Am 21. Mai 2021 kündigte Papst Franziskus an, die XVI. Ordentliche Generalversammlung der Bischofssynode solle zum Thema «Für eine synodale Kirche: Gemeinschaft, Partizipation und Mission» als dreijähriges, weltweites Verfahren stattfinden.[1] Eine Synode abzuhalten bedeute, nach dem Beispiel Jesu «gemeinsam einen Weg zu beschreiten», einander zu begegnen, zuzuhören und zu unterscheiden, so Papst Franziskus in seiner Predigt zur Eröffnung des synodalen Weges.
In Rom geht gerade die erste Etappe der Weltbischofssynode zu Ende. In diesem Zusammenhang erinnerte Kommunikationschef Paolo Ruffini daran, dass die Synodenversammlung am Sonntag nicht endet. Es schliesse sich eine weitere Phase der Diskussion und Unterscheidung an, die in der Versammlung im Vatikan im Oktober 2024 gipfeln werde. Das scheint hingegen das Bistum Chur nicht zu interessieren. Die Verantwortlichen warten die Ergebnisse der weltweiten Synode gar nicht erst ab, sondern wollen diese mit ihrer «Handreichung für eine synodale Kirche» schlicht vor vollendete Tatsachen stellen.
Offensichtliche Selbstdisqualifikation
«Wir sind als Kirche Pilgernde – Suchende – auf dem Weg: gemeinsam, im Dialog, solidarisch, geschwisterlich und in dieselbe Richtung gehend», so schreibt Bischof Bonnemain in der Einleitung der «Handreichung». Sie sei das Ergebnis «des synodalen Austauschs der ganzen Diözese während der letzten zwei Jahre». Da stellt sich die Frage, wer die «ganze Diözese» darstellt.
Blenden wir zurück. Im Zusammenhang mit dem weltweiten synodalen Prozess führten die Deutschschweizer Bischöfe die Online-Umfrage «wir-sind-ohr.ch» durch, an der gerade einmal 0,27 Prozent aller Katholikinnen und Katholiken des Bistums Chur mitmachten. Dass die Meinung dieser weniger Katholiken nicht repräsentativ ist, war für Bischof Bonnemain kein Problem. «Es geht nicht um Repräsentativität, sondern darum, die Stimme der Gläubigen zu erfassen, sofern sie bereit sind, sich zu äussern.» So diskutierten die diözesanen Räte im Herbst 2022 über eine «Tischvorlage», die von der «Arbeitsgruppe synodaler Prozess im Bistum Chur»[2] erarbeitet worden war und auf dem Schlussbericht dieser Online-Umfrage beruhte. Auf den Hinweis von «swiss-cath.ch», dass sich die Gläubigen gar nicht wirklich hätten einbringen können, entgegnete Bischof Bonnemain damals: «Wollten wir die Gläubigen beteiligen, wären wir wieder am Anfang. Das will ich nicht. Ich will vorwärtsmachen.»
Es bleibt also im Dunkeln, wer die «ganze Diözese» ist – aber eines ist klar: Die Mehrheit der Gläubigen war an dieser «Handreichung» nicht beteiligt. Doch gerade um das würde es im synodalen Prozess gehen!
Das Bistum Chur hat offenbar kein Interesse, mit der Weltkirche den Weg des synodalen Prozesses zu gehen. Es hat ebenfalls kein Interesse, mit den eigenen Gläubigen einen synodalen Weg zu gehen. Die «ganze Diözese» hat entschieden, wie eine synodale Kirche im Bistum Chur aussehen soll und die Gläubigen haben dies zu akzeptieren und mitzutragen.
Obwohl es offensichtlich ist, dass sich diese «Handreichung für eine synodale Kirche» durch ihre Entstehung selbst disqualifiziert, wollen wir einen Blick darauf werfen. Grundsätzlich ist es sie eine überarbeitete, kreativ designete Version der «Tischvorlage».
Grundhaltung
Im ersten Teil werden die «Grundhaltungen» beschrieben. Und es fängt gut an: «Sinn und Ziel allen pastoralen Wirkens ist die Gottes- und Menschenbeziehung. Es ist uns allen im Bistum Chur ein Anliegen, unsere Erfahrungen des Glaubens nicht für uns zu behalten. Die Gottesbeziehung, die Inspiration aus der Heiligen Schrift, die Schätze christlicher Spiritualität, das gemeinsame Feiern und Beten, die karitative Hinwendung zum Nächsten und die persönliche Gottsuche sind uns eine tragende Kraft.»
