Symbolbild zu weiblicher Genitalverstümmelung (Bild: shutterstock)

Hintergrundbericht

Weib­li­che Geni­tal­ver­stüm­me­lung: Afri­kas grau­same Tra­di­tion – und die Reak­tion der Schweiz

Jähr­lich wer­den Mil­lio­nen Mäd­chen an den Geni­ta­lien ver­stüm­melt: ohne Nar­kose, Wund­ver­sor­gung und gegen ihren Wil­len. Der Inter­na­tio­nale Tag gegen weib­li­che Geni­tal­ver­stüm­me­lung am Mon­tag, 6. Februar 2023 soll dar­auf auf­merk­sam machen.

Es ist dieses eine Thema, das Edna Adan auf dem afrikanischen Kontinent bekannt gemacht hat. Im damals noch vereinten Somalia nannte die heute 85-Jährige als erste Frau die weibliche Genitalverstümmelung öffentlich beim Namen. In ihrer Biografie beschreibt sie detailliert, wie sie diese als junges Mädchen selbst erlebt hat und wie krank sie danach wurde. Mehr als 30 Jahre später erlebte sie Ende der 1970er Jahre erstmals, dass während einer Konferenz der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Sudans Hauptstadt Khartum über die gravierenden Folgen gesprochen wurde.

Die Krankenschwester und Hebamme hatte ihre Mission gefunden. In Somalia wurde damals wohl fast jedes Mädchen der brutalen Praxis unterzogen. Mittlerweile liege die Zahl bei gut 50 Prozent, sagt die Aktivistin und Gründerin des gleichnamigen Krankenhauses in Hargeisa. Einerseits klingt das wie ein Erfolg. Doch Edna Adan sagt: «Es ist nicht der Erfolg, den ich mir erhofft hatte.»

Denn noch immer leiden viele Mädchen in ihrer Heimat – im von Somalia abgespaltenen, aber international nicht anerkannten Somaliland – physisch und psychisch unter dem traditionellen Eingriff.

Nach Angaben des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen (Unicef) leben heute mehr als 200 Millionen betroffene Mädchen und Frauen in 31 Ländern. Die WHO unterscheidet verschiedene Formen: schädliche Eingriffe ohne medizinischen Grund wie das Einschneiden oder Einstechen in Genitalien bis hin zur vollständigen Entfernung der Klitoris. Die so traktierten Frauen werden überdies in etlichen Fällen «zugenäht», Geschlechtsverkehr ist dann nahezu unmöglich.

Den Akt der Verstümmelung nehmen meist Frauen ohne medizinische Ausbildung, sterilisierte Messer und ohne Betäubung vor. Die Schmerzen werden als unerträglich beschrieben, und Wunden entzünden sich oft. Es kommt zu bleibenden Schäden.

In Mali, wo die Rate ebenfalls bei knapp 87 Prozent liegt, kämpft Virginie Mounkoro gemeinsam mit Krankenschwestern und Ärzten gegen das grausame Ritual. Ihre Organisation «Vereinigung für die Förderung der Rechte und des Wohlbefindens der Familie» gelangt zu dem Fazit: Lauter Protest bringt wenig, Aufklärung über die medizinischen Konsequenzen aber durchaus etwas. Doch bisher sei der Erfolg überschaubar: «Als wir begannen, lag die Rate noch bei 98 Prozent», sagt Mounkoro.

Häufig hilft es, wenn bekannte und geschätzte Frauen öffentlich erzählen, wie sie Genitalverstümmelung selbst als Mädchen erleiden mussten. Im Niger macht das die international populäre Sängerin Fati Mariko. Von ihr stammt der Kurzfilm «Die Stille des Messers», der schonungslos Einblicke in die Leidensgeschichte der Opfer vermittelt.

«Sieben Jahre alt war ich damals, und ich konnte nichts dagegen machen», erzählt Mariko. Auch ihre Mutter erinnert sich: «Sie hat anschliessend Geschenke bekommen und gar nicht geweint.» Die Tränen seien erst später gekommen – und dann immer wieder, ein Leben lang.

