Mit spitzer Feder

Wenn der «Blick» reli­giös wird

Nicht alles, aber vie­les, was die Mainstream-​Medien am ver­gan­ge­nen Sonn­tag und an den drei fol­gen­den Tagen zu den eid­ge­nös­si­schen Wah­len geschrie­ben haben, wurde mit einem Schlag zur Maku­la­tur. Was war geschehen?

Das Bundesamt für Statistik (BfS) hatte die ihm von den Kantonen übermittelten, korrekten Zahlen falsch zusammengezählt. Die Folge: Der herbeigeschriebene «historische Tag» (die «Mitte», vormals CVP, überholte zum ersten Mal seit der Gründung des Bundesstaates im Jahre 1848 den historischen Gegner FDP) schrumpfte zum ganz gewöhnlichen Wahlsonntag. Die «Mitte» musste eine Minus-Differenz von 0,52 Prozent hinnehmen und fiel damit wieder hinter die FDP auf den vierten Platz zurück. Gar 0,62 Prozent musste die SVP nach der finalen Korrektur zurückkrebsen. «Vom grossen Rechtsrutsch bleibt nach dem Rechenfehler des Bundesamtes für Statistik nicht mehr viel übrig», bilanzierte der «Tages-Anzeiger». Zugleich eine weitere Klatsche für «kath.ch»-Redaktionsleiter Charles Martig, der voreilig die Fehldiagnose «SVP gewinnt die Wahlen haushoch» in den Titel gehievt hatte, um damit das Schreckgespenst der vermeintlich fremdenfeindlichen katholischen SVP-Wähler zu beschwören.

Am meisten verhauen hatte sich der «Tages-Anzeiger». Noch drei Tage nach dem Wahlsonntag publizierte er einen von drei Autoren verfassten Artikel mit dem Titel «Die dreifache Niederlage des Freisinns» (soll heissen: Sowohl im Stände- als auch im Nationalrat wie punkto Wähleranteil liegt die «Mitte» vor der FDP). Letztere sei buchstäblich ins eigene Verderben geschlichen. Folgerichtig reagierte der «Tages-Anzeiger» nach der Enthüllung des BfS-Desasters mit der Forderung: «Das Debakel muss Folgen haben.» Allerdings: Nicht für ihn selbst, sondern für den Bund […] und die Kantone.

In seiner schon fast verzweifelten Suche nach einem Sündenbock machte der «Tages-Anzeiger» den Föderalismus für das Fiasko verantwortlich – geradezu grotesk, denn die Kantone hatten ja korrekte Zahlen nach Bern geliefert. Doch die aufgeblasene Bundesverwaltung in Gestalt des BfS machte mit einer Notlüge auf Schadensbegrenzung: Die Kantone hätten zwar korrekte, aber auf unterschiedlichen IT-Systemen beruhende Zahlen nach Bundesbern geliefert.

Am besten hatte sich – wer hätte das gedacht – ausgerechnet der «Blick» aus der Affäre gezogen. Bereits am Abend des Wahlsonntages schrieb er, wie sich im Nachhinein erweisen sollte, mit geradezu prophetischer Voraussicht: «Jetzt ist die Schweiz wieder normal.» Von dieser prophetischen Gabe offensichtlich beflügelt, brachte der «Blick» mit einem tiefen Griff ins biblische Vokabular die «BfS-Blamage» auf den Punkt: Der BfS-Direktor sei «öffentlich zu Kreuze gekrochen – mit dem Dreisatz aus Sünde, Sühne, Vergebung.»

Die «Sünde», sprich Daten-Debakel, ist offenkundig, die «Sühne» bleibt hingegen noch in der Schwebe, denn der BfS-Direktor schloss personelle Konsequenzen vorderhand aus, die «Vergebung» wurde zwar dem BfS zuteil, aber nicht ohne Hohn und Spott: «Die wichtigsten Zahlen der Legislatur zu verhauen, ist eine kolossale Fehlleistung des BfS. Ich freue mich aber sehr, ist die FDP weiterhin auf Platz 3», so der Partei-Vize Andrea Caroni, womit er zugleich signalisierte, wie tief der Stachel im Fleisch des Freisinns sass, zumindest für drei Tage hinter der ehemaligen CVP Platz nehmen zu müssen.

