Bild: Tim Mossholder/unsplash

Kommentar

Die Liliputaner-​Diözese

Die im Bis­tum Chur in Gang gesetzte Wei­ter­ent­wick­lung des syn­oda­len Pro­zes­ses wirft Fra­gen auf – Fra­gen, denen sich vor allem Bischof Bon­ne­main stel­len muss.

Als Erstes die Frage, ob überhaupt eine legitime Basis für eine sofortige Umsetzung des weltweiten synodalen Prozesses auf der Ebene der Ortskirche besteht. Denn Papst Franziskus hatte die Weltkirche aufgerufen, zuhanden der im Jahre 2023 und 2024 stattfindenden Bischofssynode Vorschläge für eine authentische Verwirklichung der Synodalität in der Kirche zu unterbreiten, und nichts anderes. Die nun im Bistum Chur und in anderen Deutschschweizer Diözesen vor Ort begonnene «Weiterentwicklung des synodalen Prozesses» nährt den Verdacht, damit «Rom» bzw. die Weltkirche noch vor der Eröffnung der Welt-Bischofssynode vor vollendete Tatsachen zu stellen. Die ostentative Beschwichtigung von Bischof Bonnemain («Die Bistumsleitung wird die Umsetzung niemals in einer Art tun, die der Weltkirche widerspricht», vgl. Interview von swiss-cath.ch) ist geeignet, diesen Verdacht eher zu bestätigen, als ihn auszuräumen.

Item: An der Einsiedler-Tagung beugten sich rund 60 Personen über eine so genannte «Tischvorlage». Sie, die Tischvorlage, ist ein Text von sieben teutonenlastigen Auserwählten, die den diözesanen synodalen Schlussbericht vom März 2022 zu einem 11-seitigen Dokument eindampften. Wer diesen exklusiven Kreis ernannt hat und nach welchen Kriterien, bleibt im Dunkeln. Der Gegensatz zu der in Punkt 1.2 der Tischvorlage für sich reklamierte «offene und transparente Kommunikationskultur» könnte augenfälliger kaum sein.

Auch Punkt 2.2.7 hat es in sich, der dem Bischof gleich eine Art Selbstdemontage aufnötigt: «Ebenso setzt er sich dafür ein, dass die ‹Machtfülle des Bischofsamts› kritisch überprüft und begrenzt wird.» Als ob hierzulande die Bischöfe nicht schon längst von zig Beratungsgremien und sich dank ihrer Kirchensteuerhoheit als Para-Hierarchie aufspielenden Kantonalkirchen ferngesteuert würden. Und als ob das II. Vatikanische Konzil die Stellung des Bischofs nicht bewusst gestärkt hätte – sowohl nach unten gegenüber oft staatlich erzwungener Nominations- und Wahlrechte wie auch nach oben gegenüber dem Papst («Als Nachfolger der Apostel steht den Bischöfen in den ihnen anvertrauten Diözesen von selbst jede ordentliche, eigenständige und unmittelbare Vollmacht zu, die zur Ausübung ihres Hirtenamtes erforderlich ist [...] die Bischöfe erfreuen sich nämlich der Fülle des Weihesakramentes», vgl. das Dekret Christus Dominus 8 resp. 15).

Wo bleibt die Repräsentativität?
Ein zentraler Punkt ist die Frage nach der Repräsentativität. Im Bistum Chur haben gerade einmal 0,27 Prozent der erwachsenen Katholikinnen und Katholiken an der Online-Umfrage zum synodalen Prozess teilgenommen (= 1,472 Personen). Im Bistum Basel waren es 0,66 Prozent, im Bistum St. Gallen 0,54 Prozent. Auf dieses unterirdische Ergebnis angesprochen, meinte Bischof Bonnemain: «Es geht nicht um Repräsentativität, sondern darum, die Stimme der Gläubigen zu erfassen, sofern sie bereit sind, sich zu äussern» (vgl. Interview mit swiss-cath.ch). Da macht sich der Churer Diözesanbischof gleich in zweifacher Hinsicht etwas vor: Zum einen geht es sehr wohl um Repräsentativität, wenn man wie vorliegend der Fall den Anspruch erhebt, die Stimme der «Kirche Schweiz» in den weltweiten synodalen Prozess einbringen zu wollen. Zum andern ist das blamable Teilnahme-Ergebnis nicht auf die fehlende Bereitschaft des Kirchenvolkes zurückzuführen. Ursache ist vielmehr das ebenso aufwendige wie komplizierte Umfrageverfahren, das auf weite Teile des kirchlichen Fussvolkes zwangsläufig abschreckend wirken musste.

