Wer die Eingangshalle der Universität Fribourg betritt, stösst bei genauerem Hinsehen auf eine Bronzetafel. «VIR FIDELIS IN TEMPORE INFIDELI»: Treu in treuloser Zeit, so lautet kurz und prägnant die Überschrift. Sie gilt dem Jesuitenpater Rupert Mayer und trifft damit punktgenau den Kern dieser herausragenden Priesterpersönlichkeit in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Geboren wurde Rupert Mayer, der später zum populärsten Priester Bayerns werden sollte, am 23. Januar 1876 in Stuttgart: Diaspora pur – 88 Prozent der Bevölkerung waren damals Lutheraner. Schon früh zeigten sich für ihn typische Charakterzüge: Entschlossenheit und Kampfeslust. Wurde er von seinen protestantischen Mitschülern gehänselt und verspottet, gab er keineswegs klein bei, sondern konnte schnell einmal handgreiflich werden, was ihm handkehrum Respekt eintrug.
Seinem Wunsch, Jesuit zu werden, stand in Deutschland das aus der Bismarckzeit stammende Jesuitenverbot im Weg. Sein Noviziat musste er deshalb in Vorarlberg und in Holland absolvieren. Schon bald erkannten die Ordensoberen von Pater Rupert dessen ausgesprochene Fähigkeit, die Sorgen und Nöte der einfachen Leute zu erspüren und ernst zu nehmen. Sie sandten ihn deshalb als Volksmissionar nach Österreich und in die Schweiz. Als der Erste Weltkrieg ausbrach, meldete er sich unverzüglich als Feldgeistlicher an die Front, barg Verwundete inmitten des Geschützfeuers, bis es ihn selbst traf. 1916 zerfetzte eine Granate sein linkes Bein; es musste amputiert werden. Zuvor war er für seinen vorbildlichen Einsatz an der Westfront mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse ausgezeichnet worden.
Im Nachkriegselend Münchens war seine erfindungsreiche Tatkraft gefragter denn je: Mit Brotgutscheinen, Kohlenlieferungen und Arbeitsvermittlungen unterstützte er die darbende Arbeiterschaft, hielt bis zu 70 Predigten im Monat, sass trotz schmerzhafter Kriegsverletzung samstags bis zu sieben Stunden im Beichtstuhl. Sein Leitmotiv lautete: «Es muss Wärme von uns ausgehen, den Menschen muss es in unserer Nähe wohl sein. Und sie müssen fühlen, dass der Grund dazu in unserer Verbindung mit Gott liegt.»1
Unerschrockener Verteidiger des Glaubens
Pater Rupert Mayer war insofern ein Kind seiner Zeit, als er das gnadenlose Abschlachten im Ersten Weltkrieg nie kritisch hinterfragte, sich zeitlebens als strammer Patriot sah und ebenso wenig den Ursachen des steilen Aufstiegs der Nazis auf den Grund ging. Aber er hat – im Gegensatz zu den meisten Politikern, Intellektuellen und manchen Kirchenführern – mit luzidem Blick frühzeitig das verheerende Zerstörungspotenzial des Nationalsozialismus erkannt und den Mut gehabt, diesem neuzeitlichen Leviathan unter Lebensgefahr öffentlich mit den Waffen des Geistes entgegenzutreten. Als die Nazis 1923 im Münchner Bürgerbräukeller eine Propaganda-Schau mit dem provozierenden Titel «Kann ein Katholik Nationalsozialist sein?» inszenierten, nahm auch Pater Rupert daran teil. Der populäre Seelsorger wurde als schwerverwundeter und dekorierter Kriegsveteran mit Beifall begrüsst. Doch als er auf die Bühne stieg und die Worte in den Saal rief: «Sie haben mir zu früh applaudiert, denn ich werden Ihnen klar sagen, dass ein deutscher Katholik niemals Nationalsozialist sein kann»1, brach ein Tumult aus. Und als die Pöbeleien der aufgehetzten Menge nicht enden wollten, schleuderte er ihr die Worte entgegen: «Den Hass kennt das Christentum nicht! Grundfalsch ist, dass das Evangelium nur für die Germanen da sei. Christus hat gesagt: Gehet hinaus in alle Welt und lehret alle Völker.»1. Dem Versammlungsleiter blieb nichts anderes übrig, als ihm das Wort abzuschneiden und einem SA-Trupp den Auftrag zu erteilen, den Gottesmann vor der Wut des Pöbels zu schützen, denn einen solchen Märtyrer hätten die Nazis damals nicht gebrauchen können.
