Symboldbild. (Bild: Maria Oswalt/Unsplash)

Hintergrundbericht

Frank­reich: Kul­tur des Todes soll in der Ver­fas­sung ver­an­kert werden

Nach der Natio­nal­ver­samm­lung hat die­sen Mitt­woch auch der Senat dafür gestimmt, Schwan­ger­schafts­ab­bruch als «garan­tierte Frei­heit» in die Ver­fas­sung auf­zu­neh­men. Der end­gül­tige Ent­scheid fällt am kom­men­den Montag.

Abtreibungen sind in Frankreich seit dem 17. Januar 1975 straffrei («Loi Veil»). Aktuell kann bis zur 14. Woche abgetrieben werden.

In der Parlamentsdebatte im November 1974 fragte die damalige Familienministerin und Auschwitz-Überlebende Simone Veil (1927–2017), nach der das Abtreibungsgesetz benannt wurde: «Ich sage mit all meiner Überzeugung: Abtreibung muss die Ausnahme bleiben, der letzte Ausweg für hoffnungslose Situationen. Aber wie können wir Abtreibung tolerieren, ohne dass sie ihren aussergewöhnlichen Charakter verliert; ohne dass die Gesellschaft sie zu fördern scheint?»

Für viele Menschen hat Abtreibung schon lange ihren «aussergewöhnlichen Charakter» verloren. Man spricht vom Recht der Frau («Mein Bauch gehört mir»), von ihrem Selbstbestimmungsrecht und beschwört Bilder von Frauen, die an unerwünschten Schwangerschaften sterben. So titeln dann auch die Schweizer Medien: «‹Nie mehr Kleiderbügel› – Frankreich verankert das Abtreibungsrecht».

Gründe für Abtreibung werden nicht beseitigt
Die Organisation «Ärzte ohne Grenzen» gibt an, dass jährlich mehr als 25 Millionen unsichere Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen, 97 Prozent davon in Ländern des Globalen Südens. Dabei würden pro Jahr mehr als 22 800 Frauen und Mädchen an den Folgen der Abtreibung sterben.[1]

Es ist wichtig, sich die Gründe für die Abtreibungen bewusst zu machen. In Ländern der sogenannten Dritten Welt ist ein Grund für unerwünschte Schwangerschaften oft eine Vergewaltigung. Ein anderer Grund liegt darin, dass Frauen nicht über die Zahl der Kinder mitentscheiden können. Ein weiterer Grund liegt schlicht in der Tatsache, dass in vielen Ländern Mädchen unerwünscht sind. Mit der Legalisierung der Abtreibung verschwinden die Gründe nicht: Frauen werden weiterhin als Menschen zweiter Klasse betrachtet und behandelt. Die Zahl der Abtreibungen wird bei einer Legalisierung zunehmen – wie immer auf Kosten der Frauen, die später oft lebenslang an den Folgen der Abtreibung(en) leiden. Studien zeigen zudem klar auf, dass eine Legalisierung der Abtreibung nicht automatisch eine geringere Müttersterblichkeit bringt.

Auch das Argument des Selbstbestimmungsrechts der Frau steht auf wackligen Füssen, geben doch viele Frauen an, sie hätten auf Druck des Partners respektive der Umgebung abgetrieben. Hätten sie also selbstbestimmt entscheiden können, hätten sie sich gegen eine Abtreibung und für ihr Kind entschieden.

Umfragen zufolge befürworten 86 Prozent der Franzosen eine völlige Liberalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Dabei wird das ungeborene Kind völlig ausser Acht gelassen, wie ein Ereignis vor ein paar Tagen zeigte: Ein Moderator des französischen Fernsehsenders «CNews» publizierte eine Grafik, in der Abtreibung als die häufigste weltweite Todesursache dargestellt wurde: 73 Millionen im Jahr 2022 vor Krebs (zehn Millionen) und Tabakkonsum (6,2 Millionen). Es folgte ein nationaler Aufschrei. Der stellvertretende Minister für Gesundheit und Prävention, Frédéric Valletoux, erklärte, Abtreibung sei weder eine Krankheit noch ein Verbrechen gegen andere, sondern eine Freiheit (sic!).

