Symbolbild. (© Fotolia)

Hintergrundbericht

Ster­be­hilfe: Prä­si­dent Macrons zwei­ter Streich

Nach­dem Frank­reich letzte Woche die «Frei­heit zur Abtrei­bung» in der Ver­fas­sung ver­an­kert hat, plant der Prä­si­dent der Repu­blik, Emma­nuel Macron, bereits den nächs­ten Angriff auf das Leben.

In einem Exklusivinterview mit der Zeitung «La Croix» erklärt er, das neue Gesetz zur Sterbehilfe sei «als ein Gesetz der Geschwisterlichkeit gedacht, das die Autonomie des Individuums mit der Solidarität der Nation in Einklang bringt».

Die Stellungnahme des «Comité consultatif national d'éthique» (Nationale Ethikkommission), die Arbeit des Bürgerkonvents und Gespräche mit Patienten, Familien, Pflegeteams hätten aufgezeigt, dass das aktuelle Gesetz[1] zu vielen Fortschritten geführt hat, aber nicht genügt, wenn es um menschlich sehr schwierige Situationen geht. Macron verweist auf Fälle von Krebspatienten im Endstadium, die «zum Teil gezwungen sind, ins Ausland zu reisen, um begleitet zu werden». Es sei also notwendig, noch weiter zu gehen. Im Gesetzestext kommt weder der Begriff «Euthanasie» noch «assistierter Suizid» vor. «Wir haben uns für den Begriff Sterbehilfe entschieden, weil er einfach und menschlich (simple et humain) ist und gut definiert, worum es sich handelt», erklärte Macron. Fakt ist jedoch, dass der Gesetzesentwurf sowohl Euthanasie als auch assistierten Suizid vorsieht.

Gemäss Gesetzesentwurf müssen Patienten nachweisen, dass sie die folgenden Voraussetzungen erfüllen: Sie müssen volljährig und urteilsfähig sein und an einer unheilbaren Krankheit leiden, die unerträgliches physisches oder psychisches Leiden verursacht und kurz- oder mittelfristig lebensbedrohlich ist. Patienten mit psychiatrischen Erkrankungen oder neurodegenerativen Erkrankungen, die die Urteilsfähigkeit beeinträchtigen, wie Alzheimer, sind von der Sterbehilfe ausgeschlossen.

Ein Ärztekollegium prüft, ob diese Kriterien erfüllt sind, und entscheidet innerhalb von zwei Wochen, ob dem Patienten ein tödliches Produkt verschrieben werden kann. Sollte das Ärztekollegium den Antrag ablehnen, sieht der Gesetzesentwurf vor, dass der Patient ein anderes Ärzteteam anfordern oder gerichtlich gegen den Entscheid vorgehen kann.

Wenn der Patient ausreichend selbstständig ist, muss er die tödliche Substanz selbst nehmen (medizinisch assistierter Suizid). Ist der Patient dazu körperlich nicht in der Lage, kann ihm die tödliche Substanz von einem Angehörigen, einem Arzt oder einer Pflegeperson verabreicht werden (aktive Sterbehilfe). Das Rezept bleibt drei Monate lang gültig. Innerhalb dieses Zeitraums kann der Patient seine Meinung jederzeit ändern.

Die aktive Sterbehilfe soll von den Krankenkassen finanziert werden. Dies sei «eine Art zu zeigen, dass die Gesellschaft die Kranken und Gebrechlichen begleitet und den Teil des Lebens anerkennt, der bis zur letzten Sekunde vollständig und absolut ist».

Ausbau der Palliativmedizin in Aussicht gestellt
Ein Abschnitt im Gesetzentwurf betrifft die Palliativmedizin, die in Frankreich erst unzureichend ausgebaut ist. Noch bevor das Gesetz verkündet wird, will Macron Ende März eine «Zehnjahresstrategie» vorstellen. Diese sieht unter anderem vor, die 21 Departements, in denen es noch keine Palliativstationen gibt, mit einer Palliativstation auszustatten. Es sollen zudem die mobilen Palliativteams gestärkt werden, die Spitäler, Altersheime oder auch Hausärzte bei der Betreuung von Patienten am Lebensende unterstützen. Besondere Anstrengungen sollen die pädiatrische Palliativversorgung und die Entwicklung von Netzwerken, die die Begleitung zu Hause gewährleisten, betreffen.
Aktuell wendet Frankreich jährlich rund 1,6 Milliarden Euro für die Palliativmedizin auf. In den nächsten zehn Jahren verpflichtet sich der Staat, zusätzlich 1 Milliarde Euro zu investieren. Präsident Macron verspricht, die Palliativmedizin wieder in den Mittelpunkt der Betreuung zu stellen.

Der Gesetzesentwurf wird im April 2024 dem Ministerrat vorgelegt und soll im Mai in erster Lesung verabschiedet werden. Es wird jedoch von einem längeren parlamentarischen Prozess ausgegangen.
 


