Vergangenen Montag, den 26. Februar 2024, wurde bekannt, dass in Kiew der Seligsprechungsprozess von Lubomyr Husar, dem ehemaligen Oberhaupt der mit Rom verbundenen griechisch-katholischen Kirche, eröffnet wurde. Der 1933 in Lemberg geborene Lubomyr Husar war 1944 mit seinen Eltern nach Österreich und anschliessend in die USA geflohen. Nach Studien an der Katholischen Universität in Washington wurde er zum Priester geweiht und setzte seine Studien in Rom fort. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion kehrte er in seine Heimat zurück, wo er 2001 zum Oberhaupt der mit Rom verbundenen griechisch-katholischen Kirche gewählt wurde. Noch im gleichen Jahr ernannte ihn Papst Johannes Paul II. zum Kardinal. Der in der Ukraine weit über den Kreis der Gläubigen hinaus hohes Ansehen geniessende Lubomyr Husar verstarb am 31. Mai 2017 und wurde in der Kathedrale von Kiew beigesetzt. Die Eröffnung des Seligsprechungsprozesses kommt gerade zur rechten Zeit. Sie gibt den Angehörigen der griechisch-katholischen Kirche eine besondere Zuversicht und Kraft, die kommenden gewaltigen Herausforderungen durchzustehen.
Seit dem brutalen Überfall Russland auf die Ukraine sind bereits zwei Jahre vergangen. Was geht in Ihnen als Seelsorger der Ukrainer in der Schweiz heute vor, wenn Sie an dieses Ereignis denken?
Nazarij Zatorsky: Es sind gemischte Gefühle: Einerseits tiefe Trauer um die vielen Opfer, andererseits aber Stolz für mein Volk, das schon seit zwei Jahren tapfer durchhält und weiterkämpft, obwohl ausnahmslos alle westlichen Experten uns damals abgeschrieben und uns nur ein paar Tage gegeben haben. Erstaunlicherweise machen sie heute dasselbe: Prophezeien den baldigen Zusammenbruch der Ukraine und den Sieg Russlands. Wir sind schon langsam müde davon, so oft zusammenzubrechen, wie diese «Propheten» es voraussagen.
Der Schweizer Moritz Stamm ist vor Jahren in die Ukraine ausgewandert und bewirtschaftet einen grossen Landwirtschaftsbetrieb. Die Stimmung in der Ukraine fasst er wie folgt zusammen: «In der Ukraine weint man im Stillen.» Wie repräsentativ ist diese Einschätzung? Wie schätzen Sie die vorherrschende Stimmung in Ihrem Heimatland ein?
Ja, man weint im Stillen. Das heisst, diejenige, die jemand verloren haben, trauern offen um ihre Nächsten, aber ansonsten herrscht die Meinung, dass wir unsere Opfer öffentlich erst nach dem Sieg beweinen werden, jetzt muss man stark bleiben und weitermachen.
In den Schweizer Medien ist das Echo auf den zweiten Jahrestag des russischen Aggressionskrieges gross. Wie steht es mit der realen Solidarität der Schweiz? Öfters sind Stimmen zu hören, dass die Hilfsbereitschaft in letzter Zeit nachgelassen habe. Wie sehen Sie das?
Ich sehe das genauso: Es werden Budgets für die Ukrainische Seelsorge und andere Projekte gekürzt, obwohl der Krieg noch nicht vorbei ist und die Flüchtlinge immer noch da sind. Auch auf dem Niveau der Symbole nimmt die Unterstützung ab: Es werden beispielsweise die ukrainischen Flaggen abgenommen wie in Zürich.
Der Bürgermeister von Kiew, Vitali Klitschko, ist der Auffassung, dass man sich angesichts des russischen Überfalls nicht neutral verhalten könne, laufe dieser doch auf die Auslöschung der Freiheit und Souveränität der Ukraine hinaus. Er kritisiert v. a., dass die Schweiz nicht konsequent genug die Sanktionen gegen Russland durchsetzt, ja sogar weiter Handel mit Russland treibt. Stimmen Sie dieser Einschätzung zu?
