Personifizierte Tugend der Gerechtigkeit (Justitia). Bild: Pixabay

Mit spitzer Feder

Warum Jus­ti­tia eine Augen­binde trägt

Gerichte sol­len unpar­tei­isch, mit­hin ohne Anse­hen der Per­son, ihre Urteile fäl­len – und damit der Gerech­tig­keit zu ihrem Recht ver­hel­fen. So wol­len es Ver­fas­sung und Gesetz, so will es auch jeder recht­schaf­fene Mensch. Sin­nen­fäl­li­ger Aus­druck die­ser Maxime ist die alle­go­ri­sche Figur der Jus­ti­tia, der Gerech­tig­keit also. Sie trägt eine Augen­binde, hat ver­bun­dene Augen.

Der unvergessliche Sprachvirtuose und Kabarettist, Werner Fink, der mit den Waffen der Sprache für Freiheit und Menschenwürde kämpfte, damit die Nazi-Diktatur zur Weissglut trieb und für seinen Wagemut im KZ landete, hat das Bonmot geprägt: „Warum Justitia verbundene Augen hat? Damit man nicht sieht, wenn sie ein's zudrückt.“

Was da augenzwinkernd-ironisch daherkommt, hat einen durchaus ernsten Hintergrund. Wie unlängst bekannt wurde, hat die Bürgerbewegung „Massvoll!“ im Rahmen ihrer Kampagne für die demnächst zur Abstimmung gelangende Volksinitiative „Stopp-Impfpflicht“ ein Video aufgeschaltet, das einen Slogan von SP-Frau Tamara Funiciello enthielt („My body – my choice“). Doch so wollte die feministische Dauerkettensäge Funiciello ihre Kampfparole nicht verstanden wissen, hatte sie doch damit in einer Nationalratsdebatte das Recht auf unbegrenzte Abtreibung eingefordert. Flugs reichte Funiciello beim Regionalgericht Bern-Mittelland eine Unterlassungsklage ein – und bekam Recht. Sie, die mit publicityträchtigen, unflätigen Ausfällen am Laufmeter ein durchaus erfolgreiches Polit-Marketing betreibt, markiert plötzlich die Mimose, macht allen Ernstes eine Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte und unlauteren Wettbewerb geltend – ganz so, als ob sie diesen Slogan erfunden hätte.

Philipp Gut erinnert in der „Weltwoche“ an einen anderen Fall, mit umgekehrtem Ausgang: ausgerechnet die Juso verwendeten im Rahmen ihrer „1 : 12-Initiative“ (der höchste Lohn soll nicht mehr als das Zwölffache des tiefsten Lohnes betragen) ein Nacktbild von Daniel Vasella, damals Verwaltungsratspräsident von Novartis. Das Bundesgericht gelangte zum Schluss, die Juso-Fotomontage mit der Nacktfoto von Daniel Vasella sei zulässig und verletze seine Persönlichkeitsrechte nicht.

Die genannten Beispiele verstärken zunehmend den Eindruck, dass unsere Justiz gerne ein Auge zudrückt, und zwar vorzugsweise das linke, aber im Gegenzug sozusagen als „ausgleichende Gerechtigkeit“ das rechte Auge sperrangelweit offen hält.

Die Bürgerbewegung „Massvoll!“ hat angekündigt, gegen das Verbot der Verwendung des Fumiciello-Slogans („My body, my choice“) Rekurs einzureichen. Auf das Urteil des Rekursgerichts darf man gespannt sein. Es wäre dies eine ideale Gelegenheit für unsere Justiz, den Eindruck, sie leide auf dem linken Auge an einer ausgeprägten Sehschwäche, glaubwürdig zu korrigieren.

 

Niklaus Herzog


Niklaus Herzog
swiss-cath.ch

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Lic. iur. et theol. Niklaus Herzog studierte Theologie und Jurisprudenz in Freiburg i. Ü., Münster und Rom.


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Bemerkungen :

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    Patrick Bieri 16.05.2024 um 10:55
    Nein, die Justiz drückt kein Auge zu, sondern die Justiz ist feministisch unterwandert und korrupt :-)
  • user
    Michael Dahinden 16.05.2024 um 10:34
    Auf die Gefahr hin, mich jetzt und in Zukunft zu wiederholen:
    Spr 20,10 Der Herr verabscheut das Messen mit zweierlei Mass und hasst das Wägen mit zweierlei Gewicht.

    Aber wenn nun einmal das Geschehen in der Realität sich wiederholt, wiederholen sich halt Kommentare auch.