Kreuz vor einer zerstörten Kirche in Nigeria. (Bild: «Kirche in Not (ACN)»)

Weltkirche

Welt­weite Ver­schlech­te­rung der Religionsfreiheit

Ges­tern stellte «Kir­che in Not (ACN)» Schweiz in Zürich den Bericht «Reli­gi­ons­frei­heit welt­weit 2023» vor. Die Stu­die unter­suchte die Men­schen­rechts­lage in 196 Län­dern zwi­schen 2021 und 2023. Der Jour­na­list Michael Ragg zeigte auf, wes­halb vor allem Chris­tin­nen und Chris­ten von der Reli­gi­ons­ver­fol­gung betrof­fen sind.

In 61 von 169 Ländern wird die Religionsfreiheit schwerwiegend verletzt; davon sind rund 4,9 Milliarden Menschen betroffen, d. h. 62 Prozent der Menschen. Das kurz gefasst die wichtigste Aussage des Berichts.

«Kirche in Not» unterscheidet in ihrer Beurteilung der Staaten drei Kategorien:

Rot bedeutet Verfolgung. Aktuell umfasst diese Kategorie 28 Länder, in denen rund 4 Milliarden Menschen leben; dies ist mehr als die Hälfte (51,6 Prozent) der Weltbevölkerung. Darunter sind 13 afrikanische Staaten, in denen sich die Lage in vielen Regionen erheblich verschlechtert hat.

Orange weist auf Diskriminierung hin. Der Bericht listet in dieser Kategorie 33 Staaten auf, in denen fast 853 Millionen Menschen leben. In 13 dieser Länder wurde eine Verschlechterung der Lage festgestellt. 

Die dritte Kategorie wird als «unter Beobachtung» bezeichnet. Dies sind Länder, «in denen neu auftretende Faktoren beobachtet werden, die das Potenzial haben, einen grundlegenden Zusammenbruch der Religionsfreiheit zu verursachen.»

In Ländern, die in keine dieser Kategorien fallen, müssen nicht zwangsläufig optimale Bedingungen bezüglich der Religionsfreiheit herrschen.
 


Wichtigste Ergebnisse der Studie
«Im Berichtszeitraum fanden massivere und gezieltere Verfolgungen als in der Vergangenheit statt; dabei blieben die Täter immer häufiger straffrei», fasst der Bericht knapp zusammen. In 47 der untersuchten Länder verschlechterte sich die Religionsfreiheit, so in Indien, China oder Pakistan. Nur in 9 Staaten seien geringe Verbesserungen festgestellt worden wie zum Beispiel in Ägypten, Jordanien oder Katar.

Grob gesagt können drei Ursachen ausgemacht werden: Autoritäre Regierungen (in 49 Ländern); islamistischer Extremismus (21 Länder); ethno-religiöser Nationalismus (4 Länder).

Die Auswertungen ergaben, dass immer häufiger eine Mischung aus «höflicher» und blutiger Verfolgung stattfindet: Einerseits werden umstrittene Gesetze wie z. B. Anti-Konversionsgesetze von staatlicher Seite ohne grossen Widerstand angewandt, andererseits werden gewalttätige Angriffe auf Anhängerinnen und Anhänger der «falschen» Religion zur Normalität. Diese Entwicklung werde auch in westlichen Ländern beobachtet, doch herrschen dort bessere rechtliche Rahmenbedingungen. Dass selbst die internationale Gemeinschaft auf Gewalttaten von «strategisch wichtigen» autokratischen Regimen (wie in China und Indien) zunehmend verhalten reagiert, deutet gemäss «Kirche in Not» darauf hin, dass sich eine Kultur der Straffreiheit entwickelt.

Nach wie vor gibt es Entführungen, sexuelle Gewalt, Versklavung und Zwangskonversionen; diese bleiben weitgehend straffrei. In vielen Ländern sind vor allem Frauen und Mädchen religiöser Minderheiten davon betroffen – durchschnittlich zwei Mädchen resp. Frauen pro Tag!

Aufhorchen lässt die Tatsache, dass heute nicht nur Angehörige von religiösen Minderheiten Opfer von Verfolgung werden, sondern auch von religiösen Mehrheiten, so z. B. in Nicaragua oder Nigeria.

Nach wie vor werden die muslimischen Uiguren in China, aber auch in Indien und Myanmar verfolgt und diskriminiert. Die Fälle nehmen zu, in denen Muslime durch ihre eigenen Glaubensbrüder verfolgt werden, so z. B bei den Konflikten zwischen Sunniten und Schiiten.

Im Westen haben Angriffe auf Juden zugenommen: Gab es 2019 noch 582 antisemitische Hassverbrechen in den OSZE-Ländern, waren es im Jahr 2021 1367 Fälle. 
 


Die «Cancel Culture» des Westens
Allgemein wirken sich verstärkte Kontrollen, darunter auch Massenüberwachungen, negativ auf Religionsgemeinschaften aus. «In westlichen Ländern werden soziale Medien genutzt, um religiöse Gruppen auszuschliessen und anzugreifen.» Durch diese Entwicklung werden Grundfreiheiten wie die Gewissens-, Religions- oder Redefreiheit beschnitten.