Ich stimme darin zu, dass die breite Bevölkerung im Westen bis jetzt nicht verstanden hat, worum es in diesem Angriffskrieg geht: Es ist ein Beispielkrieg einer Diktatur gegen eine Demokratie. Und vom Ausgang dieses Krieges hängt die zukünftige Entwicklung zahlreicher Länder ab, die jetzt zuschauen und analysieren, welches System in so einer Krisensituation wie ein Krieg besser funktioniert. Es sind zahlreiche Länder in Afrika, Lateinamerika und Asien, die ganz genau hinschauen. Und wenn man im Europa meint, gegen den Wechsel von der Demokratie zur Diktatur gut geimpft und sicher zu sein, soll man auf Ungarn oder die Türkei schauen und es sich nochmals überlegen. Auch die Diktatoren weltweit gucken genau hin, wie der Westen reagiert, welche Sanktionen verhängt werden, wie hart ihre Nichteinhaltung bestraft wird und ob man mit einem Angriffskrieg durchkommen kann. Der Versuch der Annexion von Guyana durch Venezuela war die erste direkte Folge der uneinheitlichen, zögernden und inkonsequenten Reaktion des Westens auf die Krimannexion und den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine.
Kommentare und Antworten
Bemerkungen :
Halten wir fest: 1991 löste sich die Sowjetunion auf, aus den Sowjetrepubliken wurden unabhängige Staaten, deren Grenzen völkerrechtlich anerkannt wurden, auch von Russland. Der Überfall auf die Krim 2014 und den Donbas durch die russische Armee lässt sich durch nichts rechtfertigen, der offene Krieg gegen die Ukraine ab 2022 erst recht nicht. Die angebliche Anzettelung der Maidanproteste durch den CIA ist ebenso eine Erfindung der Propagandaabteilung im Kreml wie die Unterdrückung der russischsprachigen Bevölkerung der Ostukraine durch Kiew. Niemand hat Putin in diesen Krieg gezwungen.
Und wen die brutale Kriegsführung Russlands gegen die Ukraine nicht beeindruckt, sollte wenigstens angesichts der Unterdrückung des eigenen Volkes durch das Putinregime ins Nachdenken kommen. Jede Opposition wird dort mundtot gemacht. Wie weit die Repression reicht, haben wir eben erst anhand des mysteriösen Todes von Alexej Nawalny gesehen. Das von Putin erträumte Grossrussland von Dublin bis Wladiwostok wäre zwar vielleicht gender- und wokefrei, aber nichts desto trotz ein Reich des Schreckens. Dass auch die Ukraine kein Garten Eden ist, steht ausser Frage - welches Land ist das schon? Aber dies allenfalls zu ändern, steht nur den Ukrainern selbst zu.
Ein Christ muss einen solchen Krieg ablehnen, das steht für mich ausser Frage. Auf der anderen Seite muss ein Christ jedoch auch die gesunde Lehre beherzigen, dass jedes Menschenleben gleich viel zählt und wir radikal die Wahrheit suchen müssen und uns daher von vielen mit Ideologie beladenen Narrativen verabschieden sollten. Die Diskussion zur Ukraine bewegt sich momentan zwischen Extrempositionen, die massiv schädlich sind. Um es am Beispiel der Revolution auf dem Maidan zu illustrieren: Man muss sicherlich nicht die Auffassung vertreten, dass die CIA hinter der Revolution stand, aber es ist auch falsch zu glauben, dass bei einem Staatsstreich plötzlich alle Menschen hinter den Zielen der Revolutionäre stehen. In unseren Medien wurde vor zehn Jahren völlig unkritisch diese Haltung eingenommen bzw. propagiert, ohne zu hinterfragen, inwiefern es in einem solch grossen Land unterschiedliche Positionen gibt. Man stelle sich vor, in der Schweiz hätte es 20 Jahre nach der Gründung des Bundesstaates einen Staatsstreich in Bern gegeben: Mit einer grossen Wahrscheinlichkeit hätten einige Kantone dabei nicht mitgemacht, da sie die neue Machtkonstellation nicht gutgeheissen hätten. Viele Dinge, die momentan in diesem Krieg geschehen, kann man erklären, ohne auf die Hollywood-Klischees vom bösen Russen und den gerechten und demokratischen Amerikanern und Westeuropäern, mit denen wir im kalten Krieg und darüber hinaus zugemüllt wurden, zurückgreifen zu müssen. Nur schon ein Blick auf die letzten 30 Jahre zeigt, dass sich der Westen genauso wenig um das Völkerrecht kümmert wie andere Länder im Osten. Die Grenzen des Iraks, Afghanistans und Lybiens waren ebenfalls international anerkannt und trotzdem wurden diese Länder brutal überfallen - und ganz bestimmt nicht aus humanitären Gründen, sondern aus reiner Machtpolitik. Als Christen sollten wir versuchen, überall den gleichen Massstab anzuwenden. Und wir sollten den Mut haben, uns für den Frieden einzusetzen. Es ist eine Tragödie, dass die grossen Tagesmedien die Weiterführung des Krieges als einzige Option darstellen, die momentan vorhanden ist. Ich wünschte mir eine Friedensbewegung wie in den 80er Jahren, bei denen wir Katholiken aus der Logik dieses Freund-Feind-Schemas ausbrechen und uns für eine gerechte Welt einsetzen. Klingt vielleicht idealistisch, aber ich sehe keinen anderen Weg. Beten wir daher für den Frieden.
