Wolkenloser Himmel zwischen der Schweiz und dem Vatikan? (Bild: Chris Barbalis/Unsplash)

Hintergrundbericht

Bun­des­rat Cas­sis: «Der Vati­kan und die Schweiz tei­len die katho­li­sche Glaubensrichtung»

Am 19. April 2023 fand in Rom die fei­er­li­che Eröff­nung der Schwei­zer Bot­schaft im Vati­kan statt. Gemein­sam mit Kar­di­nal­staats­se­kre­tär Pie­tro Paro­lin unter­zeich­nete Bun­des­rat Igna­zio Cas­sis die Eröffnungsurkunde.

In seiner Ansprache unterstrich Bundesrat Cassis die Gemeinsamkeiten des Vatikans und der Eidgenossenschaft: Beide würden sich für die konstante Suche nach Frieden und die Hilfe für Schwache einsetzen. Beide seien neutral mit allgemeingültigem Anspruch. Und flocht eben auch den Satz in seine Rede ein: «Beide Staaten teilen die katholische Glaubensrichtung.»
Zumindest bei Rita Famos, der Präsidentin der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (EKS), dürfte diese Aussage eine mittelschwere Magenverstimmung ausgelöst haben. War es doch sie, die noch zwei Jahre zuvor anlässlich der durch den damaligen Bundesratspräsidenten Parmelin angekündigten Eröffnung einer Schweizer Botschaft beim Vatikan eine drohende Ungleichbehandlung der beiden grossen christlichen Konfessionen witterte: Die Evangelisch-reformierte Kirche würde dadurch noch mehr ins Hintertreffen geraten. Eine total schiefe Optik, denn eine Schweizer Botschaft beim Vatikan bietet vielmehr die Chance, die Vertretung schweizerischer Interessen zu verbessern, indem diese – seien sie konfessioneller oder überkonfessioneller Natur – nunmehr direkt an höchster Stelle beim Vatikan und nicht mehr über den Umweg der päpstlichen Nuntiatur in Bern eingebracht werden können.

Aber nicht nur bei EKS-Präsidentin Rita Famos, sondern auch beim anti-katholisch programmierten Nachrichtenportal «Nau.ch» muss die zitierte Aussage von Bundesrat Cassis Bauchschmerzen verursacht haben. «Nau.ch» strich den ominösen Satz kurzerhand aus seiner Meldung und schrieb stattdessen von der «christlichen Kultur und Werten», die Bundesrat Cassis als verbindende Elemente zwischen dem Vatikan und der Schweiz ausgemacht habe.

Oberfrustrierend muss dieser Anlass für den ehemaligen «kath.ch»-Redaktionsleiter Raphael Rauch gewesen sein. Dem neu beim «SoBli» anheuernden Rauch wurden nur ein paar mickrige Zeilen eingeräumt, um über dieses bedeutsame Ereignis in der Geschichte der Schweizerischen Diplomatie zu berichten. Wenig verwunderlich, dass das ihm gewährte Guckloch zu einer arg verkürzten, ja geradezu sexistisch anmutenden Wahrnehmung führte: «Mit dabei», so Rauch, «Ehefrau Paola, die rot gekleidet kam: Roter Hosenanzug, rote Brille und rote Schuhe. Passend zum Kardinalsrot von Pietro Parolin.»

Die Gretchenfrage
swiss-cath.ch wollte vom Nuntius in Bern, Erzbischof Dr. Martin Krebs, wissen, welche Konsequenzen mit der Eröffnung der Schweizer Botschaft beim Vatikan insbesondere für die Katholische Kirche vor Ort verbunden seien und ob vermehrte Einmischungen der Schweizer Politik in innerkirchliche Angelegenheiten zu erwarten seien. Nuntius Krebs reichte die heisse Kartoffel an sein alter ego, den Kirchenhistoriker Dr. Urban Fink weiter, der demnächst eine Monographie zu dieser Thematik veröffentlichen wird.

Kirchenhistoriker Fink erblickt in der Eröffnung der Schweizer Botschaft beim Vatikan eine längst fällige Normalisierung der gegenseitigen Beziehungen. Die säkulare Schweiz gebe damit zu erkennen, dass die Religion als öffentliche und nicht nur private Angelegenheit zur Gesellschaft dazugehöre. Es sei zudem davon auszugehen, dass beide Seiten sich bewusst seien, «was auf die diplomatische Traktandenliste gehöre und was nicht». Sollte es dennoch zu verschiedenen Einschätzungen in Einzelfragen kommen, böten gerade diplomatische Beziehungen die Möglichkeit, «dies ohne Nebengeräusche in aller Ruhe diskutieren zu können». Diese von keiner auch noch so kleinen Wolke getrübte Schönwetterprognose ruft geradezu danach, auf ihre mutmassliche Haltbarkeitsdauer hin befragt zu werden. Spätestens bei der nächsten Deutschschweizer Bischofswahl dürfte ein Wetterumschlag absehbar sein.