In einer von der Theologischen Fakultät der Universität Luzern genehmigten wissenschaftlichen Arbeit wurde der Umfrageprozess im Bistum Basel und im deutschweizerischen Teil des Bistums Sitten analysiert. Der Befund: «Die Hürden der Befragung waren so kompliziert und intransparent, dass die Basis des Volk Gottes nicht erreicht werden konnte. Die Antwortmuster, d. h. ähnliche Bemerkungen unabhängig von der eigentlichen Frage, wiesen darauf hin, dass die Befragung für die Interessen der Befragten instrumentalisiert wurde. Die Ergebnisse der Befragung sind nicht repräsentativ und geben daher kein Bild der Gesamtheit der Meinungen der katholisch Getauften wider. Die zentrale Fragestellung des synodalen Prozesses, wie das gemeinsame Gehen auf den verschiedenen Ebenen der Verkündigung des Evangeliums auszugestalten ist, wurde gar nicht beantwortet.» Wer wie der Unterzeichnete selbst an der Online-Befragung der Diözese Chur teilgenommen hat, kann diesen Befund nur bestätigen: Es war eine Bussübung, wie sie einem vorkonziliaren Beichtspiegel alle Ehre gemacht hätte. Im Klartext: Die Funktionärskaste der Kantonalkirchen hat im Verbund mit Exponentinnen und Exponenten der bischöflichen Verwaltungen dafür gesorgt, dass die Umfragebox just jene Antworten ausspuckte, die man im vornherein haben wollte. Im Soziologen-Jargon gesagt: ein klassischer Fall einer «self fulfilling prophecy».

Irritierend auch die Reaktion von Bischof Bonnemain auf die Frage, ob sich nicht doch ein wenigstens partieller Einbezug des kirchlichen Fussvolkes bewerkstelligen liesse: «Das Verfahren dauert nun schon mehr als ein Jahr. Heute ging es darum, die Ergebnisse der Umfrage und der diözesanen Versammlungen durch die Beratungsgremien des Bistums zu präzisieren. Wollten wir die Gläubigen beteiligen, wären wir wieder am Anfang. Das will ich nicht.» Dabei geht es gar nicht darum, auf Feld 1 zurückzukehren, sondern darum, gewisse der übers Knie gebrochenen Umsetzung geschuldeten Fehlentwicklungen im weiteren Verlauf des weltweiten synodalen Prozesses zu korrigieren.

Papst Franziskus hat seine am 15. Oktober 2022 angekündigte Verlängerung des synodalen Prozesses wie folgt begründet: «Die Synode ist kein Ereignis, sondern ein Prozess. In ihm ist das ganze Volk Gottes aufgerufen, gemeinsam auf das Ziel zuzugehen, das es mit der Hilfe des Heiligen Geistes als Willen Gottes für seine Kirche erkennt.» Ein Wink mit dem Zaunpfahl an die Bischöfe auf der ganzen Welt!
Fazit: Da harrt ein gewaltiges Optimierungspotenzial seiner Umsetzung!


Niklaus Herzog
swiss-cath.ch

E-Mail

Lic. iur. et theol. Niklaus Herzog studierte Theologie und Jurisprudenz in Freiburg i. Ü., Münster und Rom.


