dieser regulierte sich selbst innerhalb von 4 Jahren. Mittlerweile müssen wir nur noch alle 5 Jahre zum Ultraschall, um sicherzugehen, dass immer noch alles in Ordnung ist und auch um den Lungendruck zu kontrollieren. Menschen mit Trisomie 21 haben einen ausgeprägten Willen und eine starke Weglauftendenz. Sie haben einen unglaublichen Entdeckerdrang, können aber gleichzeitig Gefahren nicht einschätzen. Ausserdem zeigen sie keinerlei Scheu vor fremden Menschen.
Hatten Sie während Ihrer Schwangerschaft Tests machen lassen, mit denen sich die Wahrscheinlichkeit für Trisomie 21 berechnen lässt oder invasive pränatale Diagnostik?
Nein, obwohl ich eine Risikoschwangerschaft hatte und insgesamt 2 ½ Monate im Krankenhaus war, haben wir alle Tests abgelehnt. Für uns war immer klar, dass wir dieses Kind wollen, egal was es mitbringt. Wir mussten uns gegen Ärzte wehren, die das Kind aufgrund von Komplikationen bei mir abtreiben wollten und natürlich wurde uns immer wieder geraten, wir sollen die pränatalen Tests machen. Doch beides kam zu keiner Zeit für uns in Frage. Wir sind für das Leben, es liegt nicht in unserer Hand, wer leben darf und wer nicht und in welcher gesundheitlichen Verfassung.
Wann haben Sie realisiert, dass Ihre Tochter Trisomie 21 hat?
Kurz nach der Geburt von Elisa sind meinem Mann und mir die mandelförmigen Augen aufgefallen. Nach etwa drei Stunden sprachen wir das erste Mal darüber. Wir waren uns beide fast sicher, dass sie Trisomie 21 mitgebracht hatte. Doch weder Hebammen noch Ärzte sprachen uns darauf an. Drei Tage später fragte ich eine Hebamme, ob ihr das nicht auch aufgefallen sei und sie meinte, ja, sie und die Ärzte hätten das auch bemerkt. Es kam dann ein Kinderarzt ins Krankenhaus und untersuchte sie. Doch er meinte, ausser den Augen und einer durchgehenden Handfurche sei ihm nichts aufgefallen. Da Elisa einen zu hohen Bilirubinwert hatte und nicht weiter im Krankenhaus behandelt werden konnte, wo sie geboren wurde, mussten wir dann in ein anderes Krankenhaus. Da wurde ein Chromosomenschnelltest gemacht und alle Organe untersucht. Am 10. Tag bekamen wir die definitive Bestätigung für Trisomie 21.
«Wir sind für das Leben, es liegt nicht in unserer Hand, wer leben darf und wer nicht und in welcher gesundheitlichen Verfassung.»
Wie hat das medizinische Personal auf die Diagnose reagiert und haben sie von medizinischer Seite Hilfe erfahren, worauf Sie bei Ihrem Kind besonders achten müssen?
Nachdem das Krankenhaus die Testresultate bekam, wurde ich ins Arztzimmer zitiert. Die Assistenzärztin wollte nicht einmal auf meinen Mann warten, der 10 Minuten später eintraf. Sie hat mir dann sehr empathielos das Ergebnis mitgeteilt. Sie hat die Zukunft von Elisa schwarzgemalt und nur aufgezählt, welche Krankheiten sie noch bekommen könnte und welche Dinge sie nie lernen wird. Das Gespräch dauerte 10 Minuten. Dann kam mein Mann und wir wurden erneut ins Ärztezimmer gebeten, wo sie uns die gleichen Dinge zusammen nochmals erzählte. Dann drückte sie uns einen Zettel in die Hand mit einer Telefonnummer, wo wir uns bei Fragen melden konnten. Der Anruf kostete pro Minute drei Franken und wir wären wohl arm geworden bei einem Anruf, weil wir viele Fragen hatten. Keine 30 Minuten später waren wir auf dem Heimweg mit unserer Tochter, ohne Informationen und ziemlich ratlos, was uns jetzt erwartet.
Für die Eltern ist die Diagnose Trisomie 21 zunächst wohl ein Schock. Was hat Ihnen geholfen, damit umzugehen?
Wir sind mit Elisa nach Hause und haben sofort im Internet nach Informationen gesucht. Dabei haben wir ein Video gefunden von Insieme, was uns sehr zum Lachen gebracht hat. Das war sehr heilsam. Und wir mussten feststellen, alles, was die Ärztin uns erzählte, eintreffen kann, aber es muss nicht. Es gibt so viele gesunde Kinder mit Trisomie 21. Von Käthi Kaufmann, Präsidentin von IG Familie 3 Plus, habe ich dann eine Telefonnummer vermittelt bekommen, von einer Familie mit einem älteren Kind mit Trisomie 21. Dieses Gespräch hat mir auch sehr geholfen.
Heute gibt es zum Glück den Verein Hope21, der hier wertvolle Aufklärungsarbeit leistet und für den wir uns engagieren. Das war uns sehr wichtig, dass es für werdende Eltern von Trisomie 21-Kindern oder solche, die gerade ein Kind bekommen haben, eine Anlaufstelle gibt, wo sie ausgewogen und nicht einseitig informiert werden. Wenn wir nur ein Elternpaar überzeugen können, dass ein Kind mit Trisomie 21 nicht nur eine Belastung ist, sondern auch unendlich grosses Glück bedeuten kann, dann hat sich der ganze Aufwand gelohnt. Auch der neu gegründete Verein Adastra ist eine grosse Hilfe. Es ist ein Netzwerk für Eltern mit einem schwerkranken oder behinderten Kind. Der Austausch über die alltäglichen Hürden, aber auch über die Fortschritte unserer Kinder ist sehr wertvoll und die regelmässigen Treffen bedeuten eine kleine Auszeit vom Alltag.
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