Anachronistisches Bistumskonkordat
Der offensichtlichste Handlungsbedarf ist diesbezüglich beim Bistum Basel zu verorten. Im Gefolge des Konkordates, das die Kantone Luzern, Bern, Solothurn und Zug im Jahre 1828 der katholischen Kirche abgepresst hatten, entwickelte sich ein sogenanntes staatliches «Streichungsgewohnheitsrecht». Konkret: Die vom Domkapitel zusammengestellte Liste von sechs Bischofskandidaten wird jeweils vor der Wahl der sogenannten Diözesankonferenz zugestellt: einer Versammlung, die sich aus je zwei Regierungsvertretern der zum Bistum Basel gehörenden Kantone zusammensetzt. Als im Jahre 1994 ein Nachfolger des aus gesundheitlichen Gründen zurückgetretenen Bischofs Otto Wüst gewählt werden musste, kam es zu einem veritablen Skandal. Eine üble Rolle spielte dabei die Luzerner Regierungsrätin Brigitte Mürner-Gilli, nota bene eine Protestantin. Ausgerechnet der allseits geschätzte Dekan und ehemalige Regens und Theologieprofessor Rudolf Schmid wurde von der Sechser-Liste des Domkapitels gestrichen – und dies ohne jede Begründung! Kunststück, denn es gab keine Begründung! Hans Küng, der bei diesem Streichmanöver hinter den Kulissen seine Hände im Spiel gehabt haben dürfte, rechtfertigte diesen Rechtsbruch auf seine für ihn typische Weise: Wenn es schon ein Streichungsrecht gebe, müsse man von Zeit zu Zeit auch davon Gebrauch machen, unabhängig davon, wie qualifiziert der betroffene Kandidat sei. Sonst mache dieses Privileg ja keinen Sinn. Der heutige Kardinal Kurt Koch nannte diesen Vorgang in der «Schweizerischen Kirchenzeitung» demgegenüber zutreffend ein «böses Foul mit Eigengoal». Denn: «Eine staatspolitische Feuerwehr», so Kardinal Koch weiter, «die in Aktion tritt und Wasser verspritzt, wenn es gar nicht brennt, macht sich nicht nur lächerlich, sondern auch unglaubwürdig.»

In der Tat: Ein begründungsloser Entscheid ist im modernen Staats- und Verfassungsrecht ein absolutes No-Go, erst recht, wenn es dabei um so anachronistische Prärogative wie staatliche Eingriffe in kirchliche Angelegenheiten geht. Es kann nicht sein, dass Vertreter des Staates, und dazu noch nicht-katholische, sich das Recht herausnehmen, sich in Bischofswahlen einzumischen.

Das Zweite Vatikanische Konzil fordert im Sinne der korporativen Religionsfreiheit staatliche Instanzen auf, in Zukunft auf alle Rechte oder Privilegien zu verzichten, Bischöfe zu «wählen, zu ernennen, vorzuschlagen oder zu benennen» (vgl. Nr. 20 des «Dekrets über die Hirtenaufgabe der Bischöfe in der Kirche»). Dieses Pochen auf die Freiheit der Selbstorganisation ist mittlerweile auch von der Staatengemeinschaft anerkannt. Ueli Friedrich verweist in seiner wegweisenden Dissertation «Kirchen und Glaubensgemeinschaften im pluralistischen Staat» auf die einschlägigen Schlussakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE): «Kirchen und Glaubensgemeinschaften soll das Recht zustehen, ihr Personal in Übereinstimmung mit ihren jeweiligen Erfordernissen und Normen sowie mit etwaigen zwischen ihnen und ihrem Staat freiwillig vereinbarten Regelungen auszuwählen, zu ernennen und auszutauschen und in geeigneten Institutionen auszubilden […] Die KSZE-Teilnehmer achten auch das Recht religiöser Gemeinschaften, sich nach ihrer eigenen hierarchischen und institutionellen Struktur zu organisieren.»

Diesen religionsrechtlichen Vorgaben des modernen Verfassungsrechts wird das anachronistische, aus den Anfängen des 19. Jahrhunderts stammende Basler Bistumskonkordat seit Längerem längst nicht mehr gerecht. Wer, wenn nicht Nuntius Martin Krebs, wäre dazu berufen, die Weichen zu stellen, damit auch das Schweizer Staatskirchenrecht den Erfordernissen der Moderne entspricht?


Niklaus Herzog
swiss-cath.ch

E-Mail

Lic. iur. et theol. Niklaus Herzog studierte Theologie und Jurisprudenz in Freiburg i. Ü., Münster und Rom.


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    Gabriela Ulrich 26.04.2023 um 23:55
    Der Nuntius Erzbischof Dr. Martin Krebs ist für die Kirche und nicht für die Schweizer Botschaft im Vatikan zuständig. Ausserdem hält sich der Bundesrat der Schweizerischen Eidgenossenschaft mit der neuen Bundesverfassung 18. April 1999 überhaupt nicht an die Lehre der römisch-katholischen Kirche. Die Präambel im Namen des allmächtigen Gottes ist eine Irreführung. Denn der Bundesrat hat nicht die Absicht, den Bund der Eidgenossenschaft zu befestigen, die Einheit, Kraft und Ehre der schweizerischen Nation zu erhalten und zu fördern, gemäss Bundesverfassung1848 der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Die neue Bundesverfassung vom 18. April 1999 kann sich nicht auf die Geschichte berufen. Eine Einheit gibt es nicht!
  • user
    Hansjörg 24.04.2023 um 17:33
    Die Schweiz und der Vatikan haben auch einige Differenzen. In der Schweiz sind Frauen gleichberechtigt und die Ehe für alle Menschen ist möglich.