Reaktionen: Von «Trauer» bis «totalitärer Staat»
Die Französische Bischofskonferenz erklärte in ihrer Stellungnahme, dass sie das Abstimmungsresultat «mit Traurigkeit» zur Kenntnis nimmt. Sie bekräftigt, dass eine Abtreibung «ein Angriff auf das Leben an seinem Anfang bleibt» und «nicht nur unter dem Blickwinkel des Frauenrechts gesehen werden kann». Sie bedauert, dass während der Debatte nie über mögliche Hilfsmassnahmen für jene Frauen gesprochen wurde, die ihr Kind behalten möchten. Die Bischöfe fahren fort: «Angesichts der zahlreichen Gewalttaten, die Frauen und Kindern angetan werden, wäre es eine Ehre für die Verfassung unseres Landes gewesen, den Schutz von Frauen und Kindern in ihrem Herzen zu verankern.» Sie werden sich für die Gewissensfreiheit der Ärzte und des gesamten Pflegepersonals einsetzen.

Zwei Änderungsanträge von Senatoren der «Républicains» zum neuen Verfassungszusatz, welche diesen letzten Punkt betrafen, wurden abgelehnt. Es ist zu befürchteten, dass die Verfassungsänderung Abtreibung zu einem einklagbaren Recht macht und medizinisches Personal zur Durchführung von Abtreibungen zwingt.

Der frühere Pariser Erzbischof, Bioethiker und Arzt Michel Aupetit twitterte: «Abtreibung in der Verfassung. Die Gewissensklausel für Pflegekräfte wird abgelehnt. Das Gesetz setzt sich gegen das Gewissen durch, das zur Tötung zwingt. Frankreich hat den Tiefpunkt erreicht. Es ist zu einem totalitären Staat geworden.»

Und der Koadjutorbischof von Fréjus-Toulon, François Touvet, fragt (ebenfalls auf Twitter): «Wo bleibt das ‹Leben retten›, der offizielle Refrain während des Covid? Es ist traurig, all diese Wendehälse zu sehen, die auf Sicht fahren, ohne Überzeugung, je nach Wählergunst und Ministeriumsressort.»

Am Montag wird definitiv über die Verfassungsänderung entschieden. Dafür braucht es eine Drei-Fünftel-Mehrheit beider Kammern (Senat und Nationalversammlung), also mindestens 555 von insgesamt 925 Stimmen. Diese Mehrheit dürfte leider problemlos erreicht werden: Summiert man die Ja-Stimmen beider Kammern, kommen 760 Stimmen von Abgeordneten und Senatoren zusammen.

Diese letzte Abstimmung sei nur eine «Formalie», ist in einigen Medien zu lesen. Ist es aber nicht! Die Menschenrechte werden so in ihr Gegenteil verkehrt, ja recht eigentlich pervertiert. Denn das Recht auf Leben ist die unverzichtbare Grundvoraussetzung, dass eine Person die anderen Menschenrechte, sei es die Meinungsfreiheit, sei es die Glaubens- und Gewissensfreiheit, überhaupt erst wahrnehmen kann. Wird das Recht auf Leben negiert, werden auch die übrigen Menschenrechte zur Makulatur.

Ein kleiner Lichtblick bleibt: Nur wenige Ärztinnen und Ärzte sind bereit, eine Abtreibung durchzuführen. In den Medien ist die Rede von gerade einmal drei Prozent.

 


[1] www.aerzte-ohne-grenzen.de/unsere-arbeit/themen-im-fokus/sexuelle-und-reproduktive-gesundheit/sichere-schwangerschaftsabbrueche


Rosmarie Schärer
swiss-cath.ch

E-Mail

Rosmarie Schärer studierte Theologie und Latein in Freiburg i. Ü. Nach mehreren Jahren in der Pastoral absolvierte sie eine Ausbildung zur Journalistin und arbeitete für die Schweizerische Kirchenzeitung SKZ.


Kommentare und Antworten

×

Name ist erforderlich!

Geben Sie einen gültigen Namen ein

Gültige E-Mail ist erforderlich!

Gib eine gültige E-Mail Adresse ein

Kommentar ist erforderlich!

You have reached the limit for comments!

* Diese Felder sind erforderlich.

