Moses und die Kinder Israel durchqueren das Rote Meer von Henri Frédéric Schopin, ca. 1855.

Kommentar

Stand­haft blei­ben in stür­mi­schen Zeiten

Schon seit Län­ge­rem ver­su­chen viele Theo­lo­gin­nen und Theo­lo­gen, bib­li­sche Erzäh­lun­gen zu «ent­my­tho­lo­gi­sie­ren», indem ihnen sowohl jeg­li­cher meta­phy­si­sche Sinn­ge­halt als auch ihr rea­ler Ereig­nischa­rak­ter, ihre Fak­ti­zi­tät, abge­spro­chen wird. Die Sint­flut, Sodom und Gomorra oder das Tei­len des Roten Mee­res wer­den als blosse Meta­phern ohne Rea­li­täts­be­zug interpretiert.

Auch wenn der Glaube der Katholiken anders als bei einigen Evangelikalen nicht davon abhängt, ob gewisse Erzählungen wie von der Bibel geschildert wortwörtlich stattfanden, sollte man sich trotzdem vor der Tendenz hüten, die Texte der Heiligen Schrift bis hin zu ihrer völligen Sinnentleerung im Nirwana der Beliebigkeit zu relativieren.

Israeliten als Vorbild
Im Alten Testament schrieb das jüdische Volk seine Erfahrungen nieder, die es mit Gott machte. Diese Erfahrungen waren so stark, dass die Israeliten am Glauben an den einen Gott festhielten, obwohl alle grossen Reiche rundherum mehrere Götter oder Naturerscheinungen verehrten. Dieses kleine Hirtenvolk hingegen verehrte nicht den Mond oder die Sonne, sondern erklärte diese in seiner Schöpfungsgeschichte als Werke Gottes.

Neben dem Versuch, die Heilige Schrift als unglaubwürdige Ansammlung von Wundergeschichten und Mythen zu desavouieren, gibt es auch den Vorwurf, die biblischen Erzählungen förderten patriarchale Strukturen und widersprächen der Gleichheit und Freiheit der Menschen. Auch hier gilt es, sich vertieft mit der Schrift auseinanderzusetzen und dabei gerade das zu tun, was die heutigen Exegetinnen und Exegeten so häufig fordern, nämlich die Schrift in einen kulturellen Kontext zu stellen. Dies jedoch nicht mit der Absicht, die Entstehung der biblischen Texte primär als Produkt ihrer Zeit zu deuten, sondern vielmehr zu erkennen, wie revolutionär diese damals waren und auch heute noch sind.

Die Schöpfungstheologie der Juden erklärte die von Gott ins Leben gerufene Schöpfung als gut. Die Beziehung zwischen Frau und Mann wird sogar als sehr gut bezeichnet. Das Buch «Genesis» bezeichnet die Gründe für den stärkeren gesellschaftlichen Machteinfluss des Mannes nicht als naturgegeben, sondern als Folge der Sünde – also des Bösen, das von Gott gerade nicht gewollt war. Die ursprüngliche Beziehung zwischen den beiden Geschlechtern, wie sie von Gott gewünscht ist, besteht in einer absoluten Gleichwertigkeit, in der sich die beiden Liebenden in ihrer Unterschiedlichkeit ergänzen.
Natürlich hätten die fünf Bücher Mose auch alle gesellschaftlichen Verhältnisse als reines Konstrukt erklären und die Existenz des Menschen als Mann und Frau leugnen können. In einem poststrukturalistischen Schöpfungsnarrativ wären dann alle biologischen Kategorien nur auf willkürliche, jederzeit austauschbare Benennungen der Menschen zurückzuführen. Das Alte Testament fordert jedoch keine solche epistemologische Revolution, sondern beschreibt eine Welt, wie sie mit den fünf Sinnen erfassbar ist. Wer sich an den biblischen Erzählungen stört, in denen Ungleichheit, Unterdrückung, Sklaverei, Diebstahl, Mord und Kriege vorkommen, der muss erklären können, zu welchen Zeiten diese Geisseln der Menschheit nicht eine Konstante aller Zivilisationen waren.