Die Ukraine ist eine Kleptokratie, das von einem Regime kontrolliert wird, das auf den Krieg lange hingearbeitet hatte und lange Zeit nicht Müde wurde, jedem, der es hören wollte, zu sagen, dass man die Russen und alles Russische vernichten wolle. Der woke Westen unterstützt dieses Regime mit lauten Parolen daheim im warnen Stübchen, während diese Leute ihre eigenen Landsleute buchstäblich opfern, zwangsrekrutieren etc. Wer in der Ukraibe etwas gegen das Regime sagt, wird sofort weggeräumt.
Bin sehr enttäuscht, mir die Propaganda von dieser Seite hier anhören zu müssen! Es ist verbrecherisch, einen Krieg zu führen, den man nicht gewinnen kann, das weiss jeder Militär. Haben sie das Gefühl, dass Russland Sewastopol der NATO übergibt und Atom-Waffen mit Flugzeit 5 Minuten sn seiner Grenze toleriert? Denken sie wirklich, dass die Russen sich von den ukrainischen Nationalisten einfach so vertreiben lassen und der Donbas kapituliert? Und wollen auch sie Russland besiegen und vernichten, ganz so wie die Nazis damals und ihre ukrainischen Kollaborateure, die Millionen Russen, Juden, Polen umbrachten?
«In meiner Bestürzung sagte ich: / Die Menschen lügen alle.»
Die Situation in diesem Konflikt ist beinahe so komplex wie diejenige im nahen Osten. Und der Krieg auf dem Feld der Propaganda genau so heftig. Die Wahrheit ist die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen. Und das Problem entstand lange vor Putin und Selenskyj. Ob die Historiker später einmal Klarheit schaffen werden, wage ich zu bezweifeln. Wir müssen wohl auf das letzte Gericht warten. Wichtig für uns ist es, unbedingt die Neutralität zu wahren. Bitten wir den Heiligen Geist, er möge uns die Klugheit schenken, zu sagen, was zum Frieden dient und zu schweigen, wo wir nur noch mehr ins Feuer schütten würden.
Was die Schweiz betrifft, so wäre es schön, dass man sich hier nicht in einen rein ideologisch motivierten Kampf involvieren lässt, der aus der Ferne nur konsumiert wird.
Leider ist es so. Man setzt auf falsche Ökumene. War in Serbien das gleiche Problem, man spricht den Seligen Kardinal Stepinac nicht heilig, um die orthodoxen Serben nicht zu verstimmen. Hier das gleiche Spiel. Und dann bringt man ein solch katastrophales Dokument wie FS heraus, welche allen Orthodoxen vor die Nase stösst.
Fazit: Uns nicht zu fest ins Detail (in den Krieg) ziehen lassen, sodass wir den Überblick aus biblischer Sicht behalten können, und natürlich beten, beten, beten.
Sind für bestimmte Situationen Ausnahmen vorgesehen, wenn ja welche?
Wer kann über solche Ausnahmen bestimmen?