Als warnendes Beispiel verweist Grichting auf die Entwicklungen in der evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons Zürich. Dort hatte im 19. Jahrhundert die Frage, ob Jesus Christus tatsächlich der Sohn Gottes sei, zu einer innerprotestantischen Zerreissprobe geführt. Um eine Spaltung und damit den Verlust der staatlich garantierten Finanzierung zu verhindern, erliess die Zürcher Landeskirche eine Tauf- und Abendmahlsliturgie in jeweils zweifacher Ausführung: Die eine Fassung hielt am Apostolischen Glaubensbekenntnis und damit an Jesus Christus als Sohn Gottes fest, die andere nicht. Einigendes Band ist bis heute demzufolge nicht mehr das Glaubensbekenntnis, sondern der das Kirchenwesen finanzierende Staat. Damit sind, so Karl Barth, Bekennen und Nicht-Bekennen gleichermassen erlaubt.
Die Rücksichtnahme auf innerkirchlich sich widersprechende Glaubenslehren führte, so Grichting weiter, zu einem sich sukzessive verschärfenden religiösen Substanzverlust, was sich wiederum in einem dramatischen Schwund der Mitgliederzahlen manifestierte: Gehörten der protestantischen Landeskirche 1860 noch 95,7 Prozent der Bevölkerung an, sind es im Jahre 2021 gerade noch 25,4 Prozent. Der in Deutschland (und analog in der Schweiz) von der katholischen Kirche beschrittene synodale Weg würde, so Grichting, im Ergebnis ebenfalls zu einer bloss von einem staatlich-ökonomischen Regelwerk zusammengehaltenen Glaubensgemeinschaft mit sich widersprechenden Überzeugungen führen – inklusive einem parallel verlaufenden Mitgliederschwund.
Diese Analyse stiess wenig überraschend auf heftigen Widerspruch. An vorderster Front meldeten sich Exponenten der Alt-katholischen Kirche zu Wort (in der Schweiz christkatholische Kirche genannt), obwohl – oder gerade weil –Grichting diese Konfession in seinem Beitrag gar nicht erwähnt hatte. So verwies Pfarrer Daniel Konrad in seiner Kritik («Der synodale Weg ist am Ende erfolgreich», Neue Zürcher Zeitung vom 9. September 2022) auf das Gegenmodell seiner im Gefolge des I. Vatikanischen Konzils gegründeten Alt-katholischen Kirche. Den vermeintlichen Erfolgsfaktor will Pfarrer Konrad im Selbstverständnis seiner Kirche erkennen, die sich nicht «gegen die Welt», sondern «mit der Welt» zu verwirklichen versuche. Das Problem dabei: Was, wenn «die Welt» von dieser Anbiederung eines verwässerten Christentums partout nichts wissen will? Zumindest in der Schweiz scheint dies der Fall zu sein. Gemäss Bundesamt für Statistik gehören landesweit gerade noch knapp 13 000 Gläubige der Christkatholischen Kirche an – dies bei einer Gesamtbevölkerung von 8,7 Millionen – macht nach Adam Riese gerade einmal 0,15 Prozent. Nicht unbedingt das, was man sich unter einem erfolgreichen synodalen Weg vorstellt.
Der zitierte Beitrag von Martin Grichting erschien am 13. August 2022 in der NZZ (nur mit Abo zugänglich). Der Beitrag wurde auf kath.net zweitveröffentlicht.
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