Das Wachsen auf Christus hin braucht gegenseitige Unterstützung. (Bild: Iglesia in Valladolid/flickr CC BY-SA 2.0)

Neuevangelisierung

Wach­sen in der Liebe und der Berufung

Die heute behan­del­ten Kapi­tel des nach­syn­oda­len Apos­to­li­schen Schrei­bens «Vita con­se­crata» wer­fen einen Blick in die Zukunft des geweih­ten Lebens und beschäf­ti­gen sich inten­siv mit der lebens­lan­gen Wei­ter­bil­dung, die dem geweih­ten Leben eigen ist.

Obwohl das Schreiben schon fast 30 Jahre alt ist, klingen die Worte von Johannes Paul II. aktuell: «Die Veränderungen, die in der Gesellschaft in Gang sind, und der Rückgang an Berufungen lasten schwer auf dem geweihten Leben in einigen Gegenden der Welt. Die apostolischen Werke vieler Institute und selbst ihre Anwesenheit in manchen Ortskirchen stehen auf dem Spiel» («Vita consecrata» 63)[1]. Einige Gemeinschaften und Institute wurden inzwischen aufgelöst, andere müssen sich neu organisieren. So haben z. B. einige Orden ihre Provinzen zusammengelegt oder sich für ein europäisches Noviziat entschieden.

Johannes Paul II. warnt davor, in dieser Situation das Vertrauen in «die evangelische Kraft des geweihten Lebens» zu verlieren. Diese ist in der Kirche immer vorhanden und wird auch weiterhin wirksam sein. Orden und Institute können in der Geschichte entstehen und auch wieder aufgelöst werden, doch die kirchliche Sendung des geweihten Lebens ist auf die Ewigkeit ausgerichtet; das gilt sowohl für das kontemplative wie auch für das aktive geweihte Leben. Er ermuntert die Frauen und Männer des geweihten Lebens, der aktuellen Situation mit Gelassenheit eines Menschen zu begegnen, «der weiss, dass von jedem einzelnen nicht so sehr der Erfolg als die Verpflichtung zur Treue» verlangt wird. Denn die wirkliche Niederlage würde darin bestehen, in der Hinwendung zu Gott und der eigenen Berufung nachzulassen. Gerade die Treue kann für die Welt zu einem Zeichen werden. «Die schmerzlichen Krisensituationen sind für die Personen des geweihten Lebens ein Ansporn, mit Festigkeit den Glauben an den Tod und die Auferstehung Christi zu verkünden, um zum sichtbaren Zeichen des Durchgangs vom Tod zum Leben zu werden» (VC 63).

Berufung – eine Aufgabe der Weltkirche
Das Problem der fehlenden Berufungen ist nicht nur eine Herausforderung für die Orden und Gemeinschaften, sondern betrifft die ganze Kirche. Während Berufungen zum geweihten Leben in den jungen Kirchen blühen und auch in den Ländern, die unter Verfolgungen litten oder leiden, schwinden sie in den reicheren Ländern. Wir dürfen darauf vertrauen, dass Jesus Christus auch heute noch Menschen zur Ganzhingabe beruft, aber es liegt an der ganzen Kirche, sich dafür einzusetzen. «Während wir uns also über das Wirken des Geistes freuen, der die Braut Christi dadurch verjüngt, dass er das geweihte Leben in vielen Nationen blühen lässt, müssen wir inständig zum Herrn der Ernte beten, damit er Arbeiter in seine Kirche sende, um sie für die dringenden Erfordernisse der Neuevangelisierung bereit zu machen» (VC 64). Dabei denkt er nicht nur an die Förderung des Gebets um Berufungen, sondern auch an die Notwendigkeit einer klaren Verkündigung und einer entsprechenden Katechese. Die Einladung Jesu aus dem Johannesevangelium: »Kommt und seht!« ist auch heute noch die goldene Regel der Berufungspastoral. Deshalb muss es die erste Aufgabe der Frauen und Männer des geweihten Lebens sein, durch Wort und Beispiel «das Ideal der Nachfolge Christi» vorzustellen.

Auch wenn die Berufungen fehlen, dürfen wir nicht leichtfertig und unbedacht Menschen anwerben. Wichtig ist gemäss Papst Johannes Paul II., dass die Kirche als Ganzes die Förderung von Berufungen «als eine gemeinsame Verpflichtung» versteht. So sollen hier Seelsorger, Ordensleute, Familien und Erzieher zusammenarbeiten.

