Plakat einer Kampagne gegen die weibliche Genitalverstümmelung in Uganda. (Bild: Amnon s (Amnon Shavit), CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons)

Hintergrundbericht

Weib­li­che Geni­tal­ver­stüm­me­lung: Kan­ton Zürich wird aktiv

Der 6. Februar ist der «Inter­na­tio­nale Tag gegen weib­li­che Geni­tal­ver­stüm­me­lung». Nach Schät­zun­gen droht täg­lich welt­weit mehr als 12 000 Mäd­chen die­ses bar­ba­ri­sche Ritual. Exper­ten zufolge wird diese Pra­xis zu wenig bekämpft. Inzwi­schen ist auch der Kan­ton Zürich aktiv geworden.

Weltweit fast 4,4 Millionen Mädchen sind einer Schätzung des «Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen» (UNFPA) zufolge in diesem Jahr in Gefahr, an ihren Genitalien verstümmelt zu werden; das sind mehr als 12 000 Mädchen pro Tag. Bei der weiblichen Genitalverstümmelung werden die äusseren Geschlechtsorgane wie Schamlippen und Klitoris teilweise oder ganz entfernt. Diese Praxis ist inzwischen in fast allen Ländern per Gesetz verboten, wird aber trotzdem in vielen Regionen weiterhin praktiziert – und viel zu wenig bekämpft. Nach Angaben von Hilfsorganisationen leiden weltweit – vor allem in Afrika – derzeit mindestens 200 Millionen Frauen und Mädchen unter den körperlichen, psychischen und sozialen Folgen dieser Praxis.

Gemäss Experten gibt es einige wenige positive Entwicklungen. So ist zum Beispiel in Kenia der Anteil der Frauen und Mädchen zwischen 15 und 49 Jahren, die eine Genitalverstümmelung erleiden mussten, von 38 Prozent im Jahr 1998 auf 15 Prozent 2022 gesunken. Zugleich ist jedoch zu beobachten, dass die betroffenen Mädchen immer jünger werden. In Kenia sank ihr Durchschnittsalter nach Angaben von UNFPA von zwölf auf neun Jahre. Ein Bericht des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen (UNICEF) besagt, dass in Kenia und Äthiopien immer häufiger medizinisches Fachpersonal die Verstümmelungen durchführe.

In vielen Regionen gelte die Genitalverstümmelung immer noch als Voraussetzung für eine traditionelle Eheschliessung. Gerade ärmere Familien sehen sich oft gezwungen, die Mädchen immer früher zu verheiraten.

Opfer von Beschneidungen brauchen Hilfe und Unterstützung
Eine konsequentere Aufklärung über Genitalverstümmelungen an Frauen fordert die Berliner Oberärztin Cornelia Strunz. Es gebe auch zahlreiche Fälle in Deutschland. In solchen Fällen werde eine Beschneiderin etwa aus einem afrikanischen Land «eingeflogen» oder die Mädchen werden in den Sommerferien in ihrer alten Heimat beschnitten.
In Deutschland leben Schätzungen zufolge Zehntausende Frauen, deren Genitalien verstümmelt worden sind. Die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes (TDF) schätzt, dass es mittlerweile mehr als 100 000 sind.

«Die Betroffenen melden das aber nicht, weil sie Angst vor den rechtlichen Konsequenzen für ihre Familien haben: Genitalverstümmelung gilt in Deutschland als schwere Körperverletzung», erklärt die Medizinerin. «Jede Form der Beschneidung ist grausam, sie wird ohne Betäubung und unter unhygienischen Bedingungen durchgeführt. Die meisten Frauen können sich genau daran erinnern, obwohl sie ja damals kleine Mädchen waren. Es ist für sie ein traumatisches Erlebnis, sie schauen mich mit verzerrtem Gesicht an, wenn sie mir davon erzählen», so Strunz.

Die Ärztin fordert, solche Eingriffe und ihre Konsequenzen öffentlich bekannter zu machen: «Weibliche Genitalverstümmelung kann man nur durch konsequente Aufklärung über die Folgen – auch in strafrechtlicher Hinsicht – bekämpfen. Das kollektive Schweigen über dieses Verbrechen und der soziale Druck müssen endlich aufhören».

