Auf die eingangs gestellte Frage antworte ich unmittelbar: Dieser Kirchenlehrer des Mittelalters hat mich fast mein ganzes Leben lang begleitet. Schon als Gymnasiast in Zürich, etwa 16 oder 17 Jahre alt, habe ich in einer deutschen Übersetzung, die meinem älteren Bruder gehörte (der dann Jesuit wurde und leider früh verstarb), versucht, die Fragen über Gott, die Gottesbeweise und ähnliche schwierige theologische Probleme zu verstehen – aber wohl ohne besonderen Erfolg. Doch schon damals hatten mich die Klarheit und die Deutlichkeit der Ausdrucksweise des heiligen Thomas in ihren Bann gezogen. Die Übersetzung von Joseph Bernhart war zwar steif und ungewöhnlich, aber dennoch las ich sie eifrig. Dann habe ich eine Biografie von Thomas, wohl von Louis de Wohl, mit Spannung gelesen.
Als es um meine Berufswahl ging, habe ich zuerst Dominikaner werden wollen, ohne an das Priestertum direkt zu denken. Ich wusste, dass in diesem Orden der Glaube in einer verantwortlichen und in einer dem menschlichen Erkenntnisvermögen gerecht werdenden Weise verkündet werden soll und das hat die Wahl dieses Ordens mitbestimmt. Im Noviziat hatten wir einen frommen und gelehrten Novizenmeister, der uns die Theologie des Ordenslebens erklärte. Das war in einem belgischen Kloster, wo wir schweizerische und belgische Novizen waren. Für uns war diese Erklärung ganz neu. Es ging um die drei Räte Armut, Keuschheit und Gehorsam und um die Gelübde. Pater Charlier gründete seine Einführung in das Ordensleben auf die Lehre des heiligen Thomas, der ja damals um 1250 das Ordensleben der Franziskaner und Dominikaner in Paris an der Universität gegen Kritik verteidigen musste und dies mit grosser Tiefe und sogar polemisch tat.
Im Studium in Freiburg in der Schweiz lasen wir viel in der «Summe der Theologie» sowohl philosophische als auch besonders theologische Sachverhalte, die einen jungen Menschen immer faszinieren, wenn sie gut erklärt werden; das war nicht immer, aber doch meistens der Fall. Ich erinnere mich an die Art und Weise, wie Thomas von Aquin das Bittgebet, das Jesus eindringlich empfiehlt, in einem weiten Horizont einleuchtend machte. Oder an die Grundlegung der Lehre vom Menschen, die er in der berühmten Abhandlung im zweiten Teil der theologischen Summe entfaltete: Was ist das Ziel jeden Menschlebens? Was ist der Weg dazu? Was braucht es, um richtig zu handeln? Was ist das Gewissen usw. Das ist eine weitgespannte Sicht des menschlichen Daseins für das einzelne als auch für das soziale Leben.
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