In der Pressemitteilung des Dikasteriums über die Rezeption der Erklärung «Fiducia supplicans» heisst es im 3. Absatz: «Die vorliegende „Erklärung bleibt fest bei der überlieferten Lehre der Kirche über die Ehe stehen und lässt keine Art von liturgischem Ritus oder diesem ähnliche Segnungen zu, die Verwirrung stiften könnten.» Es gehe darum, gegenüber Paaren in irregulären Beziehungen zu handeln, «ohne deren Status offiziell zu konvalidieren oder die beständige Lehre der Kirche über die Ehe in irgendeiner Weise zu verändern». (konvalidieren: Convalidatio simplex = einfache Gültigmachung der Ehe, siehe: das Gesetzbuch des Kirchenrechts: 1156–1160 CIC)[1].
Die «Erklärung» grenzt sich also von der «Irregularität» gleichgeschlechtlicher Beziehungen ab, indem sie diesen Beziehungen den Status einer Ehe verweigert. Dadurch aber, dass sie diese als «irregulär» bezeichnet, gleichzeitig nun ihre Segnung in einem nicht-eheähnlichen Ritus aber zulässt, schafft sie in nicht unerheblichem Masse Verwirrung. Der Begriff «Irregularität» findet sich im Kodex des Kanonischen Rechtes durchwegs in Verbindung mit Hinderungsgründen moralischer (u. a. Geisteskrankheit), rechtlich-juristischer (Verbrechen) oder kirchenrechtlicher Verfehlungen (Häresie).[2]
Homosexualität ist gemäss der katholischen Morallehre (KKK 2357) eine «schlimme Abirrung», «in sich nicht in Ordnung», «gegen das natürliche Gesetz», und «in keinem Fall zu billigen».[3] Wie kann folglich etwas, was mit derartigen moralischen, kirchenrechtlichen und natürlichen Mängeln behaftet ist, von der Katholischen Kirche gesegnet werden? Die Antwort finden wir in «Fiducia supplicans» in Form eines vollständigen Widerspruchs:
«Da die Kirche seit jeher nur solche sexuellen Beziehungen als sittlich erlaubt ansieht, die innerhalb der Ehe gelebt werden, ist sie nicht befugt, ihren liturgischen Segen zu erteilen, wenn dieser in irgendeiner Weise einer Verbindung, die sich als Ehe oder aussereheliche sexuelle Praxis ausgibt, eine Form der sittlichen Legitimität verleihen könnte» (11).
«Von daher bietet die Erklärung keinen Rahmen, um ihr gegenüber lehrmässig in Distanz zu gehen oder sie als häretisch, der kirchlichen Tradition zuwiderlaufend oder blasphemisch zu betrachten» (Pressemitteilung, 1. Punkt).
Einerseits wird die kirchliche Lehre zitiert, die «seit jeher nur solche sexuellen Beziehungen als sittlich erlaubt ansieht, die innerhalb der Ehe gelebt werden», andererseits erlaubt dieselbe Kirche nun die Segnung von Beziehungen, die ebendiese Kriterien ausdrücklich nicht erfüllen. Es ist kaum anzunehmen, dass sich homosexuelle Paare nicht «in irgendeiner Weise» als eine «Verbindung, die sich als Ehe oder aussereheliche sexuelle Praxis ausgibt», verstehen.
Bemerkenswert erscheint auch, dass sich das Dikasterium in der Pressemitteilung davon distanziert, sie als «der kirchlichen Tradition zuwiderlaufend oder blasphemisch zu betrachten». Weshalb tut dies das Glaubensdikasterium? Weil es schon weiss, dass es ganz sicher viele Kritiker geben wird, die genau das kritisieren werden?
Insgesamt wirkt «Fiducia supplicans» über weite Strecken als ein vollständiger Gegensatz, sowohl zur katholischen Morallehre als auch zu den eigenen, kirchenrechtlichen Grundlagen, wie sie für Ehen vorgesehen sind, und dabei Homosexualität ausdrücklich ausschliessen.
Indem insbesondere das Glaubensdikasterium fortfährt, Widersprüche als Ausnahmen zu legalisieren, untergräbt es so zwangsläufig seine eigene Autorität in Glaubensfragen.
