Symbolbild. (Bild: Joao Tzanno/Unsplash)

Kommentar

Miss­brauchs­be­kämp­fung: Das Kir­chen­volk für dumm verkauft

In einem Werk­statt­ge­spräch vom 27. Mai 2024 ori­en­tier­ten Kir­chen­ver­ant­wort­li­che über die Zwi­schen­bi­lanz der Auf­ar­bei­tung sexu­el­ler Miss­bräu­che. Ver­schwie­gen wurde dabei die Schaf­fung der neuen natio­na­len Dienst­stelle «Miss­brauch im kirch­li­chen Kon­text». Die per­so­nelle Kon­stel­la­tion die­ser Dienst­stelle birgt Zündstoff.

In einer als «Werkstattgespräch» deklarierten, gross aufgezogenen Pressekonferenz informierten die Kirchenverantwortlichen am 27. Mai 2024 über den aktuellen Stand der Bekämpfung sexueller Missbräuche in der Katholischen Kirche. Der dabei präsentierte Massnahmenkatalog ist höchst umfangreich, ja überdimensioniert – man ist versucht, von einer Art Inquisition mit umgekehrten Vorzeichen zu sprechen. Big Points dieses Massnahmenkatalogs:

  • Ein kirchliches Straf- und Disziplinargericht, zuständig für alle Bistümer der Schweiz, soll geschaffen werden.
  • Die am 12. September 2023 veröffentlichte Pilotstudie soll ausgeweitet und vertieft werden, 1,5 Millionen Franken werden für diese dreijährige Studie aufgeworfen.
  • Die Bistümer haben sich in einer Selbstverpflichtung bereit erklärt, inskünftig auf die vom universalen Kirchenrecht verlangte Aktenvernichtung (vgl. can. 489 § 2) zu verzichten.
  • Für das professionelle «Handling» von Personaldossiers bzw. die Entwicklung der dazu erforderlichen einheitlichen Standards wird ein externes, darauf spezialisiertes Unternehmen beauftragt.
  • In Zusammenarbeit mit externen Experten wird ein Assessment-Verfahren entwickelt, mit dessen Hilfe die Eignung interessierter Personen für die Seelsorge überprüft werden soll.
  • Opferberatung und Meldewesen werden organisatorisch und personell strikt getrennt. Um diese Trennung sicherstellen zu können, wird eigens eine nationale Informations- und Koordinationsstelle geschaffen.

Nichts gewusst?
Was an diesem mehr als zweistündigen Werkstattgespräch verschwiegen wurde: Zusätzlich zu all diesen Arbeitsgruppen, Ausschüssen, Gremien und Kontrollinstanzen wird eine neue, nationale Dienststelle geschaffen. Ihr Name: «Missbrauch im kirchlichen Kontext». Ihr Chef: Stefan Loppacher. Bingo!

Stefan Loppacher gehörte zu den vier Repräsentanten, die am Werkstattgespräch den vorstehend erwähnten Massnahmenkatalog erläuterten. Nur gerade zwei Tage später gab er offiziell seine Kündigung als Präventionsbeauftragter der Diözese Chur bekannt, um im gleichen Atemzug seinen fliegenden Wechsel zur neu geschaffenen Dienststelle anzukündigen.

Nun wird's grotesk: Als Grund für diese Kündigung aus heiterem Himmel werden in der Medienmitteilung des Bistums Chur und der «Katholischen Kirche im Kanton Zürich» Differenzen mit Bischof Bonnemain betreffend «Ausgestaltung der diözesanen Präventionsstelle» genannt. Grotesk deshalb, weil Loppacher als zukünftiger Chef der nationalen Dienststelle «Missbrauch im kirchlichen Kontext» auch weiterhin und zwar verstärkt mit eben diesem Bischof Bonnemain kutschieren muss, der in der Bischofskonferenz just für das Missbrauchs-Ressort zuständig ist.

Niemand soll behaupten, die am Werkstattgespräch zwei Tage zuvor anwesenden kirchlichen Repräsentanten hätten von dieser abrupten «Fahnenflucht» Loppachers weg vom Präventionsbeauftragten der Diözese Chur hin zur nationalen Dienststelle «Missbrauch im kirchlichen Kontext» nichts gewusst!
 


«Grundloyalität zur katholischen Kirche» kein Thema mehr
Wo liegt da der Hase im Pfeffer? Dieses Versteckspiel erklärt sich unter anderem damit, dass mit dem funktionalen Wechsel von der regionalen auf die nationale Bühne auch ein inhaltlicher Paradigmenwechsel einhergeht: Wurde noch im Stelleninserat für einen Ersatz der ausgeschiedenen Karin Iten als Präventionsbeauftragte des Bistums Chur eine «Grundloyalität zur katholischen Kirche» eingefordert, ist davon im Anforderungsprofil für die neue Dienststelle «Missbrauch im kirchlichen Kontext» nicht mehr die Rede.

Für deren Chef, Stefan Loppacher, Défroqué in spe, ist dies ohnehin obsolet, hat er sich doch in einem Interview mit dem «Beobachter» als Atheist geoutet: «Für mich fühlt es sich so an, als hätte Gott Suizid begangen, als wäre er einfach nicht mehr da. Und er fehlt mir überhaupt nicht.» Aber auch für sein zukünftiges «Gspänli» wird dies kein Thema sein: Einigermassen dreist veröffentlichte die «Römisch-Katholische Zentralkonferenz» bereits am 31. Mai 2024 ein Stelleninserat, in welchem zur Unterstützung von Loppacher eine zusätzliche Fachkraft für die neue Dienststelle gesucht wird. Angeblich, weil inzwischen die Aufgaben dieser Dienststelle gestiegen seien. Dies, obwohl besagte Dienststelle ihre Tätigkeit gerade erst aufgenommen hat.

In gespieltem Betroffenheitsduktus wird im Stelleninserat um Nachsicht für die darin aufgelisteten Zumutungen gebettelt: «Es gibt angenehmere Aufgaben, als sich bei der katholischen Kirche gegen Missbrauch zu engagieren.» Angesichts der in diesen Kreisen grassierenden, geradezu obsessiven Unterhosen-Fixierung wirkt diese Exkulpations-Klausel in eigener Sache merkwürdig hohl.

Besagte Stelle ist übrigens am Sitz der «Römisch-Katholischen Zentralkonferenz» in Zürich angesiedelt. Womit auch räumlich klargestellt ist: Mit der Schaffung dieser neuen Dienststelle geht eine weitere Kompetenzverlagerung von der Schweizer Bischofskonferenz zu den sich immer mehr als Para-Hierarchie missverstehenden staatskirchenrechtlichen Gremien à la «Römisch-Katholischen Zentralkonferenz» einher.


Niklaus Herzog
swiss-cath.ch

E-Mail

Lic. iur. et theol. Niklaus Herzog studierte Theologie und Jurisprudenz in Freiburg i. Ü., Münster und Rom.


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  • user
    Robert Wenger 07.06.2024 um 11:17
    Existiert das Beichtgeheimnis eigentlich noch?
    Könnte mir vorstellen, dass dieser Aspekt des Versöhnungssakraments in diesem Feld auch und gerade von zentraler Wichtigkeit ist.