Bemerkungen :

  • user
    Lena 03.03.2024 um 20:05
    Abtreibung ist Mord! Mord ist eine Todessünde!
    Kein Mensch darf getötet werden, egal wie er gezeugt wurde. Jedes Leben beginnt mit der Befruchtung. Wir alle wissen das und jede Diskussion sollte hier enden.
    Gebete und besonders der Rosenkranz sind sehr notwendig, um die Unmoral in der Welt zu stoppen und alle Seelen dieser Welt zu retten. Gott segne euch alle!
  • user
    Hansjörg 01.03.2024 um 17:34
    Die kath. Kirche verhält sich schon sehr zwiespältig. Zum einen erklärt sie jegliche Verhütung vor, während und nach der Ehe als verboten und als eine schwere Sünde.
    Dann beklagen die Bischöfe, übrigens zu Recht, dass es zu vielen Abtreibungen kommt. Gerade im globalen Süden, wo 97% der globalen Abtreibungen vorgenommen werden, könnte mit einer vorausschauenden Verhütung viele Abtreibungen verhindert werden.
    • user
      nicole14 01.03.2024 um 17:59
      Sehr geehrter Hansjörg. Verhütung löst das eigentliche Problem nicht. Wenn Sie die vielen Abtreibungen im globalen Süden ansprechen: Sollen Frauen präventiv verhüten, damit es bei einer Vergewaltigung nicht zu einer Schwangerschaft kommt? Mit anderen Worten: Finden Sie es richtig, dass Frauen vergewaltigt werden? Wie löst eine verbreitete Verhütung das Problem, dass Frauen als Menschen zweiter Klasse behandelt werden? Ist es nicht so, dass sie dadurch erst recht als "Freiwild" angeschaut werden, da der Mann keine Konsequenzen - im Sinn einer Schwangerschaft - befürchten muss? Und dann bleibt immer noch das Problem, dass mehrheitlich Mädchen abgetrieben werden. Abgesehen davon: In der Schweiz ist Verhütung für alle zugänglich und wir haben trotzdem rund 10 000 Abtreibungen pro Jahr. Irgendwie geht die Rechnung nicht auf, eine Rechnung übrigens, die immer zu Lasten der Frau geht.
      • user
        Martin Meier-Schnüriger 02.03.2024 um 13:20
        Vielen Dank für Ihren Kommentar, liebe Nicole! Hansjörg lässt übrigens ausser Acht, dass es sich bei vielen so genannten Verhütungsmittel um frühabtreibende Präparate handelt, die nicht (oder nicht nur) die Empfängnis verhindern, sondern die Einnistung der schon befruchteten Eizelle in der Gebärmutter. Die Verhütungsmentalität führt ausserdem dazu, dass ein Kind mehr und mehr als Panne und nicht als Geschenk Gottes angesehen wird. Versagt die Verhütung - was gar nicht so selten vorkommt -, wird mittels Abtreibung "nachgeholfen".
        • user
          Hansjörg 03.03.2024 um 13:19
          Bei der Verwendung von Kondomen kann keine Verbindung des Samens mit der Eizelle statt finden. Zudem verhindern Kondome die Übertragung von vielen Krankheiten. Das wäre gerade im Globalen Süden von grosser Wirkung. Die kath. Kirche bezeichnet aber dennoch auch die Verwendung von Kondomen als schwere Sünde.
          Für alle anderen relevanten Punkte haben wir in der Schweiz staatliche Regelungen und Gesetze und das ist gut so.
      • user
        Hansjörg 02.03.2024 um 22:33
        Sehr geehrte Nicole14
        Niemand kann eine Vergewaltigung gut heissen, und ich finde eine Vergewaltigung ein Verbrechen, das durch ein Gericht zu verurteilen ist. Soviel zu Ihrer unnötigen Frage, ob ich eine Vergewaltigung richtig finde.
        Genauso kann ich fragen, finden Sie es gut, dass eine vergewaltigte Frau das Kind austragen muss?
        Wenn Frauen, die eh in einem sehr schwierigen Umfeld leben müssen, aber ohne Religionsdruck selbst entscheiden können, ob sie verhüten oder nicht, ist damit schon ein grosser Fortschritt erreicht.
        Weshalb in der Schweiz trotz allen verfügbaren Mitteln immer noch über 10 000 Abtreibungen pro Jahr vorgenommen werden müsste wohl genauer untersucht werden, ist aber irgendwie nicht nachvollziehbar. Und ja, ich stimme Ihnen zu, die Hauptlast liegt nahezu immer bei den Frauen, ob nun im Globalen Süden oder hier in Europa.
        • user
          Ferdi24 03.03.2024 um 18:12
          eine nicht katholische Stimme:
          Elon Musk stated on February 16, 2024 in a post:
          There is “clear scientific consensus” that “hormonal birth control makes you fat, doubles risk of depression and triples risk of suicide.”