Petrus empfängt die Schlüssel von Jesus. (Bild: Roland Graf/swiss-cath.ch)

Kirche Schweiz

Vom Ende der Volkskirche

Die Mel­dung, die Katho­li­sche Kir­che in der Schweiz habe im Jahre 2021 einen neuen Rekord bei den Kir­chen­aus­trit­ten erreicht, ist für aktive Gläu­bige wenig über­ra­schend. Seit Jahr­zehn­ten schwin­det die Iden­ti­fi­ka­tion mit der Kir­che, wobei die Ent­wick­lung in den letz­ten Jah­ren eine Dyna­mik ange­nom­men hat, deren Kraft wei­ter­hin zunimmt.

Zwei Hoffnungen, auf welche die kirchlichen Verantwortungsträger gesetzt hatten, lösten sich in den letzten Jahren in Luft auf. Einerseits diejenige, dass eine Krise wie die Corona-Pandemie, eine Rezession oder ein Krieg die Menschen wachrüttelt und sie wieder zum Glauben führt, und andererseits die Meinung, dass die Kirchgemeindemitglieder weiterhin brav Steuern zahlen, auch wenn nur sehr wenige davon praktizierende Gläubige sind.
Natürlich besinnen sich Menschen in Krisensituationen auf Fundamente, die ihnen wichtig sind. Wer aber sein ganzes Leben keinen Bezug zur Kirche hatte, wird in einer Krise dort nicht sein Heil suchen, sondern sich eher noch mehr von ihr distanzieren. Der Kulturkatholizismus, verstanden als sich dem Zeitgeist andienende, vom Korsett der Dogmen vermeintlich befreite Zivilreligion, hingegen liegt wie sein älterer protestantischer Bruder im Sterben.
In einer Gesellschaft, in welcher der Grossteil der Bürgerinnen und Bürger einer der beiden grossen Landeskirchen angehört, kann man davon ausgehen, dass sozio-kulturelle Faktoren die Menschen aus Gewohnheit und Tradition an die Kirche binden, auch wenn der Glaube nicht mehr oder nur noch oberflächlich gelebt wird. Je mehr es jedoch zur Normalität gehört, aus der Kirche auszutreten, desto tiefer wird die Hemmschwelle für den Einzelnen, diesen Schritt ebenfalls zu vollziehen. Daher entpuppen sich die beiden Hoffnungen, auf die einige Bischöfe und Funktionäre der Kantonalkirchen setzten, als eigentliche Damoklesschwerter, die über der hiesigen Kirche schweben. Das Tempo der Entkirchlichung wird sich in den nächsten Jahren nicht verlangsamen, sondern weiter zunehmen, dies unabhängig davon, welche wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen auf die Gesellschaft als Ganzes zukommen.

Illusionen
Die Erkenntnis, dass sich die Zeiten der Volkskirche in naher Zukunft ihrem Ende zuneigen, kann drei unterschiedliche Reaktionen hervorrufen: Einerseits die Resignation, die vor allem die Gläubigen treffen wird, die sich jahrelang mit der Volkskirche identifizierten und auch ehrenamtliche Arbeit leisteten, damit diese gedeiht. Diese Resignation trägt in sich das Potenzial für radikale kirchenpolitische Forderungen, die heute auch von denjenigen Menschen erhoben werden, die ein konservatives, gutbürgerliches Leben führten. Wenn plötzlich von den Mainstream-Medien weich geklopfte Damen und Herren im Rentenalter sich für Gendersprache in der Kirche, die Akzeptanz queerer Menschen, die Umpolung der Sexualmoral sowie die Abschaffung des Zölibats engagieren, obwohl die meisten zeitlebens ein unauffälliges Bünzli-Dasein fristeten, stellt dies einen letzten Versuch dar, der Volkskirche durch Anpassung an den Zeitgeist neues Leben einzuhauchen. Ein wenig Selbstreflexion würde genügen, um zu erkennen, wie hilf- und aussichtslos ein solcher Versuch ist.

Eine weitere Reaktion ist, aus dem Niedergang der Kirche noch so viel Kapital wie möglich zu schlagen. Das duale System, das an sich einige Vorteile bietet, hat leider viele Menschen in die Führungsetagen der Kantonalkirchen gehievt, die den pekunären Verlockungen stärker zugeneigt sind als den spirituellen Herausforderungen. Aktionen wie die sinnentleerte Kampagne «Kirchensteuer-sei-dank» oder der jüngste Vorschlag, die Kirchgemeinden müssten einen neuen Geldsegen durch Immobilienbewirtschaftung generieren, zeugen von einer Verirrung der Geister, die den gleichen Fehler begeht wie die Israeliten nach ihrem Auszug aus Ägypten. Es ist zwar sehr menschlich, aus einer Existenzangst heraus das goldene Kalb anzubeten, aber wir Christinnen und Christen sollten in jeder Situation unser Heil in Gott suchen.