Kritik vom Vorsitzenden der Bischofskonferenz
Der Vorsitzende der Französischen Bischofskonferenz, der Erzbischof von Reims, Éric de Moulins-Beaufort, kritisierte in einem Interview mit «La Croix» den Gesetzesentwurf. «Was angekündigt wird, führt unser Land nicht zu mehr Leben, sondern zum Tod als Lösung für das Leben.» Die Franzosen würden das Lebensende nicht auf die gleiche Weise betrachten, wenn die Palliativpflege überall Realität wäre. «Unser Land sollte seit dem Claeys-Leonetti-Gesetz ein Land sein, das im Bereich der Palliativmedizin führend ist. In seinem Interview mit La Croix präsentiert der Präsident der Republik jedoch einen ausgearbeiteten Text über die sogenannte Sterbehilfe, aber über die Palliativmedizin nur vage Versprechungen mit einer völlig ungefähren Bezifferung.» Er weist darauf hin, dass die Palliativpflege in den letzten Jahren nicht ausgebaut wurde, sondern im Gegenteil die Mittel mehrerer bestehender Dienste weiter gekürzt wurden. Der Vorsitzende der Bischofskonferenz attestiert Macron, sehr «geschickt» zu sein. Es gelingt Macron, den Begriff der Geschwisterlichkeit, der den Bischöfen wichtig ist, im angekündigten Gesetzentwurf einzufügen. Doch: «Es ist eine Täuschung, einen Text als ‹Gesetz der Geschwisterlichkeit› zu bezeichnen, der sowohl dem assistierten Suizid als auch der Euthanasie den Weg öffnet.» Und Éric de Moulins-Beaufort warnt eindrücklich: «Man muss kein Christ sein oder an Gott glauben, um die Gefahr zu begreifen, die besteht, wenn sich eine Gesellschaft daran beteiligt, ein Menschenleben zu beenden.»

Der Bischof von Nanterre, Matthieu Rougé erklärte im Interview mit «France Inter», man kann nicht von Geschwisterlichkeit sprechen, wenn man auf das Leiden mit dem Tod antwortet.

Heftige Kritik auch von Seiten der Pflegenden
Mit «Bestürzung, Wut und Trauer» haben verschiedene Pflegeverbände[2] das Interview des Staatspräsidenten zur Kenntnis genommen. In einer gemeinsamen Pressemitteilung kritisierten sie, dass diejenigen, die dieses «Sterbehilfe»-Gesetz anwenden müssen, weder in die Ausarbeitung des Gesetzes einbezogen noch zum Gesetzesentwurf konsultiert wurden. Macron anerkenne die Leistung der Pflegenden nicht an und behaupte, die Palliativmedizin und Sterbehilfe seien kein Gegensatz, «obwohl die Palliativmediziner immer wieder betonen, dass es nicht ihre Aufgabe ist, den Tod herbeizuführen». Seine Ankündigungen betreffend Ausbau der Palliativmedizin erachten sie als «lächerlich»: «Emmanuel Macron kündigt eine Erhöhung des Jahresbudgets für Palliativmedizin um 6 % an, obwohl 50 % der Patienten keinen Zugang zu einer angemessenen Begleitung haben.»

Der Pflegeverbände kritisieren eine mangelnde Rücksichtnahme auf gefährdete und ältere Menschen, die als erste von dieser Regelung betroffen wären. Zudem werden die Auswirkungen des herbeigeführten Todes auf die Angehörigen und die Gesellschaft nicht thematisiert, ebenso wenig die Schuldgefühle eines Angehörigen oder Betreuers, der den Tod herbeigeführt hat.

In Würde zu sterben ist ein legitimes Anliegen, das von der Palliativmedizin unterstützt wird. «Die Kranken abschaffen, um das Problem kostengünstig zu beseitigen», das sei die eigentliche Aussage des Gesetzesentwurfs. Das Pflegekollektiv wird in den kommenden Tagen zusammenkommen, um den gemeinsamen Widerstand gegen das vorgesehene Gesetz zu besprechen.

 

2023 legte ein «Bürgerkonvent» einen Bericht zu Sterbehilfe und -begleitung vor. 75,6 Prozent der Delegierten sprachen sich für eine Lockerung der geltenden Regeln zu aktiver Sterbehilfe und Beihilfe zum Suizid aus. 23,2 Prozent sprachen sich gegen jede Öffnung in der Frage aus.

 


[1] Das aktuelle «Claeys-Leonetti-Gesetz» aus dem Jahr 2016 sieht die Möglichkeit einer tiefen und kontinuierlichen Sedierung unheilbar kranker Menschen bis zu ihrem Tod vor. Voraussetzungen sind, dass sie stark leiden und ihr nahes Lebensende absehbar ist; es muss auch eine Einverständniserklärung vorliegen.
[2] Unterschrieben wurde die Pressemitteilung unter anderem von der «Association Française des Soins Oncologiques de support», «Association Nationale Française des Infirmier.e.s en pratiques avancées», «Association des Psychologues Cliniciens et des Psychologues Psychothérapeutes», «Société Française de Gériatrie et Gérontologie», «Syndicat National des Professionnels Infirmiers» und der «Société française de Soins Palliatifs Pédiatriques»

 


Rosmarie Schärer
swiss-cath.ch

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Rosmarie Schärer studierte Theologie und Latein in Freiburg i. Ü. Nach mehreren Jahren in der Pastoral absolvierte sie eine Ausbildung zur Journalistin und arbeitete für die Schweizerische Kirchenzeitung SKZ.


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