Im Westen entwickelte sich in den letzten Jahren die sogenannte «Cancel Culture». «Personen, die aus religiösen Gründen andere Ansichten vertreten, werden (verbal) angegriffen. Wird die vorherrschende ideologische Überzeugung aus Glaubensgründen nicht ausdrücklich geteilt, drohen rechtliche Konsequenzen, wie zum Beispiel der Verlust des Arbeitsplatzes. Diese Entwicklung wird insbesondere durch die sozialen Medien verstärkt.»

Hier wurde als Beispiel die finnische Parlamentsabgeordnete Päivi Räsänen, Ärztin und ehemalige finnische Innenministerin genannt. Weil sie ihre auf biblischen Grundsätzen beruhende Meinung zu Ehe und menschlicher Sexualität öffentlich geäussert hatte, wurde sie der Hassrede beschuldigt und vor Gericht gestellt. Im ersten Prozess wurde sie freigesprochen, doch die Generalstaatsanwältin legte Berufung gegen das Urteil ein.
 


Verfolgung als DNA des Christentums
In seinem Vortrag ging Michael Ragg, Journalist und langjähriger Pressesprecher von «Kirche in Not» Deutschland, auf die Verfolgung von Christinnen und Christen ein. Sie sind die weltweit am stärksten verfolgte Religion: 80 Prozent aller Christinnen und Christen leben in Ländern, in denen Diskriminierung oder Verfolgung existieren; alle fünf Minuten wird ein Christ getötet.
Eines seiner Beispiele betraf China, das er selbst mehrfach besucht hat. Seit 2018 werden dort alle Religionen schikaniert, «schlimmer als unter Mao Zedong». Nach dessen Tod gab es eine dynamische Entwicklung der Christen; ihre Zahl stieg von 5 auf 100 Millionen. Die Behörden liessen sie gewähren, solange sie nicht bewusst gegen die Regierung handelten. Heute ist unter 18-Jährigen der Besuch einer Kirche verboten; vor den Kirchen sind Kameras mit Gesichtserkennung platziert, Tausende Kirchen wurden geschlossen, christliche Begräbnisse sind verboten. Seit letztem Herbst wurden zudem fast alle Aktivitäten im Internet verboten. Das Internet ist aber gerade in einem so grossen Land wie China wichtig, um untereinander Kontakt zu halten. Inzwischen sind die Behörden dazu übergangen, heilige Bücher neu zu «übersetzen». So sagt Jesus nicht mehr zur Ehebrecherin: «Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!» (Joh 8,11) – nein, in der Neuübersetzung tötet er sie.

Für Michael Ragg gehört die Verfolgung zur DNA des Christentums. Jesus warnte seine Jünger: «Denkt an das Wort, das ich euch gesagt habe: Der Sklave ist nicht grösser als sein Herr. Wenn sie mich verfolgt haben, werden sie auch euch verfolgen» (Joh 15,20). Er nannte in der Folge drei Punkte, warum Christinnen und Christen für die Mächtigen so gefährlich sind:

  • «Petrus und die Apostel antworteten: Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen» (Apg 5,29). Jeder Christ ist selbst für sein Leben verantwortlich. Beim Endgericht kann er seine Verantwortung nicht auf ein Kollektiv abwälzen («Alle anderen haben es auch getan»). Deswegen müssen Mächtige immer damit rechnen, dass ein Christ aufgrund seines Gewissens gegen Unrecht aufsteht.
     
  • «Da ist weder Jude noch Grieche, da ist weder Sklave noch Freier, da ist nicht Mann und Frau. Denn ihr seid alle eins in Christus Jesus» (Gal 3,28). Vor Gott sind alle Menschen gleich. Der Einsatz der Kirche für die Gleichberechtigung stösst in manchen Ländern auf Widerstand. So können z. B. in Indien auch Kastenlose (Dalits) Bischöfe werden, was den Zorn der hinduistischen Bevölkerung herausfordern kann.
     
  • «Ihr werdet um meinetwillen vor Statthalter und Könige geführt werden, ihnen und den Heiden zum Zeugnis» (Mt 10,18). Es ist die Aufgabe der Christinnen und Christen, Zeugnis abzulegen. Dies führt dann zu Widerstand, wenn die Botschaft Jesu Christi dem Zeitgeist widerspricht. Und: In Gebieten, wo Armut und Elend herrscht, behalten Christinnen und Christen eine tiefe Freude, respektive bringen Priester und Ordensleute diese Freude – das gelebte Evangelium hat Sprengkraft!

Rosmarie Schärer
swiss-cath.ch

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Rosmarie Schärer studierte Theologie und Latein in Freiburg i. Ü. Nach mehreren Jahren in der Pastoral absolvierte sie eine Ausbildung zur Journalistin und arbeitete für die Schweizerische Kirchenzeitung SKZ.


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