Symbolbild. (Bild: Martin Abegglen/flickr CC BY-SA 2.0 Deed)

Kirche Schweiz

Kirch­ge­meinde und Pfar­rei Wil (SG): So nicht!

Pfar­rei und Kirch­ge­meinde Wil geben sich gerne fort­schritt­lich und reform­freu­dig. Geht es jedoch um Gläu­bige, die aus der Kirch­ge­meinde aus­tre­ten, aber bei der Römisch-​katholischen Kir­che ver­blei­ben wol­len, rea­gie­ren sie äus­sert ungnä­dig, miss­ach­ten gar Vor­ga­ben der Bistumsleitung.

Ein alter, längst obsolet gewordener Kalauer heisst: «In Winterthur hört die Schweiz auf.» Aus Zürcher bzw. Berner Optik war die Ostschweiz tatsächlich so etwas wie eine «quantité négligeable», die in Sachen Infrastruktur chronisch vernachlässigt und bestenfalls einmal pro Jahr wahrgenommen wurde – dann, wenn die Olma ihre Pforten öffnete.

Für die Kirchgemeinde und Pfarrei Wil scheint dieses Cliché allerdings immer noch aktuell zu sein. Anders lässt sich kaum erklären, weshalb das Urteil des Bundesgerichts vom 9. Juli 2012 in der ehemaligen Äbtestadt Wil immer noch nicht angekommen ist.

Eben dieses Bundesgerichtsurteil besagt, dass es rechtlich ohne weiteres zulässig ist, aus der (staatlichen) Kirchgemeinde bzw. Kantonalkirche auszutreten, ohne deshalb gleichzeitig aus der Kirche als solcher austreten zu müssen. Das Bundesgericht hält in diesem Urteil auch fest, dass ein solcher partieller Austritt nicht begründet werden muss, um rechtswirksam zu werden. Über die Bekundung des klaren Austrittswillens hinausgehende Anforderungen sind demgegenüber unzulässig.

Bewusste Verschleierung
Nun hat am 29. Dezember 2023 ein in Wil ansässiges Ehepaar seinen Austritt aus der «Katholischen Körperschaft» erklärt, der Kantonalkirche also, die im Kanton St. Gallen als sogenannter «Katholischer Konfessionsteil» bezeichnet wird. Mit Datum vom 3. Januar 2024 erhielt das Ehepaar eine Rückmeldung – nicht wie vorgeschrieben vom örtlichen Kirchenverwaltungsrat, sondern von der «Katholischen Pfarr- und Kirchgemeinde Wil». Unterzeichnet war das Schreiben von der Präsidentin des Kirchenverwaltungsrates (also der Exekutive der Kirchgemeinde) und drei Vertretern des Seelsorgeteams. Damit soll offensichtlich das Kirchenvolk irregeführt, der juristische als auch theologische bedeutsame Unterschied zwischen Pfarrei und Bistum einerseits und Kirchgemeinde und Kantonalkirche andrerseits bewusst verschleiert werden. Entsprechend unzutreffend, ja rechtswidrig fällt auch der Inhalt des Antwortschreibens aus. Es beginnt mit dem Satz «Sie haben uns mitgeteilt, dass Sie aus unserer Kirche austreten möchten.» Nein, haben sie eben gerade nicht! Gravierender noch als dieser tatsachenwidrige Ingress ist der anschliessende Katalog von Konsequenzen, der für den Fall des vermeintlichen Kirchenaustritts angedroht wird:

  • Sie verzichten künftig auf den Empfang der Sakramente (Taufe und Erstkommunion Ihrer katholischen Kinder, Ehe);
  • Bei Ihrem Tod haben Sie keinen Anspruch auf ein kirchliches Begräbnis (bitte informieren Sie Ihre Angehörigen);
  • Sie verlieren das kirchliche Stimm- und Wahlrecht;
  • Bei der Taufe und Firmung ist es Ihnen nicht möglich, eine Patenschaft zu übernehmen;
  • Die Kirchgemeinde ist nicht verpflichtet, Ihren Kindern Religionsunterricht zu erteilen.

Die Legalität der vor Jahrzehnten in die Verfassung des «Katholischen Konfessionsteils» (vgl. Art. 6) festgeschriebenen Forderung einer beglaubigten Unterschrift zuhanden des Kirchenverwaltungsrates ist nach dem Urteil des Bundesgerichts vom 9. Juli 2012 mehr als fraglich (Stichwort «Überspitzter Formalismus»).

Missachtung der Vorgaben der Bistumsleitung
Ein No-Go sind jedoch zweifelsohne die vorstehend aufgelisteten Androhungen, weil erstens in casu kein Austritt aus der Kirche als solcher erfolgte und zweitens weil diese im klaren Widerspruch zu den diesbezüglichen Vorgaben der Bistumsleitung stehen. Das Bistum St. Gallen hat im Jahre 2003 die Richtlinie «Kirche und ‹Kirchenaustritt›» erlassen (Ergänzungen in den Jahren 2010 und 2023). Darin wird selbst für den Fall eines eigentlichen Kirchenaustritts festgehalten, dass ein Kirchenaustritt nicht ein Grund sein darf, kirchliche Hilfe zu verweigern. Zum Thema Religionsunterricht heisst es darin: «Wünschen Ausgetretene die Teilnahme ihrer Kinder am Religionsunterricht, kann es nicht in der Absicht der Kirche liegen, welche den Glauben an alle Menschen weitergeben muss, diese abzulehnen.»