Ganzheitliche, lebenslange Ausbildung
Damit die Berufung wachsen kann und die Freundschaft zu Christus sich vertiefen kann, braucht es eine gute Anfangsausbildung. «Zentrales Ziel des Ausbildungsweges ist die Vorbereitung des einzelnen auf seine Ganzhingabe an Gott in der Nachfolge Christi zum Dienst der Sendung» (VC 65). Jede und jeder Berufene ist verantwortlich dafür, Ja zu sagen, zum Ruf des Herrn und «persönlich die Dynamik des Wachsens der Berufung anzunehmen».

Das Ziel des geweihten Lebens besteht in der Gleichgestaltung mit dem Herrn Jesus und in der Ganzhingabe an ihn; die berufene Person muss deshalb ganz von IHM erfüllt sein, damit «jede ihrer Verhaltensweisen oder Gebärden sowohl in den wichtigen Augenblicken als auch in den gewöhnlichen Lebensumständen ihre volle und frohe Zugehörigkeit zu Gott» enthüllt. Die Ausbildung muss entsprechend ganzheitlich sein – den Menschen mit all seinen Aspekten berücksichtigen – und kann nie abgeschlossen sein.

Johannes Paul II. bringt den schönen Gedanken, dass Gott Vater selbst in der ständigen Gabe Christi und des Geistes der Ausbilder dessen ist, der sich ihm weiht. Dabei bedient er sich der menschlichen Vermittlung, indem er dem, den er ruft, einige ältere Brüder und Schwestern zur Seite stellt. «Die Ausbildung ist also Teilhabe am Handeln des Vaters, der durch den Geist im Herzen der jungen Männer und Frauen die Gesinnung des Sohnes formt» (VC 66).
Die Ausbilder müssen daher selbst erfahrene Gottsucher sein, um auch andere auf diesem Weg begleiten zu können.

In apostolischen Instituten soll in der Erstausbildung von Anfang an auch die missionarische Dimension der Weihe an Gott ihren Platz haben, um «im Dialog mit der umgebenden Kultur apostolische Verhaltensweisen, Anpassungsfähigkeiten und Unternehmungsgeist zu üben» (VC 67). Es ist wichtig, dass sich die Männer und Frauen des geweihten Lebens im Licht des Evangeliums ein kritisches Bewusstsein gegenüber den Werten und Unwerten der eigenen Kultur bilden, aber auch jener, in der sie künftig arbeiten werden. Sie müssen sich in der «schwierigen Kunst der Einheit des Lebens, der gegenseitigen Durchdringung der Liebe zu Gott und der Liebe zu den Brüdern und Schwestern» üben. So werden sie erkennen, dass das Gebet die Seele des Apostolates ist, aber auch, dass das Apostolat das Gebet belebt und anregt.

Die Synode zum geweihten Leben hat eine Ausbildung bis zur ewigen Profess empfohlen und alle Institute des geweihten Lebens und die Gesellschaften des apostolischen Lebens gebeten, eine «ratio institutionis» auszuarbeiten, das heisst einen am Charisma des Instituts inspirierten Ausbildungsplan. «Die ratio antwortet heute auf eine echte Notwendigkeit: sie zeigt einerseits auf, wie der Geist des Instituts vermittelt werden soll, damit er von den jungen Generationen in der Unterschiedlichkeit der Kulturen und der geographischen Lagen unverfälscht gelebt werde; andererseits erläutert sie den Personen des geweihten Lebens die Wege, um den gleichen Geist in den verschiedenen Lebensphasen im Fortschreiten auf die volle Reife des Glaubens an Christus hin zu leben» (VC 68).

Dynamismus der Treue
Papst Johannes Paul II. spricht von einem Dynamismus der Treue und unterscheidet vier Phasen im Leben der geweihten Frauen und Männer.

Die ersten Jahre im Orden, Institut oder Gemeinschaft dienen der Eingliederung in die Gemeinschaft und in die apostolische Tätigkeit. Sie sind gekennzeichnet vom Übergang von einem gelenkten Leben in die «volle tätige Verantwortlichkeit».

In der nächsten Phase besteht das Risiko, dass das geweihte Leben zur Gewohnheit wird und daraus folgend die Versuchung, über die Dürftigkeit der Ergebnisse enttäuscht zu sein. Es gilt, ihnen zu helfen, ihre Berufung im Lichte des Evangeliums und der charismatischen Inspiration neu zu überdenken. Johannes Paul II. nennt es ist die Phase der Suche nach dem Wesentlichen.

