Das Kloster Einsiedeln mit seinem eindrücklichen barocken Saal bildete einen würdigen Rahmen für die diesjährigen «Einsiedler Adventseinkehrtage». Das erste Referat1 von Prof. Dr. Jan-Heiner Tück2 führte die Zuhörenden zurück in die Antike, um von dort aus das Kreuz zu erschliessen.
Die Kirchenväter haben öfters Mythen rezipiert, um das Evangelium in die hellenistische Kultur zu übersetzen. Ein besonderes Interesse galt dem Mythos von Odysseus: Im zwölften Gesang der Odyssee kündigt die Göttin Kirke dem Seefahrer die Gefahren der weiteren Schifffahrt an. Zwei Herausforderungen werde er zu bestehen haben, zuerst den betörenden Gesang der Sirenen, dann die Meerenge zwischen Skylla und Charybdis. Die Göttin empfiehlt Odysseus, die Ohren seiner Gefährten mit Wachs zu verstopfen, damit sie den verführerischen Gesang erst gar nicht hören. Wenn er selbst eine Ausnahme machen wolle, so solle er sich an den Mast des Schiffes binden lassen. So könne er der todbringenden Verlockung entgehen.
In ihren Interpretationen bezogen die Kirchenväter das Meer auf die Welt, das Schiff auf die Kirche und den Mast auf das Kreuz. In der allegorischen Lesart wird der an den Mast gebundene Odysseus auf den Christen bezogen, der sich mit Christus freiwillig an das Holz des Kreuzes binden lässt, um die Gefährdungen der Zeit zu bestehen und die ewige Heimat zu erreichen. Im Gesang der Sirenen sehen die Kirchenväter in erster Linie «die vielfältigen Verlockungen der Weltlust, denen der Mensch auf seiner Reise nicht erliegen darf, wenn er den Hafen des Heils erreichen will.»
Ambrosius von Mailand (339–397) greift den ästhetischen Reiz der Sirenen positiv auf, um ihn dann christlich zu überbieten. «Mag der Gesang der Sirenen bezaubern, die Schönheit des christlichen Glaubens bezaubert noch mehr! […]. Nicht schliessen, sondern öffnen soll man die Ohren, um Christi Stimme zu hören, denn wer sie vernimmt, braucht nicht Schiffbruch zu fürchten […].»3
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