Kampf an zwei Fronten
Die bibeltreuen Katholikinnen und Katholiken kämpfen daher an zwei Fronten, indem auf der einen Seite die Heilige Schrift aufgrund ihrer die Vernunft übersteigenden Teile als unwissenschaftlich abgetan wird, andererseits die Bibel als politisch unkorrekt gilt, da sie von allzu realen Begebenheiten berichte. Der standhafte Christ wird diesem Trommelfeuer der Kritik seinen Glauben entgegenhalten, dass es der Mensch war, der die Welt mit seiner Ursünde vom gottgewollten Zustand entfernte, es aber Gott ist, der aus Liebe zu seiner Schöpfung den Menschen nicht im Stich lässt.
Auch der Sohn Gottes, der gekommen ist, um die Schrift zu erfüllen, betrat kein Hollywood-Filmstudio. Die Evangelien und die Apostelgeschichte berichten nicht von einer imaginär-heilen Welt, in der es keine Gewalt und Herrschaftsverhältnisse mehr gibt, sondern von Jesus Christus, der sich gerade mitten in diese durch die Sünde der Menschen geschaffene gesellschaftliche Realität begibt, um sein Leben für die Welt hinzugeben.

Die beidseitigen Angriffe, die das Wort Gottes seit mehreren Jahrzehnten erdulden muss, erfährt der Leib Christi – die Kirche – in unseren Tagen noch intensiver. Einerseits wird versucht, alles Übernatürliche in der Kirche zu leugnen. Das Hauptärgernis bilden dabei die Sakramente. Diese sollen, ginge es nach den Kritikerinnen und Kritikern des Lehramts, die oft hohe Positionen in Landeskirchen und Bistümern bekleiden, zu reinen Ritualen degradiert werden. Die liturgischen Missbräuche, die sich in den deutschsprachigen Schweizer Bistümern fast überall ausgebreitet haben, sind die Folge dieser mangelnden Wertschätzung der Sakramente. Man stelle sich die Reaktion eines Spitaldirektors vor, wenn sich Pflegefachkräfte als Chirurgen ausgäben und Operationen vornehmen würden. Der Direktor müsste, um das Vertrauen der Patienten zurückzugewinnen, die entsprechenden Spitalangestellten entlassen. In unseren Bistümern sind es hingegen die glaubenstreuen Priester, die aufgrund ihres Glaubens an die Wirkung der Sakramente ihre Stellen verlieren, währenddem Laienseelsorger und ständige Diakone den ihnen anvertrauten Seelen die heilsnotwendigen Sakramente vorenthalten oder diese simulieren, ohne irgendwelche Konsequenzen gewärtigen zu müssen. Wer nicht mehr an die unsere Vernunft übersteigende Kraft der Sakramente glaubt, wird konsequenterweise zu ihrem Gegner und auch zum Gegner des Priestertums, das die Spendung der Sakramente ermöglicht.

Zusätzlich zur theoretisch-dogmatischen Front gegen die Kirche wurde eine zweite, moraltheologisch-praktische Front eröffnet. Ähnlich wie die Verächter der Heiligen Schrift, die in den biblischen Berichten die Zementierung ungerechter Zustände erblicken, wird die kirchliche Morallehre attackiert, die in den Augen ihrer Kritiker Ursache für viele gesellschaftliche Missstände sei. Auch hier sind es Funktionäre in Landeskirchen und Bistümern, welche die Speerspitze im Heer derjenigen bilden, die mit willkürlichen Behauptungen die katholische Moral verunglimpfen. Anstatt den Drang des Menschen, seine Macht im politischen, wirtschaftlichen und auch im privaten Bereich zu missbrauchen, als «Conditio humana» zu sehen, überspitzen und pervertieren diese selbst ernannten Kirchenreformer ihre Kritik und konstruieren in monokausaler Einfalt fast alle Verfehlungen der Menschheit als Ergebnis der überhöhten Moral der christlichen Zivilisation. Speziell in der Sexualmoral soll nicht mehr gelehrt werden dürfen, die Triebe zu kontrollieren und die Erfüllung der Geschlechtlichkeit in einer ganzheitlichen und zeitlich unbegrenzten Beziehung zwischen Mann und Frau zu suchen. Die orchestrierten Stellungnahmen vieler Kirchenfunktionäre in unseren Bistümern machen gerade dieses Ideal dafür verantwortlich, dass es sexuelle Missbräuche und andere Missstände gibt. Um noch einmal das Beispiel des Spitaldirektors zu bemühen: Wie glaubwürdig wäre ein solcher, wenn er für die Ursache vieler Erkrankungen und Sterbefälle in seinem Spital nicht die mangelhafte Ausbildung der Ärzte und die schlechte Infrastruktur und Hygiene, sondern den Hippokratischen Eid verantwortlich machen würde, der das Personal verpflichtet, Leben zu retten? So absurd ist die Kritik von Teilen unserer hiesigen kirchlichen Pseudo-Elite, die vor allem danach trachtet, zu zerstören, ohne darlegen zu können, was sie anstelle der jetzigen Moralordnung setzen will. Wir erleben daher heutzutage nicht nur einen beispiellosen Angriff auf die tradierte Moral, sondern auch einen Aufstand gegen die Natur und damit gegen die gesamte Schöpfung.