Mittlerweile gibt es Fortschritte auch auf rechtlicher Ebene. Der Niger hat 2003 ein Gesetz erlassen, das die Praxis mit Gefängnisstrafen von sechs Monaten bis zu 20 Jahren unter Strafe stellt. Unicef nannte die Initiative damals «bemerkenswert». Das Land könne so der erste westafrikanische Staat sein, der dem Ritual ein Ende setzt. Seit Inkrafttreten des Gesetzes liegt die Zahl der Betroffenen nur noch bei zwei Prozent.

Schweiz: Strafbestimmungen verschärft
Die Schweiz hat ihrerseits die Strafbestimmungen verschärft, um wirksam weibliche Genitalverstümmelungen bekämpfen zu können. Der Bundesrat hat dazu per 1. Juli 2012 eine spezifische Strafnorm in Kraft gesetzt. Art. 124 Abs. 1 Strafgesetzbuch hält neu ergänzend fest: «Wer die Genitalien einer weiblichen Person verstümmelt, in ihrer natürlichen Funktion erheblich und dauerhaft beeinträchtigt oder sie in anderer Weise schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe nicht unter 180 Tagessätzen bestraft.» Vor dieser Strafverschärfung waren Genitalverstümmelungen nur strafbar, wenn sie als schwere Körperverletzungen bewertet wurden, was nur für die Infibulation und die Exzision der Fall war.

Wichtig ist zudem Abs. 2 dieser Strafnorm: «Strafbar ist auch, wer die Tat im Ausland begeht, sich in der Schweiz befindet und nicht ausgeliefert wird.» Damit soll insbesondere dem sog. «Genitalverstümmelungs-Tourismus» der Riegel geschoben werden, sprich dass in der Schweiz lebende Kinder zur Durchführung einer Beschneidung in ihre Heimatländer zurückgeführt werden. Mit diesem sog. Universalitäts- resp. Weltrechtsprinzip steht die Schweiz in Einklang mit internationalem Recht, denn gemäss der UN-Kinderrechtskonvention ist sie verpflichtet, überlieferte und die Gesundheit von Kindern beeinträchtigende Praktiken zu bekämpfen.

Seit Inkraftsetzung dieser Verschärfung des Strafrechts im Jahre 2012 ist allerdings in der Schweiz erst ein einziges Urteil im Zusammenhang mit der Genitalverstümmelung weiblicher Personen ergangen. Es betraf einen Fall im Kanton Neuenburg: eine hier wohnende Mutter wurde zu einer achtmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt, weil ihre Töchter in Somalia im Genitalbereich verstümmelt wurden. Sie war von ihrem Mann angezeigt worden. Das Bundesgericht hat das Urteil des Kantonsgerichts Neuenburg bestätigt.

Die Tatsache, dass es bis dato nur zu einer einzigen Verurteilung kam, heisst keineswegs, dass es in der Schweiz nur wenige Fälle gibt. Gemäss einem Bericht des Bundesrates vom Oktober 2015 sind hierzulande rund 15 000 Frauen und Mädchen von solchen Delikten betroffen. Gemäss einer Umfrage von Unicef unter mehr als 1000 Fachärzten und Fachärztinnen ist es nicht fehlende Kenntnis, dass Anzeigen wegen weiblicher Genitalverstümmelungen ausbleiben. Denn vier von fünf Gynäkologen und zwei von drei Geburtshelferinnen sind in ihrer beruflichen Tätigkeit mit an Genitalien verstümmelten Frauen oder Mädchen konfrontiert worden. Aber aus Angst, sich dabei den Vorwurf der «kulturellen Diskriminierung» einzuhandeln, scheuen viele vor Anzeigen zurück. Fazit: Die wirksame Bekämpfung der Verstümmelung weiblicher Genitalien bleibt auch in der Schweiz auf der Tagesordnung. Zur wirksamen Bekämpfung reicht ein neuer Gesetzesparagraph offensichtlich nicht aus. Es bedarf dazu auch einer sachkundigen Information und Sensibilisierung der Bevölkerung.


KNA/Redaktion


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  • user
    Hansjörg 08.02.2023 um 13:18
    Genitalverstümmelung bei jungen Mädchen ist grässlich und ungerecht. Innerhalb der Schweiz, wo wir selbst bestimmen können, muss somit jeder einzelne Fall zu Anzeige kommen.
    Gleichzeitig sind auch die Genitalverstümmelung von kleinen Knaben zu verbieten. Wenn die jüdische Gemeinschaft eine Beschneidung will, soll bis zum achtzehnten Lebensjahr gewartet werden.