Grund zur Hoffnung
So wird es noch die letzte Gruppe der Reagierenden geben, die mit Simon Petrus der jetzigen Krise mit der Antwort begegnet, dass ein Gläubiger keinen anderen Zufluchtsort ausser Christus finden kann, da dieser die Worte des ewigen Lebens hat. Im Vertrauen darauf, dass Jesus seine Kirche nicht im Stich lässt, wird diese überschaubare Schar von Gläubigen weiterhin den Glauben praktizieren und sich nicht dadurch irritieren lassen, dass sich die Welt um sie herum immer stärker entchristlicht. Vor diesen unerschütterlichen Liebhabern der Kirche stehen grosse Herausforderungen, die Papst Franziskus in seinen Ansprachen benennt: Intellektueller Hochmut, Verschlossenheit gegenüber Aussenstehenden und Versteifung auf Einzelfragen werden dem Neuaufbau einer authentischen Kirche, nachdem die Volkskirche in Bälde in sich zusammenstürzen wird, im Wege stehen.

Die Volkskirche hat durch ihre Schwerfälligkeit und die enorme Aufblähung der einzelnen Institutionen viel von der spirituellen Tiefe und Kraft verloren, die das Christentum in seinen Anfängen auszeichneten. Dieses von einer überzüchteten, selbstverliebten Universitäts-Theologie noch verschonte Christentum bestand und besteht darin, sich dem in den Sakramenten der Kirche sich schenkenden Gott der Liebe zu öffnen, ihm durch das Gebet auf seine unbegreifliche Liebe zu antworten und dem Mitmenschen, ob Mitchrist oder nicht, ebenfalls durch Taten der Liebe zu begegnen. In welchem Masse es dergestalt von Gott ergriffenen Gläubigen gelingt, diese dreifache Liebesbezeugung zu verwirklichen, wird mit darüber entscheiden, ob die momentan Resignierten und die dem Gelde Erlegenen von den falschen Pfaden umzukehren gewillt sind und auch neue Menschen für den Glauben gewonnen werden können. Diese Aufgabe ist gross, jedoch mit Gottes Hilfe machbar.


Daniel Ric


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Bemerkungen :

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    eilinger-weibel 13.11.2022 um 20:33
    Gut auf den Punkt gebracht! (leider ... ) DANKE
    Dem Leib Christi wird es, wie seinem Haupt Jesus Christus selber ergehen. Nur eine kleine Gruppe ist unter dem Kreuz bei IHM geblieben. ER ist gestorben ! und/aber am dritten Tag wieder auferstanden !!!
  • user
    Erich Häring 08.11.2022 um 09:52
    Nachdem ich Ihren Text sorgfältig gelesen habe, erlaube ich mir die Anmerkung, dass kritische Bemerkungen, das was kritisiert wird, auch mit der Sorgfalt angegangen wird, die A. Reckwitz in einem seiner Bücher so formuliert: „ „Latour plädiert dafür, sich den Existenzformen der modernen Gesellschaft, d.h. den politischen, ökonomischen, religiösen, künstlerischen, rechtlichen, alltagskulturellen Praktiken, in einer Haltung der Wertschätzung zu nähern, sie nicht bloss als zu dekonstruierende matters of fact zu behandeln, sondern als matters of concern, als „Dinge von Belang“, die einen etwas „angehen“ und mit denen man „sorgsam“ umgehen sollte.“
    • user
      Daniel Ric 09.11.2022 um 08:44
      Lieber Herr Häring, mir geht es nicht darum, die Verdienste der Volkskirche zu werten. Sicherlich hat sie vielen Menschen einen grossen Halt gegeben. Wie ich auch im Text schreibe, erachte ich das duale System, sofern es durch gläubige Menschen geprägt wird, als gutes System. Aber die Tatsache, dass die Austrittsraten ein Mass angenommen haben, welches unweigerlich zum schnellen Niedergang bzw. Auflösung der Volkskirche führen wird, lässt sich nicht bestreiten. Bei den Reformierten wird dies schon in ganz wenigen Jahren der Fall sein, da die Austrittsraten dort noch höher sind und die reformierte Kirche nicht von einer reformierten Migration profitieren konnte, so wie es bei der katholischen Kirche der Fall war. Ich plädiere daher für eine sehr nüchterne Analyse dieser Entwicklung, die sich diesen Tatsachen stellt, ohne ideologisch zu werten. Meine persönliche Meinung ist jedoch, dass in der Deutschschweiz gravierende pastorale Fehler begangen wurden. Als Beispiel hierfür möchte ich die Katechese anführen, die in vielen Pfarreien bereits seit Jahrzehnten darauf verzichtet, theologisches Wissen zu vermitteln. Heute stehen wir vor der schwierigen Situation, dass zwei - vielleicht sogar drei - Generationen kein religiöses Wissen aufweisen. Wenn wir der katholischen Kirche in der Schweiz eine Zukunft geben wollen - und ich glaube daran, dass sie eine hat - müssen wir von den Fehlern der Vergangenheit lernen.
    • user
      Kirchenkätzchen 09.11.2022 um 14:12
      Werter Herr Häring,

      mit Sicherheit sind die Institute der modernen Gesellschaft etwas wert. Der Wert ist allerdings im Abnehmen begriffen, prominentestes Beispiel ist wohl die Pervertierung der Ehe.
      Wenn sich dann Teile der Staatskirche auf die nichtkirchliche Seite schlagen, dann ist dies zwar eine Wertschätzung jener Gesellschaft, aber nicht aufgrund ihrer kirchlichen Wurzeln, sondern eine relative (=zur herrschenden Gesellschaft in Beziehung gesetzte) Herabwürdigung der Kirche und ihrer Lehre.
  • user
    Kappeler Johann 05.11.2022 um 06:48
    Danke für diesen Artikel