Es ist eine grosse geistige Verwirrung und ein tiefer Selbsthass, der diese Angriffe auf die Heilige Schrift und die Kirche antreibt. Ja, man ist geradezu versucht, von einem eigentlichen Todestrieb sprechen zu müssen. Für den einzelnen Katholiken ist es eine grosse Herausforderung, bei all diesen Angriffen standhaft zu bleiben. Wenn aber das kleine israelitische Hirtenvolk dem Glauben an den einen Gott nicht abgeschworen hat, obwohl alle grossen Reiche ringsum andere religiöse Auffassungen vertraten, haben auch Schweizer Katholikinnen und Katholiken allen Grund, darauf zu vertrauen, dass Gott ihnen hilft, trotz aller Widerstände – extern und kirchenintern – der von Gott geoffenbarten und seiner Kirche anvertrauten Lehre die Treue zu halten.


Daniel Ric


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    Kurt Wiedmer 24.04.2023 um 07:34
    Als Konvertit der Pfingstbewegung zur katholischen Kirche ist es ein besonderes Leiden zu sehen wie Gottes Wort und Wahrheit mit Füssen getreten wird. Was mich am meisten erstaunt, ist dass unsere modernistischen Bischöfe, Priester und Theologen jede Furcht vor Jesu Warnung verloren haben: "Wenn aber jemand eines dieser Kleinen, die an mich glauben, zu Fall bringt, für den wäre es besser, dass ein Mühlstein an seinen Hals gehängt und er in die Tiefe des Meeres versenkt würde" (Mt 18,6).

    Selbst für jene, die es aus "unüberwindbarer Unwissenheit" handeln gilt das Wort: "Wer auch nur eines von den kleinsten Geboten aufhebt und die Menschen entsprechend lehrt, der wird im Himmelreich der Kleinste sein. Wer sie aber hält und halten lehrt, der wird groß sein im Himmelreich" Mt 5,19.
  • user
    Hansjörg 22.04.2023 um 14:05
    Die kath. Kirche muss sich, wenn auch sehr ungern, den heutigen Erkenntnissen anpassen. Wenn ein "Wunder" einfach biologisch, oder physisch nicht möglich ist, darf das "Wunder" als Metapher verwendet werden, sollte aber auch klar so deklariert sein.
    Andernfalls läuft es ab, wie bei Galileo Galilei, der schon um 1630 wusste, dass die Erde eine Kugel ist und die kath. Kirche ihn deshalb verunglimpfte. Es dauerte bis ins Jahr 1992 bis die Kirche wirklich zugestanden hat, dass Galilei recht hatte, und ihn rehabilitierte.
    • user
      Daniel Ric 22.04.2023 um 16:00
      Lieber Hansjörg, wenn Sie den Fall Galileo Galilei genau betrachten, werden Sie realisieren, wie vielen Narrativen unser heutiges säkulares Weltbild zugrunde liegt. Sie meinen übrigens nicht die Behauptung, dass die Erde eine Kugel ist, sondern ob die Sonne oder die Erde im Mittelpunkt des Universums ist. Betreffend Wunder: Wenn wir nur empirische Methoden gelten lassen, dann ist natürlich jede Heilsgeschichte in der Bibel eine Metapher. Aber umgekehrt wird es dann auch schwierig, das Leben als Ganzes zu erklären. Die rein empirische Methode führt sich dadurch jedoch ad absurdum. Schlussendlich könnte man dann das ganze Leben als eine grosse Metapher bezeichnen. Wenn wir als Christen glauben, dass Gott der Schöpfer aller Dinge ist, dann ist er auch in der Lage, Naturgesetze ausser Kraft zu setzen. Persönlich bin ich nicht jemand, der überall Wunder erblickt, aber ich glaube, dass Gott Wunder tun kann. Deswegen sind die Geschichten im Alten und Neuen Testament für mich nicht reine Metaphern, sondern Erzählungen mit Wahrheitsgehalt. Hier spielt es für mich als Katholiken aber keine Rolle, ob sich jedes Wort genau so zugetragen hat.
    • user
      Agnes Eilinger-Weibel 29.04.2023 um 14:52
      Für Gott ist nichts unmöglich...
  • user
    Claudio Tessari 22.04.2023 um 08:07
    Hammer Bericht, der wahre Christ schwimmt gegen den Strom.
    https://www.swiss-cath.ch/artikel/im-strom-des-zeitgeistes