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    Daniel Ric 31.10.2022 um 13:16
    Ich stimme Herrn Stadler zu, dass viele Fragen, die im Rahmen der jetzigen kirchenpolitischen Diskussionen besprochen werden, bereits seit Jahrzehnten zur gesellschaftlichen Realität gehören. Wenn ein Verantwortungsträger der Kirche wirklich glaubt, die Menschen würden sich mehr für den Glauben interessieren, indem solche Themen ins Zentrum gerückt werden, täuscht er sich. Themen wie Homosexualität, Gender, etc. leiden ohnehin daran, dass sie die allermeisten Menschen nicht tangieren. Dass solche Themen trotzdem so stark in der Öffentlichkeit präsent sind, zeigt die Krise der Demokratie auf, in der sich die meisten westlichen Staaten befinden. Wirkliche Probleme wie die demographische Zeitbombe, die wirtschaftliche Ungleichheit und die psychische Belastung vieler Menschen werden nicht angegangen, währenddem Randthemen, die nur eine kleine Minorität betreffen, die gesellschaftliche Debatte dominieren. Die Kirche wird nicht an Attraktivität gewinnen, wenn sie nun den gleichen Fehler macht und Randthemen besetzt, die zwar momentan mediale Aufmerksamkeit geniessen, jedoch das Leben der allermeisten Katholiken nicht betreffen.
  • user
    stadler karl 30.10.2022 um 13:51
    Die Hauptschwierigkeit wird daran liegen, die einfachen Leute, die in erster Linie geeignet wären, ein authentisches Bild dahingehend nachzuzeichnen, was die tragenden religiösen Bedürfnisse der Menschen sind, an den Tisch zu bekommen. Die Organe der staatskirchenrechtlichen Körperschaften werden diese Erwartungen, trotz allem sehr wertvollen Engagement, nur schwer erfüllen können. Erstens gehört dies, bezogen auf die geltenden Kirchenordnungen, nicht zu ihrem Aufgabenbereich und zweitens sind sie in der breiten Menge der Kirchenangehörigen in keiner Weise tiefer und sensibler verwurzelt als viele andere Mitglieder es auch wären.
    Auffallend ist doch, dass ein nicht unerheblicher Teil dieser Umfrage sich mit Fragen befasste, die im säkularen gesellschaftspolitischen Geschehen inzwischen längst debattiert werden und dass die Kirchen, nachdem diese im Verlaufe der letzten Jahrzehnte im westeuropäischen Kulturkreis gesellschaftlich und politisch massiv an Einfluss verloren haben, so auch die katholische Kirche, viel mehr von Seiten der säkularen Gesellschaft beeinflusst wird als umgekehrt die Gesellschaft von den Kirchen.
    Es wird also kein leichtes Unterfangen sein, die gewöhnlichen, aber formell Angehörigen der Kirche an den Tisch zu bekommen und ein repräsentatives Echo aus dem Volk zu bekommen. Vieles deutet jedoch darauf hin, dass das religiöse Bedürfnis der breiten Basis der Gläubigen vor einigen Jahrzehnten, als der Einfluss der kirchlichen Elite in Politik und Gesellschaft immer noch erheblich war, durch die damaligen Entscheidungsträger nicht authentischer abgebildet wurde. Die Distanz zwischen Basis und Hierarchie war teilweise enorm. Und auch heute spricht sehr vieles dafür, dass die ewigen Debatten um Strukturreformen, Gleichberechtigung, Sexualmoral etc., welche von den Meinungsführerinnen und Meinungsführern in der Kirche und deren Umfeld geführt werden und gewiss auch wichtig sind, jedoch im Grunde Themen beinhalten, die aus dem säkularen Umfeld in die Kirche hinein getragen werden, die eigentlich sinnstiftenden Bedürfnisse und Sehnsüchte in der religiösen Befindlichkeit der Menschen kaum wirklich berühren. Die Theologenschaft wird diese Einschätzung allerdings nicht teilen wollen.