Symbolbild. (Steven HWG/Unsplash)

Kommentar

Ster­be­hilfe in Frank­reich – von der Aus­nahme zur Regel?

Am 2. April 2023 hat sich in Frank­reich der Bür­ger­rat mit gros­ser Mehr­heit für die Lega­li­sie­rung der Ster­be­hilfe aus­ge­spro­chen. Die Regie­rung soll nun einen ent­spre­chen­den Geset­zes­ent­wurf bis zum Ende des Som­mers vorlegen.

In die laufende Diskussion hat sich jetzt die «Académie de Médecine» eingeschaltet, welche die französische Regierung in Fragen der öffentlichen Gesundheit berät. Die Akademie hat sich für die Sterbehilfe in Ausnahmefällen («à titre exceptionnel») ausgesprochen.

Dies rief nun das «Syndicat de la famille » auf den Plan, ein Zusammenschluss mehrerer Vereine, die sich für die Familie einsetzen. In seiner Stellungnahme warnt es davor, Ausnahmen zuzulassen. Die Vergangenheit hätte gezeigt, dass Ausnahmen zur Regel werden. Da diese «Salamitaktik» auch in der Schweiz bekannt ist, veröffentlichen wir die Stellungnahme des «Syndicat de la famille» in voller Länge auf Deutsch.

Lebensende: «Achtung, die Ausnahme wird immer zur Regel!»
Während die «Académie de Médecine» sich gerade für ein «ausnahmsweises» Recht auf Beihilfe zum Selbstmord ausgesprochen hat, warnt das «Syndicat de la famille» vor dem Übergang von der Ausnahme zur Regel in gesellschaftlichen und medizinischen Fragen. Sie ruft dazu auf, die Grundlagen der Pflege zu respektieren, ohne den Verlockungen der «Ausnahme» nachzugeben, zumal die Medizin mit der Palliativpflege nun weiss, wie sie Leiden behandeln kann.

Es ist nicht möglich, den Ausnahmecharakter einer Praxis dauerhaft beizubehalten. Wenn man eine Massnahme akzeptiert, unabhängig davon, in welchem Rahmen sie stattfindet, heisst das, dass man ihr Prinzip bestätigt. Daher ist es de facto unmöglich, die Anwendung im Laufe der Zeit nicht auszuweiten. Die Stellungnahme der «Académie de Médecine» ist also zumindest von grosser Naivität geprägt.

Ohne es zu wollen, untermauert sie das Vorhaben, die aktive Sterbehilfe zu legalisieren, mit dem der Präsident der Republik Agnès Firmin Le Bodo betraut hat. Um die Öffentlichkeit und die Pflegekräfte zu beruhigen, will die Regierung gerade den «Ausnahmecharakter» der Massnahmen hervorheben. Aber da sich die Geschichte wiederholt, werden die Vorsichtsmassnahmen nicht verhindern, dass die Praxis legitimiert wird und die Zahl der «Ausnahmefälle» zunimmt. Das «Syndicat de la famille» ruft die führenden Politiker und gewählten Vertreter auf, Unterscheidungsvermögen und Mut zu zeigen. […]

Die lange Liste der zur Gewohnheit gewordenen Ausnahmen
Im Bereich der Bioethik und bei gesellschaftlichen und medizinischen Fragen sind viele der heute allgemein üblichen Praktiken Schritt für Schritt und mit dem Versprechen einer «Ausnahme» entstanden, das nicht lange gehalten hat. Dies gilt auch für die Embryonenforschung. Zunächst war sie verboten, dann wurde sie bis auf wenige Ausnahmen untersagt, anschliessend wurden die Kriterien für Ausnahmen im Laufe der Zeit immer weiter ausgedehnt, bis sie schliesslich auf Antrag bei der «Agentur für Biomedizin» und später auf einfache Erklärung hin erlaubt wurde.
Die Rahmenbedingungen für die assistierte Reproduktion folgten demselben Weg. Zunächst wurde sie für Mann-Frau-Paare zugelassen, die an einer medizinisch festgestellten Unfruchtbarkeit leiden, verheiratet sind, sich im gebärfähigen Alter befinden und beide leben. Die meisten dieser Bedingungen sind nach und nach weggefallen und die assistierte Reproduktionsmedizin ist heute ohne Unfruchtbarkeitsdiagnose für Einzelpersonen und gleichgeschlechtliche Paare zugänglich, wobei sich Vereine nun für die postmortale assistierte Reproduktionsmedizin und die assistierte Reproduktionsmedizin für Trans-Personen einsetzen. Auch die Geschlechtsumwandlung beim Standesamt ist ein Beispiel dafür: Erst verboten, dann mit ärztlichem Attest erlaubt, ist sie seit 2016 mit der Bescheinigung eines Mitglieds des Umfelds oder eines Vereins möglich, d. h. quasi mit einer einfachen Erklärung.

Solche Entwicklungen unter dem systematischen Vorwand der individuellen Freiheit ziehen Kettenreaktionen für andere nach sich: So fordern und erhalten Männer, die auf dem Standesamt zu Frauen geworden sind, das Recht, in Geburtsurkunden als Mutter anerkannt zu werden.

«Wenn man sagt, dass eine Praxis ausnahmsweise möglich ist, akzeptiert man das Prinzip und öffnet es für eine unbestimmte Ausweitung, und sei es nur aus Gründen der Gleichheit. Ist das wirklich die Meinung der ‹Académie de Médecine› oder hat sie sich von der Dialektik der Sterbehilfe-Aktivisten einfangen lassen? Diese gehen Schritt für Schritt voran und haben dabei immer den nächsten Schritt im Blick: Seit 2015 die Möglichkeit, die Flüssigkeitsaufnahme und Ernährung einzustellen, morgen der ‹ausnahmeweise› assistierte Suizid, dann die Vermehrung der Ausnahmen – wie in Oregon, dem Modellstaat von Frau Firmin Le Bodo, und die Euthanasie, die ebenfalls zunächst eine Ausnahme sein wird, bevor sie ausgeweitet wird, auch auf Kinder wie in Belgien.

Diese Spirale ist nicht unausweichlich, wenn sie von Anfang an angeprangert wird. Das ist die Herausforderung der nächsten Wochen und Monate, damit wir nicht zu einer Gesellschaft werden, in der sich die Schwächsten unerwünscht und lästig fühlen», betont Ludovine de La Rochère, Präsidentin des «Syndicat de la Famille». «Weil das Lebensende noch Leben ist, hat die Familie eine unersetzliche Rolle, um es so gut wie möglich zu leben; um die eigene Verletzlichkeit oder die eines ihrer Mitglieder zu akzeptieren; um die Würde der Person unabhängig von ihrem Zustand zu respektieren. Als Zufluchtsort für die Schwächsten und erster Ort der Solidarität muss die Familie im Rahmen dieser wichtigen Debatte auf menschlicher und zivilisatorischer Ebene berücksichtigt und gehört werden», fuhr sie fort.


Redaktion


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