Ein spezielles Kapitel gilt – wie hier der Fall – der «Regelung über den Umgang mit Personen im Bistum St. Gallen, die aus der staatskirchenrechtlichen Körperschaft austreten, aber Glied der römisch-katholischen Kirche bleiben wollen». Dieser Regelung zufolge kann der Bischof erlauben, dass «jemand, der explizit erklärt, nur aus der staatskirchenrechtlichen Körperschaft auszutreten, aber in der Katholischen Kirche verbleiben zu wollen, seine/ihre Solidaritätspflicht gegenüber der Kirche durch Einzahlung in einen diözesanen Fonds erfüllt». Damit bleiben, so ist dieser Passus zu ergänzen, die Rechte der betreffenden Person in und gegenüber der Kirche vollumfänglich gewahrt.

«Swiss-cath.ch» hat bei der Bistumsleitung unlängst nachgefragt, welche Konsequenzen es hat, wenn eine Person aus der Kirche austritt. Die Antwort lautete: «Diese Frage wird im Bistum St. Gallen weniger auf rechtlicher Ebene, sondern in der Frage nach einem guten pastoralen Umgang diskutiert.» Um wie viel mehr muss diese Direktive für eine Person gelten, die nicht aus der Kirche, sondern lediglich aus dem staatlichen Konstrukt namens «Kirchgemeinde» bzw. «Kantonalkirche» austritt.

Schon fast wie Hohn mutet es an, dass das Antwortschreiben von Pfarrei und Kirchgemeinde Wil am Schluss noch mit einem Kleber der Aktion «So nicht!» garniert wird. Ja, liebe Leute aus Wil, so geht es wirklich nicht!

Dass es auch anders geht, nämlich pastoral klug und gleichzeitig juristisch und theologisch korrekt, belegt ein jüngstes Beispiel aus dem Kanton Schwyz:

«Wir nehmen zur Kenntnis, dass Sie damit nicht aus der röm.-kath. Kirche allgemein austreten, sondern aus der staatskirchenrechtlichen Körperschaft. Mit dem Austritt erlöschen Ihre Rechte und Pflichten in der röm.-kath. Kirchgemeinde Schwyz. Sie verlieren das aktive und passive Stimm- und Wahlrecht und haben keinen Anspruch mehr auf Leistungen seitens unserer Kirchgemeinde. Sie sind von der Steuerpflicht befreit.
Wenn Sie trotzdem einzelne seelsorgerliche Dienste beanspruchen möchten, sollten Sie vorgängig Rücksprache mit den Seelsorgenden nehmen. Sie werden auch verstehen, dass die Kirchgemeinde bei solchen Gelegenheiten eine finanzielle Entschädigung für die Benützung der kirchlichen Gebäude und für den Aufwand verlangen kann.»


Niklaus Herzog
swiss-cath.ch

E-Mail

Lic. iur. et theol. Niklaus Herzog studierte Theologie und Jurisprudenz in Freiburg i. Ü., Münster und Rom.


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Bemerkungen :

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    Hermann Müller 12.01.2024 um 08:57
    Ergänzend ist festzuhalten, dass es gar keinem partiellen Austritt und entsprechendem finanziellen Obolus an den Bischof bedarf. Denn als röm.-kath. getaufte Person bleibt man ohnehin für immer und ewig Glied der röm.-kath. Kirche.
    • user
      Redaktion 12.01.2024 um 09:53
      Hier ist anzumerken: Das unauslöschliche Prägemal durch die Taufe kann ein Katholik nicht verlieren, doch durch den Austritt (Abwendung von der Kirche) verliert er seine Rechte. Konkret: Er verliert das Recht, Sakramente zu empfangen (ausser in Todesgefahr), kirchliche Ämter zu bekleiden, Tauf- oder Firmpate zu sein oder Mitglied von pfarrlichen oder diözesanen Räten zu werden oder diese zu wählen.
  • user
    Stefan Fleischer 12.01.2024 um 07:30
    In der Laudes von heute steht folgende Lesung aus 1 Sam 8,:
    "Aber Sámuel missfiel es, dass sie sagten: Gib uns einen König, der uns regieren soll! Sámuel betete deshalb zum HERRN und der HERR sagte zu Sámuel: Hör auf die Stimme des Volkes in allem, was sie zu dir sagen! Denn nicht dich haben sie verworfen, sondern mich haben sie verworfen: Ich soll nicht mehr ihr König sein."
    Was könnte das für die aktiuelle Situation unserer Kirche wohl heissen?