Fazit: Mit ihrem obsessiv auf klickzahlenträchtige News fixierten Journalismus untergraben die Medien sukzessive ihre Glaubwürdigkeit und damit ihre eigentliche Geschäftsgrundlage. Genauigkeit und Gewissenhaftigkeit statt Geschwindigkeit muss die Losung sein, soll der Journalismus eine Zukunft haben.


Niklaus Herzog
swiss-cath.ch

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Lic. iur. et theol. Niklaus Herzog studierte Theologie und Jurisprudenz in Freiburg i. Ü., Münster und Rom.


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  • user
    Meier Pirmin 28.10.2023 um 14:52
    Der Wahlsonntag war nicht mehr und nicht weniger als ein Treten an Ort mit Nachdruck darauf, dass "
    Was die Wahlen betrifft, hörte ich sogar an einer Wahlfeier eines immerhin von mir noch unterstützten Kandidaten, der sich von Übereifer in beide Richtungen frei hält, dass es sich als nützlich erwiesen hätte, "konfessionellen Ballast" abzuschütteln, was immer darunter zu verstehen ist. Interessanterweise war aber in Deutschland nach dem 2. Weltkrieg der Rückbezug auf das Christliche für eine halbe bis ganze Generation sogar Wahlsiege fördernd; unterdessen hört man auch in der CDU und CSU, dass die Preisgabe des C fällig sei, wenn man wieder Wahlen gewinnen wolle.

    Die von mir unterstützte evangelische Politikerin Lilian Studer ist um ca. 30 Listen abgewählt worden. An der Wahlfeier der "Mitte" erfuhr ich, sie sei selber schuld gewesen, hätte zu oft mit der Linken gestimmt.

    Vor 8 Jahren unterstützte ich trotz meiner bekannt konservativen Grundhaltung die SP-Politikerin Pascale Bruderer. Sie war die letzte Schweizer Politikerin, die eine Einschränkung der Abtreibungs-Massentötungen forderte, wenigstens in der Einschränkung der pränatalen Geschlechtsbestimmungen; sie war entschieden gegen das Abtreiben wegen dem Geschlecht, womit sie, wie die Feministinnen sofort schnallten, das bedingungslose Recht auf Abtreibung in Frage stellte. Sie liess sich wegen dieser und anderen Anrempelungen, nicht links genug zu sein, nicht mehr aufstellen.

    Es gibt für einen Katholiken keinen Grund mehr, ausser Bestätigung im persönlichen Gespräch, z.B. die Mitte zu wählen. Wenn die junge Mitte sogar die Fristenlösung erleichtern will, steht mir z.B. die deutsche Kommunistin Sarah Wagenknecht in ihrer Kritik an livestyle - Politik klar näher als diese Partei.
    • user
      Hansjörg 29.10.2023 um 15:15
      Frau Wagenknecht nennt sich Sahra.
  • user
    Heinz Meier 28.10.2023 um 12:17
    Zutreffend! Der Journalismus ist in seiner Wahrnehmung von Tatsachen oft gehemmt durch ideologisch bedingte Abwehr dessen, womit man als nicht mehrheitsfähig auffallen könnte. Mit Statistiken lässt sich immer eine Signifikanz aufbauen, die Parameter bleiben dabei meist für den Laien im Dunklen. Solche Vorgänge prüfend zu hinterfragen, leisten sich fast keine der führenden „Qualitätsmedien“. So war es eine wohltuende Ausnahme, während der Pandemie im K-Tip zu lesen, dass bei genauem Hinsehen die Spitäler nicht mehr überlastet waren als in schweren Grippewellen. Wer aber der offiziellen (auf „statistisch“ begründeten Wahrscheinlichkeiten aufbauenden) Angstpolitik diesbezüglich misstraute, galt als unsozial. Die Denkbremsen in Krisen funktionieren immer sehr gut.