Der Beitrag von Dr. Thorsten Paprotny erschien zuerst auf Corrigenda
Geistliche Musik formt den Menschen und dient, wie Johann Sebastian Bach sagte, zuvörderst der «Ehre Gottes», aber auch der «Rekreation des Gemüts». Während Protestanten bevorzugt Bachs Orgelmusik, Choräle und Oratorien wertschätzten, deren dramatisch-feierlicher, mitunter wuchtiger und erhaben majestätischer Klang die Kirchen vom Zeitalter der Reformation bis in die Moderne erfüllte, wussten sich Katholiken lange Zeit im gregorianischen Choral geistlich beheimatet und gläubig geborgen. Der Name des Chorals geht auf Papst Gregor den Grossen, der von 590 bis 604 amtierte, zurück. Eucharistische Hymnen, den theologischen Dichtungen von Thomas von Aquin folgend, wie «Adoro te devote», wurden andächtig intoniert und begleiteten Prozessionen.
Nicht die feurige Theatralik opernhafter Darbietungen oder pompöses Orgelspiel sind der vielleicht archaischen, aber mitnichten altmodischen gregorianischen Kirchenmusik eigen. Schwebend anmutende, engelsgleiche Stimmen singen im Wechsel mit den Gläubigen die gleichbleibenden Teile der heiligen Messe – vom «Asperges» über das «Kyrie» und das «Credo» bis hin zum «Agnus Dei».
Wer diese Musik vernimmt, mitsingt und mit Leib und Seele mitbetet, weiss unmittelbar von innen her, warum selbst das reformorientierte Zweite Vatikanische Konzil bekräftigte, dass der gregorianische Choral der «der römischen Liturgie eigene Gesang» sei, dem in der Feier der Liturgie der Vorzug gegeben werden solle. Musik bildet, formt und prägt den Charakter, in Sammlung und Einkehr, drückt den Rhythmus des Lebens im Glauben aus.
Musik von ernsthafter, nüchterner Klarheit
Dass CD-Aufnahmen von gregorianischen Chorälen aus der Wiener Abtei Heiligenkreuz und des lateinischen «Requiems» der katholischen Priestergemeinschaft St. Petrus heutzutage auch säkulare Bestsellerlisten erobern – und dies nicht nur zur Weihnachtszeit –, zeigt die vielleicht unbestimmte Sehnsucht vieler Menschen nach Transzendenz an, auch nach einem klanglich wohltuenden Balsam für zermürbte, erschöpfte Seelen und nach einer Musik, die Ordnung und den Glanz der Wahrheit verbindet.
Der gregorianische Choral ist eine «heilige Musik» des gesungenen Gebetes, die – so sagen die Zisterzienser der Abtei Heiligenkreuz, die bekennen: «Wir lieben den Gregorianischen Choral!» – eine grosse emotionale Kraft besitze und das religiöse Urempfinden jedes Menschen anspreche. In dem einstimmigen Choral sei auch eine «gesungene Bibel» frei von subjektiven Harmonieempfindungen. In ernsthafter, nüchterner Klarheit wird Gottes Wort musikalisch illustriert und auf gewisse Weise auch illuminiert.
Die Gregorianik dient als kontemplative Zufluchtsstätte für Menschen, die schlicht von der dröhnenden Klangkulisse des Alltags ermattet sind. Wenn heute über die Kirchenkrise und die Austrittswellen lamentiert wird, so scheint niemandem als massgeblicher Mitverursacher die seit Jahrzehnten virulente «Häresie der Formlosigkeit» (Martin Mosebach) in der Liturgie und die Banalisierung der Gottesdienste in den Sinn zu kommen.
Kommentare und Antworten
Bemerkungen :
Damit möchte ich sagen, dass es sich lohnt einen Schola-Leiter, der Musiker ist einzustellen. Wenn es von Jemanden geleitet wird, die das Talent nicht haben, ist es immer für die Schola-Sänger mit Endtäuschung und Frust verbunden. Auch eine Orgelbegleitung zum Gesang kann es nicht wett machen, wenn sie nicht musikalisch talentiert sind. Den Choral und die Polyfonie singt man zu Ehre Gottes. Darum sollte nicht der Eindruck entstehen, dass es einfach gesungen wird. Wer sich musikalisch, gregorianisch orientieren mag, der singe nur bei einem Schola-Leiter, der ein Musiker ist.
(Inserat jeweils in diesem Blog)