Auf der anderen Seite wird das Glaubensdikasterium moralisch und intellektuell unglaubwürdig. Der konservativ-katholisch empfindende Mensch wird mit der vorliegenden «Erklärung» ebenso vor den Kopf gestossen, wie der progressive. Während der Konservative «Fiducia supplicans» als einen Angriff auf die geheiligte Institution der Ehe ansehen wird, ist sie für den Liberalen unzureichend, um die Ehe gleichgeschlechtlicher Paare zu legalisieren. Damit wird die Kirche weder der einen noch der anderen Seite ihrer Gläubigen und Kritiker gerecht. Vielmehr schafft sie neue Widersprüche zwischen Lehre und Glaubenspraxis, Morallehre und Tradition, autoritär verstandener Führung und autonomem Handeln der einzelnen Priester.
Damit ist das grösste Problem der Erklärung noch nicht einmal ihr Inhalt, sondern ihre Wirkung. Indem die Katholische Kirche an vollständigen Widersprüchen festhält, schafft sie Unsicherheiten und zersetzt letztlich ihre eigene Glaubwürdigkeit von innen her. Sie verhindert damit aktiv eine Reform der Kirche, während sie gleichzeitig so tut, als strebe sie eine solche an (ecclesia semper reformanda[4]). Damit macht sie die Institution der Kirche als solche unglaubwürdig, welche in Bezug auf ihre Lehre mehr als jede andere Einrichtung auf eine hohe Glaubwürdigkeit angewiesen wäre.
Gastkommentare spiegeln die Auffassungen ihrer Autorinnen und Autoren wider.
[1] https://www.codex-iuris-canonici.de/cic83_dt_buch4.htm
[2] CIC 1041-1049
[3] https://www.vaticarsten.de/theologie/katechismus/KKK%20Dritter%20Teil.htm
[4] en.wikipedia.org/wiki/Ecclesia_semper_reformanda_est
Kommentare und Antworten
Bemerkungen :
Man soll nicht Aepfel mit Birnen vergleichen. In Ihren Beispielen geht es um das materielle Wlohl der Betroffenen, in unserer Diskussion um das ewige Heil des Menschen.
Sie können nicht ein Schisma zwischen materiellen und geistlichen Bedürfnissen machen, das Seelenheil ruht im körperlichen Frieden.
Die körperliche Kirche heilt die seelischen Wunden durch sichtbare Liebe. In der Krankenpflege ist Gottes Fürsorge erfahrbar, und ebenso in einem guten Wort (ein Segen) das man über irgend einen Sünder spricht.
Es gibt im Lukasevangelium im Reisebericht (Kapitel 10-18) gleich zwei Stellen, wo Jesus unabhängig von der Religion einen Segen spendet: beim barmherzigen Samariter und beim Blinden vor Jericho.
In beiden Fällen handelte es sich um eine Not, und in beiden Fällen hat Jesus gehandelt ohne moralische oder dogmatische Prämissen.
Wenn ich alle Glaubensgeheimnisse wüsste aber die Liebe nicht habe, bin ich nichts (1 Kor 13). Moral und Dogma sind nicht Selbstzweck, sondern zeigen die Bedürfnisse an. Die Kirche kann sie stillen, so wie der Papst (vor Jesus) es für gut hält.
«Die vorliegende „Erklärung bleibt fest bei der überlieferten Lehre der Kirche über die Ehe stehen und lässt keine Art von liturgischem Ritus oder diesem ähnliche Segnungen zu, die Verwirrung stiften könnten.»
Damit ist doch klar, dass das diese Erläuterungen in keiner Weise eine einseitige Diskriminierung homosexueller Menschen ist, sondern einen weit umfassenderen Kreis von Personen betrifft. Der grosse Fehler ist wohl schon viel früher geschehen, als die Kirche es aufgegeben hat, jede Art von ausserehelichen sexuellen Akten klar und unmissverständlich eine Sünde zu nennen, als sie auf das Schlagwort von der Drohbotschaft hereingefallen ist. Dabei ist doch jedem, der die Lehre der Kirche einigermassen gut kennt, klar:
«Der Sünder braucht keine Angst vor Gott zu haben, aber der «Nicht-Sünder,» der nicht bereit ist zu sagen: «Vater, ich habe gesündigt!» (vgl. Lk 15,17-21)