Es gehört zu den bewundernswerten Eigenschaften von Pater Rupert Mayer, dass er auch nach der Machtergreifung der Nazis im Jahre 1933 unerschrocken und kompromisslos die Menschenwürde und die Freiheit der Kirche öffentlich gegen den sich immer totalitärer gebärdenden Staat verteidigte. 1936 wurde Pater Rupert erstmals von der Staatsanwaltschaft verwarnt, 1937 erteilte ihm die Gestapo für das ganze Reichsgebiet ein Redeverbot – das der Jesuitenpater schlicht ignorierte. Es folgten Verhaftung und Prozess vor dem Münchner Sondergericht. Die Richter hatten sich noch einen Rest der abendländischen Rechtskultur bewahrt, waren noch keine Blutrichter wie der spätere Volksgerichtshof-Scherge Roland Freisler, sondern liessen sich auf einen Disput mit dem Angeklagten ein – und lernten dabei nicht nur einen furchtlosen, sondern auch einen ausgesprochen schlagfertigen Gottesmann kennen. Auf den Vorwurf, er habe den gehbehinderten Reichspropagandaminister Goebbels beleidigt, weil er auf der Kanzel mehrfach den Satz ausgesprochen hatte: «Die Lüge hinkt durch die Welt»1, entgegnete Pater Rupert maliziös, Goebbels könne er nicht gemeint haben, denn die Richter wollten doch nicht ernsthaft behaupten, dass Goebbels lüge. Die anschliessende Gefängnisstrafe wurde bald wieder aufgehoben, Pater Rupert fuhr aber unbeirrt fort, seine Überzeugung kundzutun. Da riss der Gestapo der Geduldsfaden und überstellte ihn 1939 kurzerhand in das Konzentrationslager Sachsenhausen. Dort litt er unter kaum mehr erträglichen Schmerzen an seinem wunden Beinstumpf und magerte auf lebensbedrohliche 50 Kilo ab. Und wiederum wollten die Nazis verhindern, dass ihnen ein so populärer Märtyrer ins Haus stehen würde. Die Gestapo handelte deshalb mit der Münchner Kirchenleitung eine Vereinbarung aus: Pater Rupert Mayer konnte das KZ verlassen, wurde aber in das entlegene Benediktinerkloster Ettal verbannt, wo er weder die Messe lesen noch die Beichte hören durfte.
Aktuelles Vorbild
«Seitdem bin ich lebend ein Toter, ja dieser Tod ist für mich, der ich noch so voll Leben bin, viel schlimmer als der wirkliche Tod, auf den ich schon so oft gefasst war.»2 Mit diesen Worten kommentierte Pater Rupert die ihm aufgezwungene Tatenlosigkeit. Als 69-Jähriger konnte er nach Kriegsende ins zerbombte München zurückkehren. Obwohl ein physisch gebrochener Mann, wurde er wieder rastlos tätig, predigte so oft es ging, organisierte Unterkünfte und Lebensmittel. Mitten in einer solchen Predigt erlitt Pater Rupert an Allerheiligen 1945 bei der Messfeier am Altar einen Hirnschlag3. Ohne noch ein Wort sprechen zu können, blieb er minutenlang aufrecht stehen, gehalten von seiner Oberschenkelprothese, bis ihn die Mitbrüder aus der Kirche trugen. Als sich in Windeseile die Todesnachricht in der Stadt verbreitete, machte in der Bevölkerung das Diktum die Runde: «Unser Pater Mayer ist niemals umgefallen – nicht einmal im Sterben.»1 Am 3. Mai 1987 sprach ihn Papst Johannes Paul II. im Olympiastadion München selig.
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