Die dritte Phase – Johannes Paul II. nennt sie die Phase des reifen Alters – kann die Gefahr «eines gewissen Individualismus» mit sich bringen. Dieser Individualismus kann zwei verschiedene Ausprägungen haben: Einerseits Angst, nicht mehr in die Zeit zu passen, andererseits ein Erstarren oder Erschlaffen. In dieser Lebensphase soll die ständige Weiterbildung helfen, wieder eine höhere geistliche und apostolische Lebenshaltung zu erlangen, aber auch die besondere Eigenart dieser Lebensphase zu entdecken. «Nach Läuterung einiger Aspekte der Persönlichkeit steigt in dieser Lebensphase tatsächlich die Selbsthingabe mit grösserer Lauterkeit und Hochherzigkeit zu Gott empor und kommt ruhiger, diskreter und zugleich transparenter und gnadenreicher auf die Brüder und Schwestern nieder» (VC 70). Das ist das Geschenk und die Erfahrung der geistlichen Vater- und Mutterschaft.

In der Phase des «fortgeschrittenen Alters» zieht sich die Person des geweihten Lebens meistens aus dem aktiven Wirken zurück. Dies kann altersbedingt sein, aber auch infolge einer Krankheit. Die damit einhergehende Untätigkeit stellt eine Erfahrung dar, die in hohem Masse formend sein kann. «Obwohl dieser Rückzug oft schmerzlich ist, bietet er der Person des geweihten Lebens dennoch die Gelegenheit, sich von der österlichen Erfahrung formen zu lassen und die Gestalt des gekreuzigten Christus anzunehmen, der in allem den Willen des Vaters erfüllt und sich in seine Hände gibt, bis er ihm den Geist zurückgibt» (VC 70). Diese Gleichgestaltung ist weder an die Effizienz einer Führungsaufgabe noch an eine apostolische Arbeit gebunden. «Wenn dann der Augenblick kommt, um sich mit der letzten Stunde der Passion des Herrn zu vereinen, weiss die Person des geweihten Lebens, dass der Vater in ihm jenen geheimnisvollen, vor langer Zeit eingeleiteten Bildungsprozess nunmehr beendet.» In dieser letzten Phase wird der Tod als der «letzte Akt der Liebe und Selbsthingabe» erwartet und vorbereitet.

Selbstverständlich kann es in allen genannten Phasen zu schwierigen Situationen kommen, z. B. durch einen Ortswechsel, Schwierigkeiten bei der Arbeit, Unverständnis oder Ausgrenzung usw. Aber auch durch persönliche Faktoren wie physische oder psychische Erkrankung, geistliche Leere, Glaubens- oder Identitätskrisen, Gefühl der Bedeutungslosigkeit usw. «Vita consecrata» empfiehlt: «Wenn die Treue schwieriger wird, muss dem einzelnen mehr Vertrauen und grössere Liebe auf persönlicher wie gemeinschaftlicher Ebene als Hilfe entgegengebracht werden.» Es ist die Gemeinschaft, die gemeinsam auf dem Weg ist und sich gegenseitig immer wieder aufhilft, damit alle zusammen das Ziel, das Leben bei Gott, erreichen.
 

Dieser Beitrag ist ein Auszug aus der neunten Sendung in der Serie «Das geweihte Leben» auf Radio Maria. Die Sendung in voller Länge kann unter diesem Link angehört werden.

Die Sendung «Das geweihte Leben» ist eine Ko-Produktion von Radio Maria und swiss-cath.ch. Sie wird monatlich auf Radio Maria ausgestrahlt. Zeitgleich wird jeweils auf swiss-cath.ch eine Zusammenfassung der Sendung publiziert.

 


[1] Der heutige Beitrag behandelt die Kapitel 63 bis 71. Hervorhebungen im Original.


Rosmarie Schärer
swiss-cath.ch

E-Mail

Rosmarie Schärer studierte Theologie und Latein in Freiburg i. Ü. Nach mehreren Jahren in der Pastoral absolvierte sie eine Ausbildung zur Journalistin und arbeitete für die Schweizerische Kirchenzeitung SKZ.


Kommentare und Antworten

×

Name ist erforderlich!

Geben Sie einen gültigen Namen ein

Gültige E-Mail ist erforderlich!

Gib eine gültige E-Mail Adresse ein

Kommentar ist erforderlich!

You have reached the limit for comments!

* Diese Felder sind erforderlich.

Bemerkungen :

  • user
    Gabriela Ulrich 18.09.2023 um 19:07
    Guter, wertvoller Bericht über wachsen in der Liebe und Berufung von Rosemarie Schärer. Berufung - eine Aufgabe der Weltkirche, Ganzheitliche, ledenslange Ausbildung und Dynanismus der Treue.
  • user
    Hansjörg 18.09.2023 um 17:18
    Im obigen Text steht:
    "Wir dürfen darauf vertrauen, dass Jesus Christus auch heute noch Menschen zur Ganzhingabe beruft, aber ......."

    Wenn das so stimmt beruft also Jesus Christus bewusst keine Frauen als Priesterinnen.
    Tönt für mich unglaubwürdig, weil Jesus sicher alle Menschen als gleichwertig sieht.