Pater Adrian Schenker OP (Bild: zVg)

Kommentar

Was bedeu­tet mir Tho­mas von Aquin?

Adrian Schen­ker trat 1958 in den Domi­ni­ka­ner­or­den ein. Er ist ein pro­fun­der Ken­ner sei­nes vor 750 Jah­ren ver­stor­be­nen Mit­bru­ders Tho­mas von Aquin. Für «swiss​-cath​.ch» hat Adrian Schen­ker aus sei­ner per­sön­li­chen Sicht das Lebens­bild eines der gröss­ten Theo­lo­gen der Kir­chen­ge­schichte nachgezeichnet.

Auf die eingangs gestellte Frage antworte ich unmittelbar: Dieser Kirchenlehrer des Mittelalters hat mich fast mein ganzes Leben lang begleitet. Schon als Gymnasiast in Zürich, etwa 16 oder 17 Jahre alt, habe ich in einer deutschen Übersetzung, die meinem älteren Bruder gehörte (der dann Jesuit wurde und leider früh verstarb), versucht, die Fragen über Gott, die Gottesbeweise und ähnliche schwierige theologische Probleme zu verstehen – aber wohl ohne besonderen Erfolg. Doch schon damals hatten mich die Klarheit und die Deutlichkeit der Ausdrucksweise des heiligen Thomas in ihren Bann gezogen. Die Übersetzung von Joseph Bernhart war zwar steif und ungewöhnlich, aber dennoch las ich sie eifrig. Dann habe ich eine Biografie von Thomas, wohl von Louis de Wohl, mit Spannung gelesen.

Als es um meine Berufswahl ging, habe ich zuerst Dominikaner werden wollen, ohne an das Priestertum direkt zu denken. Ich wusste, dass in diesem Orden der Glaube in einer verantwortlichen und in einer dem menschlichen Erkenntnisvermögen gerecht werdenden Weise verkündet werden soll und das hat die Wahl dieses Ordens mitbestimmt. Im Noviziat hatten wir einen frommen und gelehrten Novizenmeister, der uns die Theologie des Ordenslebens erklärte. Das war in einem belgischen Kloster, wo wir schweizerische und belgische Novizen waren. Für uns war diese Erklärung ganz neu. Es ging um die drei Räte Armut, Keuschheit und Gehorsam und um die Gelübde. Pater Charlier gründete seine Einführung in das Ordensleben auf die Lehre des heiligen Thomas, der ja damals um 1250 das Ordensleben der Franziskaner und Dominikaner in Paris an der Universität gegen Kritik verteidigen musste und dies mit grosser Tiefe und sogar polemisch tat.

Im Studium in Freiburg in der Schweiz lasen wir viel in der «Summe der Theologie» sowohl philosophische als auch besonders theologische Sachverhalte, die einen jungen Menschen immer faszinieren, wenn sie gut erklärt werden; das war nicht immer, aber doch meistens der Fall. Ich erinnere mich an die Art und Weise, wie Thomas von Aquin das Bittgebet, das Jesus eindringlich empfiehlt, in einem weiten Horizont einleuchtend machte. Oder an die Grundlegung der Lehre vom Menschen, die er in der berühmten Abhandlung im zweiten Teil der theologischen Summe entfaltete: Was ist das Ziel jeden Menschlebens? Was ist der Weg dazu? Was braucht es, um richtig zu handeln? Was ist das Gewissen usw. Das ist eine weitgespannte Sicht des menschlichen Daseins für das einzelne als auch für das soziale Leben.
 


Diese Lehren sind mir bis heute lebendig geblieben, auch wenn ich sie natürlich nicht in allen Einzelheiten im Gedächtnis behalten habe. Denn später habe ich vor allem das Alte Testament studiert, wo ich weniger die Schriften des heiligen Thomas brauchte. Aber ich hatte einen Aufsatz für einen lieben Kollegen aus Frankreich schreiben müssen, als dieser 70 Jahre wurde. Ich wählte die Abhandlung des heiligen Thomas über die Gesetze des Alten Bundes, vor allem im Buch Exodus, Leviticus, Numeri und Deuteronomium. Das ist eine schwierige Materie aus einer alten, vorchristlichen Zeit. Ich bewunderte bei dieser Arbeit die Sorgfalt und Genauigkeit, mit der Thomas von Aquin diese Gesetze deutete, wobei er auf die Kirchenväter zurückgriff, aber ebenso auf den berühmten mittelalterlichen jüdischen Gelehrten Maimonides (12. Jahrhundert). Dieser Philosoph und Theologe des Judentums, Maimonides, wird gelegentlich mit Thomas von Aquin verglichen, weil beide fast Zeitgenossen waren (Thomas lebte eine Generation später) und beide Denker mit einem überaus weiten Horizont sind.