Danach folgen jedoch wieder Worthülsen, die wir im Zusammenhang mit dem synodalen Prozess nur zu gut kennen: «Wir leben eine Kirche, die alle Menschen willkommen heisst und wertschätzt. Alle werden, unabhängig von Geschlecht, Sexualität, Lebensform, sozialem Status, Nationalität, Kultur oder der je eigenen Einstellung zum Glauben, vorurteilsfrei geachtet.» Also werden zukünftig auch Pädophile, Vergewaltiger oder Kriegsverbrecher im Bistum Chur «vorurteilsfrei geachtet» und «wertgeschätzt»?
Betreffend Kommunikation will man eine «offene und transparente Kommunikationskultur» einführen. «Wir ermutigen dazu, frei von Angst vor Sanktionen zu sprechen und eigene Erfahrungen, Fragen und Positionen einzubringen. Dabei respektieren wir die Beiträge der anderen, auch wenn die verschiedenen Meinungen Konflikte erzeugen oder sichtbar machen.» Wer ist in diesem Zusammenhang dieses «Wir»? Und wie kann man einerseits dazu ermutigen «frei von Angst vor Sanktionen zu sprechen», während man andererseits jenen mit Sanktionen oder gar einer Kündigung droht, die den «Verhaltenskodex» nicht unterschreiben?
Entscheidungsstrukturen sollen optimiert werden, die Betroffenen an der Entscheidungsfindung beteiligt und die Beschlüsse verständlich gemacht werden. Auch hier ist wieder nicht klar, was denn genau damit gemeint ist. Prinzipiell sind alle Gläubigen von allen Entscheidungen innerhalb der Kirche betroffen, müssten also in alle Entscheidungen einbezogen werden. Das kann aber nicht gemeint sein, da ja Bischof Bonnemain explizit nicht alle Gläubigen einbeziehen will.
Natürlich darf in einem solchen Dokument auch die Frage nach der Gleichstellung von Frau und Mann nicht fehlen: «Alle Menschen haben prinzipiell den gleichen Zugang zu Führungspositionen in der Kirche. Wo dies universalkirchlich noch nicht in allen Bereichen möglich ist, setzen wir uns im Bistum Chur insbesondere für die Beteiligung von Frauen in Führungspositionen der Kirche ein.» «Wo dies noch nicht […] möglich ist». Hier wird klar, in welche Richtung die Verantwortlichen dieser «Handreichung» («die ganze Diözese») hin streben. Einigermassen arrogant, dieser Duktus: Wir vom Bistum Chur würden gerne noch weiter gehen, aber diese rückständige Universalkirche ist halt leider noch nicht so weit.
Auch der nächste Punkt hat die gleiche «Marschrichtung»: «In unserer Verkündigung, gerade was die Lehre der Kirche und die Sexualmoral anbelangt, setzen wir uns mit den Erfahrungen der Menschen sowie mit Erkenntnissen wissenschaftlicher bzw. empirischer Forschung auseinander. Dabei bringen wir die pastoralen Grundhaltungen des nachsynodalen Schreibens AMORIS LAETITIA von Papst Franziskus (2016) zur Geltung.»
Der Lehre Jesu ist also nicht mehr zu trauen. Schliesslich lebte dieser Jesus vor 2000 Jahren und die Wissenschaft hat sich inzwischen weiterentwickelt. Getreu dem Spruch, den Theologinnen und Theologen immer wieder bemühen: «Wenn Jesus heute leben würde …». Was die pastoralen Grundhaltungen von «Amoris laetita» betrifft, sei auf die magistrale Darstellung von Kardinal Gerhard Ludwig Müller in seinem Brief an Kardinal Duka verwiesen.
Umkehr der «hierarchischen Pyramide»
Im zweiten Teil werden dann aus diesen Grundhaltungen die «Handlungsoptionen» abgeleitet. Unter dem Titel «Uscire – auf die Menschen zugehen» werden die Verantwortlichen der Pfarreien aufgefordert, die Vielfalt in den Pfarreien zu fördern. Wie zu erwarten war, gibt es einen gesonderten Punkt zu LGBT: «Auf Diözesan-, Kantonal- und Pfarreiebene tragen wir Sorge für eine bessere Integration von queeren Menschen.»
Im Unterpunkt «Pastorale Mitarbeitende und Freiwillige» beginnt der vom ehemaligen Weihbischof von Chur, Marian Eleganti, angekündigte Angriff auf die sacerdotalen Strukturen der Kirche: Der Bischof wird sich dafür einsetzen, dass das Volk Gottes bei der Bischofswahl beteiligt wird. «Ebenso setzt er sich dafür ein, dass die Machtfülle des Bischofsamts kritisch überprüft und begrenzt wird». Nichtgeweihte pastorale Mitarbeiter sollen nicht nur die Möglichkeit zur Trauassistenz erhalten, sondern auch die Erlaubnis zur Taufe und zur Homilie. Freiwillige und Ehrenamtliche werden explizit aufgefordert, sich an die «nächsthöhere Leitungsebene» zu wenden, wenn sie der Meinung sind, ihre Mitverantwortung nicht in genügendem Mass einfordern zu können.
