O Clavis. Antiennes de l'Avent, Maître du Méliacin Antiphonaire dominicain. Ordre des Prêcheurs. (Bild: Castorepollux. Ordre des prêcheurs, CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)

Neuevangelisierung

Komm Herr und säume nicht!

Die O-​Antiphone beglei­ten uns in den letz­ten Tagen vor Weih­nach­ten. Sie erin­nern an die Ver­heis­sun­gen des kom­men­den Mes­sias und sind gleich­zei­tig ein ein­dring­li­ches Bit­ten um das Kom­men Jesu Christi.

Die letzten sieben Tage vor Weihnachten besitzen seit dem 7. Jahrhundert einen eigenen liturgischen Akzent. So wird das Magnifikat der Vesper von den sogenannten O-Antiphonen begleitet. Sie sind auch in der Eucharistiefeier als Halleluja-Verse vor dem Evangelium vorgesehen.

Der Name kommt von den Anrufungen, die jeweils eine der alttestamentlichen Messias-Verheissungen nennen. Diese alten Bilder Gottes sollen auf die Ankunft Jesu hinweisen, auch wenn Jesus selbst nicht namentlich genannt wird.

Jede Antiphon beginnt mit der Nennung eines messianischen Hoheitstitels aus dem Alten Testament. Es folgt eine Aussage darüber, was Christus tut oder wie er seine Herrschaft ausübt. Mit der Bitte «Komm» wird das hoffnungsvolle Warten auf den Erlöser eindringlich zum Ausdruck gebracht.

17.12.: «O sapientia – O Weisheit, hervorgegangen aus dem Munde des Höchsten – die Welt umspannst du von einem Ende zum andern, in Kraft und Milde ordnest du alles: Komm und offenbare uns den Weg der Weisheit und Einsicht!»
Christus, «in dem alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis verborgen sind» (vgl. Kol 2,3) vereint Kraft und Milde in seiner Person. In ihm sind es keine Gegensätze: Er herrscht mit zarter Kraft und starker Milde.

18.12.: «O Adonai, Herr und Führer des Hauses Israel – im flammenden Dornbusch bist du dem Mose erschienen und hast ihm auf dem Berg das Gesetz gegeben: Komm und befreie uns mit deinem starken Arm!»
Der Name Gottes darf im Judentum nicht ausgesprochen werden, stattdessen verwendet man «Adonai» (Herr). Gott war der Unaussprechliche. Im flammenden Dornbusch gab er sich als den zu erkennen, der «da ist», der «mit uns ist». Auf dem Berg Sinai gab er den Menschen die Zehn Gebote, die ein gutes, gottgefälliges Leben ermöglichen. An Weihnachten wird dieser ferne Gott Mensch, er kommt uns ganz nah und ermöglicht uns, ihn beim Namen zu nennen.

19.12.: «O radix Jesse – O Spross aus Isais Wurzel, gesetzt zum Zeichen für die Völker – vor dir verstummen die Herrscher der Erde, dich flehen an die Völker: Komm und errette uns, erhebe dich, säume nicht länger!»
Christus ist die Wurzel aus dem Urgrund Gottes, fest verankert in ihm. So dürfen auch wir Wurzeln schlagen in ihm, uns von seiner Kraft ernähren. Ohne ihn vermögen wir nichts, deshalb rufen wir ihn immer wieder um seine Hilfe an und geben ihm dadurch die Ehre.

20.12.: «O clavis David – O Schlüssel Davids, Zepter des Hauses Israel – du öffnest, und niemand kann schliessen, du schliesst, und keine Macht vermag zu öffnen: Komm und öffne den Kerker der Finsternis und die Fessel des Todes!»
Wer den Schlüssel besitzt, hat Verfügungsgewalt. Er kann Zugang gewähren oder verwehren. Gleichzeitig trägt er die Verantwortung. Wir Menschen erleben immer wieder Zeiten der Dunkelheit, sind gefangen in unseren Sünden, unseren Gewohnheiten. Doch Christus ist der Schlüssel, er kann uns aus der Dunkelheit oder aus unserem inneren Gefängnis befreien.

21.12.: «O oriens – O Morgenstern, Glanz des unversehrten Lichtes, der Gerechtigkeit strahlende Sonne: Komm und erleuchte, die da sitzen in Finsternis und im Schatten des Todes!»
Der Morgenstern kündigt den kommenden Tag an. Er ist das Symbol der Hoffnung, dass das Dunkel ein Ende hat. Christus ist das Licht, das kommt und unser Leben erhellt. «Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein helles Licht; über denen, die im Land der Finsternis wohnen, strahlt ein Licht auf» (Jes 9,1).

22.12.: «O rex gentium – O König aller Völker, ihre Erwartung und Sehnsucht; Schlussstein, der den Bau zusammenhält: Komm und errette den Menschen, den du aus Erde gebildet!» (22.12.)
Christus ist der König. Er sucht nicht Gewalt, sondern den Frieden; er ist der Friedensfürst. Auf ihm ruht unsere Hoffnung, nach seinem Kommen sehnen wir uns, denn er bringt den Frieden, das Leben in Fülle mit sich.

23.12.: «O Emmanuel – O Immanuel, unser König und Lehrer, du Hoffnung und Heiland der Völker: Komm, eile und schaffe uns Hilfe, du unser Herr und unser Gott!»
Die letzte O-Antiphon fasst zusammen, was in den vergangenen Tagen besungen wurde. Alles drängt hin auf den morgigen Tag, an dem der versprochene Retter kommt – Emmanuel (Gott ist mit uns).

Die Anfangsbuchstaben der lateinischen Anrufungen rückwärts gelesen ergeben «ero cras» – «Morgen werde ich da sein.» Es ist die Selbstzusage des Kommenden. Damit ist natürlich in erster Linie sein Kommen an Weihnachten gemeint. Die Zusage darf aber auch auf sein endgültiges Kommen in Herrlichkeit bezogen werden. «Ja, ich komme bald. – Amen. Komm, Herr Jesus! Die Gnade des Herrn Jesus sei mit allen! (Offb 22,20–21).


Rosmarie Schärer
swiss-cath.ch

E-Mail

Rosmarie Schärer studierte Theologie und Latein in Freiburg i. Ü. Nach mehreren Jahren in der Pastoral absolvierte sie eine Ausbildung zur Journalistin und arbeitete für die Schweizerische Kirchenzeitung SKZ.


Kommentare und Antworten

×

Name ist erforderlich!

Geben Sie einen gültigen Namen ein

Gültige E-Mail ist erforderlich!

Gib eine gültige E-Mail Adresse ein

Kommentar ist erforderlich!

You have reached the limit for comments!

* Diese Felder sind erforderlich.

Sei der Erste, der kommentiert