Symbolbild. (Bild: Fotalia)

Hintergrundbericht

Thur­gauer Kan­tons­par­la­ment lehnt Sterbehilfe-​Zwang ab

An sei­ner Sit­zung vom 20. März 2024 hat das Thur­gauer Kan­tons­par­la­ment gross­mehr­heit­lich eine par­la­men­ta­ri­sche Initia­tive abge­lehnt, die alle Pfle­ge­heime zwin­gen wollte, in ihren Räum­lich­kei­ten Suizid-​Beihilfe zuzu­las­sen. Der Abstim­mung war eine inten­sive, mehr­mo­na­tige Debatte vorausgegangen.

Die von FDP-Kantonsrat Bruno Lüscher eingereichte parlamentarische Initiative war von 73 Ratsmitgliedern und damit von einer Mehrheit des 130-köpfigen Kantonsparlamentes unterzeichnet worden. Dies hätte eigentlich eine Annahme der Initiative vermuten lassen. Doch es kam anders. Zum Meinungsumschwung dürfte insbesondere die Stellungnahme des «Evangelischen Kirchenrates des Kantons Thurgau» beigetragen haben. In einer konzis-fundierten Analyse zuhanden des Parlaments hatte er die Sterbehilfe-Problematik aus einer christlichen Perspektive beleuchtet. Darin bejahte er die Selbstbestimmung pflegebedürftiger Menschen, die aber nicht gegen das institutionelle Selbstbestimmungsrecht von Pflegeinstitutionen ausgespielt werden darf. Letzteres dient nicht zuletzt dem Schutz der persönlichen Überzeugungen jenes Teils des Pflegepersonals, der es mit seinem der Lebenserhaltung verpflichteten Berufsethos nicht vereinbaren kann, bei einem Suizid mitwirken zu müssen.
Aber auch Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeeinrichtungen mit der Möglichkeit zum assistierten Suizid können sich zumindest implizit einem starken Druck ausgesetzt fühlen, sich selbst primär nur noch als Kostenfaktor wahrzunehmen. Dieser Druck trifft aus ökonomischen oder gesundheitlichen Gründen ohnehin schon vulnerable Menschen in ganz besonderem Masse. Und genau solchen vulnerablen Menschen bieten Pflegeeinrichtungen ohne assistierten Suizid eine existenzielle Alternative.
In der Tat ist der Gegensatz zwischen dem Selbstbestimmungsrecht des Individuums und dem Selbstbestimmungsrecht einer Pflegeinstitution ein konstruiertes Schein-Dilemma, denn im Kanton Thurgau kann aktuell bei über 60 % der rund 3000 Pflegeplätze Suizidbeihilfe in Anspruch genommen werden. Fälle, bei den einer pflegebedürftigen Person mit dem Wunsch zur Suizidbeihilfe der Eintritt in ein Pflegeheim verweigert worden wäre, sind nicht bekannt.

Entscheidend ist, dass die Bevölkerung jederzeit Bescheid weiss, welche Pflegeeinrichtungen assistierten Suizid anbieten und welche nicht. Dies ist im Kanton Thurgau unbestrittenerweise der Fall. «Curaviva Thurgau» gibt auf ihrer Webseite Auskunft über den jeweiligen aktuellen Stand. Der Kanton Thurgau verfügt zudem über ein schweizweit als vorbildlich anerkanntes Konzept und eine ebensolche Praxis für die Palliativpflege. Dies ist vor allem dem langjährigen Engagement der ehemaligen Kantonsrätin Dr. Marlies Näf-Hofmann zu verdanken, die sich für die menschenwürdige Palliativpflege wie den Lebensschutz insgesamt grosse Verdienste erworben hat.

Es verwundert deshalb nicht, dass sich neben dem «Evangelische Kirchenrat des Kantons Thurgau» im Vorfeld der Abstimmung auch «Curviva – Branchenverband der Dienstleister für Menschen im Alter» und die Spital Thurgau AG ebenso gegen den Sterbehilfe-Zwang in Pflegeheimen ausgesprochen haben. (Zum mehr als fragwürdigen Lavieren des «Katholischen Kirchenrates des Kantons Thurgau» vgl. unseren Beitrag «Suizidbeihilfe-Zwang: Katholische Kirche Thurgau auf Tauchstation».)
Wie sehr die Thematik der Suizid-Beihilfe die Gesellschaft berührt und herausfordert, belegt die Tatsache, dass in der Kantonsratsdebatte 21 Mitglieder zu dieser parlamentarischen Vorlage das Wort ergriffen.

Der für das Geschäft zuständige Regierungsrat Urs Martin, der die ablehnende Haltung des Gesamtregierungsrates vertrat, wies in der Debatte schliesslich auch noch darauf hin, dass eine Annahme dieser Initiative zur Folge hätte, dass auch Geburtshäuser und psychiatrische Kliniken den Sterbehilfe-Organisationen Zutritt gewähren müssten. Ein legislatorischer Overkill, den die grosse Mehrheit des Thurgauer Kantonsparlamentes gerade diesem besonders sensiblen Bereich des öffentlichen Gesundheitswesens nicht zumuten wollte.


Niklaus Herzog
swiss-cath.ch

E-Mail

Lic. iur. et theol. Niklaus Herzog studierte Theologie und Jurisprudenz in Freiburg i. Ü., Münster und Rom.


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  • user
    Anita 24.03.2024 um 07:51
    Besten Dank Niklaus Herzog.... und GOTT sei DANK für diesen Entscheid.
    Mit solchen Entscheidungen werden in absehbarer Zeit auch die anderen Kantone konfrontiert.

    Auch die Palliativpflege ist daran sich zu verändern... in die Richtung Selbstbestimmung des Lebensendes... leider..

    Es ist mir ein grosses Anliegen, das dieser Thematik Beachtung geschenkt wird und wir j e t z t dieses Anliegen in unsere Gebete einbeziehen.... denn ich sehe Schweres auf uns zukommen....Exit heisst der neue Bewohner im Altersheim...