Als älterer Mensch und Predigerbruder denkt man öfter an die persönliche, klare, demütige und fromme Lebensführung des heiligen Thomas, der bei aller Bewunderung, die ihm schon zu seinen Lebzeiten zuteilwurde, ein echter Mönch blieb. Er war auch ein grosser Beter, der es liebte, vor dem Kreuz zu beten und zum Gekreuzigten zu sprechen.
 

Adrian Schenker (Jahrgang 1939) trat 1958 in den Orden der Dominikaner ein. Nach seinem Theologiestudium in Fribourg setzte er seine Ausbildung in Bibelwissenschaften in Rom und Jerusalem fort. Er lehrte seit 1967 an der Universität Fribourg: ab 1973 als Privatdozent und von 1982 bis zu seiner Emeritierung 2005 als Professor für Altes Testament. Von 1983 bis 1988  war er Vizerektor der Universität Fribourg. Seine Mitarbeit in der Päpstlichen Bibelkommission trug zu seinem internationalen Ruf als allseits geschätzten Experten für das Alte Testament bei.


Pater Adrian Schenker


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    Meier Pirmin 05.03.2024 um 10:55
    Das eindrücklichste Porträtbild des heiligen Kirchenlehrers Thomas findet sich in der Schlosskapelle von Heidegg im Seetal (Kanton Luzern), auch bekannt für seine Rosenzucht und als Aufenthaltsort von seinerzeit Bundeskanzler Konrad Adenauer. Das Porträt zeigt den jugendlichen Thomas von Aquin, der auf einer Burg bei Roccasecca, wo sich auch sein Vetter Reginald, Barde, aufhielt, festgehalten wurde, man wollte ihn an seiner Berufung hindern. Gemäss Legende wurde eine Kurtisane in seine Zelle geschickt, die den Geistesmann auf andere Gedanken hätte bringen müssen. Thomas soll sie sie mit einem brennenden Scheit vertrieben haben. In der Nacht darauf wurde er, es war offensichtlich doch eine Anfechtung, im Traum durch einen Gurtel bewaffnet, auf dem "Castitas" geschrieben war, wie auf dem Bild in der Schlosskapelle zu sehen. Seither soll er lebenslang nie mehr eine Anfechtung in jener Richtung erlitten haben.
    • user
      Meier Pirmin 06.03.2024 um 12:53
      Das wohl eindrücklichste Porträt des heiligen Thomas überhaupt befindet sich jedoch in der Kirche Santa Maria Novella in Florenz, von mir 1970 erstmals besucht, die Schlosskapelle Heidegg ist bloss für die Schweiz besonders beeindruckend. Pater Adrian Schenker möchte ich zu diesem Artikel gratulieren. Er trat 1958 in den Orden ein, zu einem Zeitpunkt, da in Freiburg Prof. Josef Maria Bochenski seine glänzenden Vorlesungen und Seminarien hielt, damals von meinem vor 32 Jahren verstorbenen Bruder Fritz mit grossem Gewinn besucht. Jahrzehnte zuvor war Pater Gallus Manser der Philosophieprofessor meines Sarner Philosophielehrers Pater Rafael Fäh, hervorragender Logiker und Lehrbuchverfasser. Pater Raphael doktorierte 1939 über den Neukantianer Bruno Bauch, dessen modernistischer Erkenntnislehre er am Beispiel des Begriffes "Konkreszenz " eine vernichtende Absage erteilte. Bauch war damals der nach und nebst Heidegger prominenteste deutsche Philosoph, der sich dem sog. nationalsozialistischen "Aufbruch" angeschlossen hatte, diese Diss. hätte in Deutschland wohl kaum gedruckt werden dürfen. Pater Raphael war indes ein bis zur Sturheit konsequenter Methodiker, der zumal auch bei modernen Philosophen, die Hegelsche Schule inbegriffen, keine logischen Ungenauigkeiten durchgehen liess, in diesem Punkt bei allen Unterschieden absolut mit dem berühmten Karl Popper vergleichbar. Auf diesem Gebiet war er dem legendären Bochenski keinesfalls unterlegen. Noch persönlich gekannt habe ich im Zusammenhang mit der Bruder-Klaus-Forschung den Dominikaner Heinrich Stirnimann, der damals meine eigene Arbeit durchaus skeptisch beurteilte.