Eine zerstörte Stadt im Gebiet Luhansk in der Ukraine 2022. (Bild: ngu.gov.ua)

Weltkirche

Ukrai­ni­scher Kir­chen­kon­flikt Thema im UN-​Sicherheitsrat

Schlag­ab­tausch im UN-​Sicherheitsrat zur Kir­chen­po­li­tik in der Ukraine. Für Mos­kau sprach ein Bischof. Nach Ansicht einer Exper­tin belegt dies die bedin­gungs­lose Loya­li­tät der russisch-​orthodoxen Kir­chen­füh­rung zum Kreml.

Diese Szene kann zum Sinnbild dafür werden, wie kremlhörig die russisch-orthodoxe Kirche ist: Ihr Metropolit Antonij sprach am Dienstag (Ortszeit) vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen im Auftrag der russischen Regierung. Der 38-Jährige erschien – zugeschaltet aus Moskau – auf der riesigen Videowand im UN-Hauptquartier in New York und beschuldigte die Ukraine, die laut ihm grösste Religionsgemeinschaft des Landes, die ukrainisch-orthodoxe Kirche (UOK), «vernichten» zu wollen. Mit keinem Wort kritisierte er hingegen, dass die russischen Streitkräfte seit Februar mehr als 100 Gotteshäuser der UOK schwer beschädigten oder zerstörten.

Antonij leitet das Aussenamt der russisch-orthodoxen Kirche und gilt als einer der engsten Vertrauten des Moskauer Patriarchen Kyrill I. Sein Auftritt im einflussreichsten UN-Gremium demonstriert erneut, welch wichtige Rolle die Kirche bei Moskaus Begründung des Kriegs gegen die Ukraine spielt. Ein zentrales Argument ist, orthodoxe Christinnen und Christen würden im südlichen Nachbarland verfolgt und müssten von Russland verteidigt werden.

Der ukrainische UN-Botschafter Serhij Kyslyzja konterte in der Sitzung: «Es ist eine wahre Verhöhnung des Rates, wenn sich ein Komplize der Verbrechen gegen die Menschlichkeit in den Mantel des Predigers kleidet und dem Sicherheitsrat erklärt, welche Glaubensgemeinschaft in der Ukraine als kanonisch anerkannt wird und welche als häretisch bezeichnet werden sollte.» Er zitierte auch eine Erklärung der UOK, dass sie das Moskauer Patriarchat nicht ermächtigt habe, in ihrem Namen bei den Vereinten Nationen zu sprechen.

Sein russischer Gegenspieler im Sicherheitsrat, Botschafter Wassili Nebensja, versicherte zwar, Moskau habe nicht das Ziel, den ukrainischen Staat zu zerstören. Er fügte aber hinzu: «Wir werden uns nicht mit der Tatsache abfinden, dass sich an unseren Grenzen eine bösartige, russophobe, antichristliche Diktatur bildet.» Nebensja warf Kiew vor, einen «Krieg» gegen die «kanonische» UOK zu führen, der die Ukraine an den Rand eines grossen religiösen Konflikts gebracht habe. Die Ukraine sei nur Schritte von einer «brudermörderischen inneren religiösen Katastrophe» entfernt.

Keine friedenstiftende Rolle
Dass Russland mithilfe der Kirche das Thema der Religionsfreiheit in den UN-Sicherheitsrat bringt, wertet die Theologin und Osteuropa-Expertin Regina Elsner als ein weiteres Zeichen für die grosse Bedeutung von Religion in der internationalen Politik. Bereits 2018 habe sich der russische Sicherheitsrat mit der Kirchenfrage in der Ukraine beschäftigt, sagte sie am Mittwoch der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).
Seither sammle das orthodoxe Moskauer Patriarchat gemeinsam mit Akteuren in der Ukraine Hinweise auf Attacken von Einzelpersonen und Kommunalverwaltungen gegen die UOK. Diese Kirche war Moskau bis Mai 2022 unterstellt, erklärte sich dann aber für unabhängig.

«Gleichzeitig hat sich die russisch-orthodoxe Kirche systematisch als Beschützerin verfolgter Christinnen und Christen in internationalen Gremien eingebracht», so Elsner. «Auch in Syrien spielte diese Argumentation eine wichtige Rolle, ebenso in Afrika.»

Der Auftritt von Metropolit Antonij im UN-Sicherheitsrat zeige, «dass die Führung der Kirche bedingungslos hinter der Kriegsideologie Russlands steht und die Lage der Gläubigen in der Ukraine für ihre eigenen Ziele missbraucht», so die Mitarbeiterin des Zentrums für Osteuropa- und internationale Studien in Berlin. Auch sie verwies darauf, dass die Leitung der UOK den Kreml und das Moskauer Patriarchat aufgefordert hatte, nicht in ihrem Namen in internationalen Gremien zu sprechen. Es sei «dramatisch», dass Russland den Sicherheitsrat für eigene «Kriegspropaganda nutzen kann», sagte Elsner. Die Ukraine habe bisher den Schutz der Religionsfreiheit trotz starker Manipulationen aus Russland garantiert.

Von politischer Repression zu sprechen, sei zynisch angesichts der Zerstörung und Missachtung der Religionsfreiheit durch Russland selbst, «in der Ukraine und in Russland – und mit ausdrücklicher Unterstützung des Moskauer Patriarchats», so die Expertin. Das aktuelle Vorgehen der Ukraine gegen den russischen Einfluss innerhalb der UOK sei eine «Gratwanderung». Diese könne jedoch gerade durch die Begleitung und Beratung internationaler Partner gelingen, ohne die Rechte der Gläubigen der UOK einzuschränken und eine gesamte Religionsgemeinschaft mitten im Krieg zum Feind zu erklären.

Elsners tragisches Fazit: «Einmal mehr sehen wir aber auch, dass die christlichen Kirchen in der Ukraine und Russland selbst viel zu belastet sind, um tatsächlich eine friedenstiftende Rolle spielen zu können.»

Der UN-Sicherheitsrat begnügte sich mit einer Debatte. Es gab weder eine Resolution noch eine Abstimmung. Die meisten Redner und Rednerinnen warfen Moskau vor, mit der beantragten Diskussion von eigenen Kriegsverbrechen ablenken zu wollen. Für Ecuador kritisierte Hernan Perez Loose, dass Russland trotz der für die orthodoxen Weihnachtstage angekündigten Feuerpause seine Angriffe auf die Ukraine fortgesetzt habe. Zuvor hatte Kiew die angebotene Waffenruhe als «Heuchelei» abgelehnt.

Frankreichs Botschafter Nicolas de Riviere nannte die UN-Sitzung ein Beispiel für «die zynische Desinformationsstrategie der Russischen Föderation». Moskau behaupte, die Religionsfreiheit zu verteidigen, obwohl es sich offen über einen selbst erklärten Waffenstillstand hinweggesetzt habe. Russland habe Zivilisten getötet und verletzt und begehe weiterhin schwere Menschenrechtsverletzungen in der Ukraine. Es torpediere auch die Religionsfreiheit dort, so der Diplomat.

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KNA Katholische Nachrichten-Agentur


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