Über 24 000 Mädchen in der Schweiz betroffen
In der Schweiz leben gemäss dem «Bundesamt für Gesundheit» BAG aktuell schätzungsweise 24 600 Frauen und Mädchen, die von Genitalverstümmelung betroffen sind oder der Gefahr ausgesetzt sind, beschnitten zu werden. Die Schweiz hat per 1. Juli 2012 eine spezifische Strafnorm in Kraft gesetzt, um wirksam weibliche Genitalverstümmelungen bekämpfen zu können. Art. 124 Abs. 1 Strafgesetzbuch hält neu ergänzend fest: «Wer die Genitalien einer weiblichen Person verstümmelt, in ihrer natürlichen Funktion erheblich und dauerhaft beeinträchtigt oder sie in anderer Weise schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe nicht unter 180 Tagessätzen bestraft.» Mit Abs. 2 soll dem «Genitalverstümmelungs-Tourismus» ein Riegel geschoben werden: «Strafbar ist auch, wer die Tat im Ausland begeht, sich in der Schweiz befindet und nicht ausgeliefert wird.

Seit Inkraftsetzung dieser Verschärfung des Strafrechts im Jahre 2012 ist allerdings in der Schweiz erst ein einziges Urteil im Zusammenhang mit der Genitalverstümmelung weiblicher Personen ergangen. Es betraf einen Fall im Kanton Neuenburg: Eine hier wohnende Mutter wurde zu einer achtmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt, weil ihre Töchter in Somalia im Genitalbereich verstümmelt wurden. Das Bundesgericht hat das Strafurteil des Kantonsgerichts Neuenburg bestätigt.

Die Tatsache, dass es bis anhin nur zu einer einzigen Verurteilung gekommen ist, bedeutet keineswegs, dass es in der Schweiz nur wenige Fälle gibt. Aber aus Angst, sich dabei den Vorwurf der «kulturellen Diskriminierung» einzuhandeln, scheuen viele, insbesondere auch Angehörige des Gesundheitspersonals, auch hierzulande vor Anzeigen zurück. Gemäss einer Umfrage von UNICEF unter mehr als 1000 Fachärztinnen und Fachärzten sind vier von fünf Gynäkologen und zwei von drei Geburtshelferinnen in ihrer beruflichen Tätigkeit mit an Genitalien verstümmelten Frauen oder Mädchen konfrontiert worden.

Schweizerischer Katholischer Frauenbund im Abseits
Zur wirksamen Bekämpfung bedarf es einer sachkundigen Information und Sensibilisierung der Bevölkerung. Aus kirchlicher Sicht wäre der «SKF Schweizerischer Katholischer Frauenbund» für diese Aufklärungsaufgabe prädestiniert. Unter dem Stichwort «Genitalverstümmelung» wird man auf seiner Webseite jedoch nicht fündig. Auf Nachfrage von «swiss-cath.ch» vom 6. Februar 2023 hatte Sarah Paciarelli, Verantwortliche für «Kommunikation, Bildung und Politik» zwar erklärt, der SKF sehe in der weiblichen Genitalverstümmelung «eine grausame und erniedrigende Praxis, einen Verstoss gegen die Menschenwürde und einen brutalen Eingriff in die physische und seelische Unversehrtheit», die «jeder theologischen Grundlage – sowohl im Christentum als auch im Islam» entbehre, der SKF beschränke sich aber «aktuell auf die Mitarbeit bei der NGO Koordination Post Beijing». (Konkret beteiligt sich die SKF am Monotoring der Umsetzung der UNO-Frauenrechtskonvention in der Schweiz.) Dass auf der Webseite auch ein Jahr später noch nichts über Genitalverstümmelung zu finden ist, zeigt, dass der SKF das Thema immer noch sträflich vernachlässigt

Kanton Zürich wird aktiv
Von den rund 24 000 in der Schweiz von Genitalverstümmelungen betroffenen Mädchen leben etwa 2 900 im Kanton Zürich. Die Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich hat deshalb die Schaffung einer Anlaufstelle beschlossen und dafür den Betrag von vorerst zwei Millionen Franken zur Verfügung gestellt.

Am 6. Februar 2024 nimmt die Anlaufstelle gegen weibliche Genitalbeschneidung «FGMhelp» unter der Leitung des stadtärztlichen Dienstes der Stadt Zürich ihren Betrieb auf. Sie befindet sich im Ambulatorium an der Kanonengasse im Zürcher Kreis 4. Die Anlaufstelle soll als Beratungs-, Informations- und Kompetenzplattform dienen, um Betroffene niederschwellig zu unterstützen und zu einer wirksamen und nachhaltigen Auseinandersetzung mit der Thematik beizutragen. 

Informationen und Hilfe bietet auch die Webseite des «Netzwerk gegen Mädchenbeschneidung Schweiz», die vom «Bundesamt für Gesundheit» BAG unterstützt wird.


KNA/Redaktion


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