Ein Angriff ist auch auf die Liturgie geplant – natürlich nur zum Wohl der Synodalität aller! Die Predigten sollen ansprechend(!) sein. Es geht also nicht mehr darum, die Botschaft Christi zu verkündigen – ob gelegen oder ungelegen. Und ausgerechnet an «bestimmten Sonn- und Feiertagen» sollen Menschen eingeladen werden, die in verschiedenen Gebieten über ein besonderes Fachwissen oder über besondere Erfahrungen verfügen und die aus ihrer Sicht ihren Glauben bekennen». Weiter wird ein «gegenseitiges Wahrnehmen vor und während des Gottesdienstes (nicht nur beim Friedensgruss)» gefordert. Im Klartext: Im Zentrum stehen nicht mehr Jesus Christus und seine Botschaft, sondern die Menschen.
Unter dem Stichwort «Ökumene» heisst es weiter: «Wir erachten die gegenseitige Einladung und sakramentale Gastfreundschaft [sic!] als sinnvoll und wünschenswert.» Und der Kanzeltausch soll im Bistum Chur zum Normalfall werden.
Damit diese «synodale Kirche», die von der «ganzen Diözese» gewollt ist, auch wirklich umgesetzt wird, soll die Errichtung von Ombudsstellen geprüft werden, die die Anzeigen von Leitungs- und Machtmissbrauch entgegennehmen.
Es stellt sich die Frage, wie viel Zeit und Geld für dieses Papier aufgewendet wurde. Mit dem Geld hätte man sinnvoller Christinnen und Christen unterstützt, die in ihren Ländern verfolgt werden und tagtäglich Zeugnis vom Evangelium ablegen. Die Kirche Christi braucht keine Papiere, die von irgendwelchen «Auserwählten» am Schreibtisch erstellt werden. Die Kirche Christi braucht überzeugte und überzeugende Christen, die den Menschen von Jesus Christus und seiner Frohen Botschaft erzählen und sie leben.
[1] Später verlängerte Papst Franziskus den Prozess um ein Jahr.
[2] «Arbeitsgruppe synodaler Prozess im Bistum Chur»: Bischof Joseph Maria Bonnemain (Leitung), Rudolf Vögele (Koordination und Moderation, Bistumsregion Zürich-Glarus), Eva-Maria Faber und Birgit Jeggle-Merz (alternierend,Theologische Hochschule Chur), Felix Hunger (Priesterrat), Ute van Appeldorn (Rat der Religionspädagogen, Theologen und ständigen Diakone), Antonia Fässler und Bernhard Bislin (Kantonale Seelsorgeräte Schwyz und Graubünden) sowie Andreas Kiser (Jugendrat).
Kommentare und Antworten
Bemerkungen :
(Jeden 3. Samstag im Monat. Bekanntmachung jeweils auf diesem Blog!)
Wie wird man mit jenen bereits geweihten Priestern verfahren, welche die neuen Voraussetzungen aus 2.6.2 nicht erfüllen und auch nicht erfüllen werden/können/wollen?
Denn ohne eine synodale Einstellung bleibt ihnen ja keine Aufgabe mehr übrig.
Sollen sie einem zivilen Broterwerb nachgehen und gelegentliche Aushilfen übernehmen? Wobei auch das dürfte ja immer schwieriger werden, und für Taufen etc. gibt es dann ja eh auch genügend Laien die man lieber nehmen wird als einen nicht (synodal)liniengetreuen Kleriker.
Die Frage, was künftig mit "unsynodalen" Priestern geplant ist, ist eigentlich noch nicht gestellt und behandelt worden
2.6.2
Eine synodale Einstellung ist
Voraussetzung für ein fruchtbares
seelsorgerisches Wirken. Dement-
sprechend legen die Personalverant-
wortlichen in der Kirche und in den
Anstellungsbehörden Wert darauf,
dass die Seelsorgenden, besonders
Personen mit Leitungsaufgaben,
eine synodale Haltung und ein
entsprechendes Rollenverständnis
vorweisen. Falls erforderlich, sollen
sie angeleitet und unterstützt
werden, um das Amt so auszuüben,
dass es der Partizipation aller an
einer synodalen Kirche dient.