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Weltkirche

Welt­ge­bets­tag mit Misstönen

Am 1. März wird der Welt­ge­bets­tag (WGT) in über 150 Län­dern gefei­ert. Vor­be­rei­tet wurde er die­ses Jahr von Chris­tin­nen aus Paläs­tina – lange vor dem Über­fall der Hamas auf Israel am 7. Okto­ber 2023. Durch die­sen erhielt die Lit­ur­gie unge­ahnte Aktua­li­tät und geriet schnell in die Kritik.

Die Liturgie des Weltgebetstages zeichnet sich dadurch aus, dass die Frauen des Vorbereitungslandes konkret über ihren Glauben, ihr Leben und ihre Hoffnungen sprechen. Doch kann man angesichts der Ereignisse in Israel und Palästina beten: «Gott des Friedens», wir beten für gemeinsame Anstrengungen für eine gerechte Lösung der anhaltenden Unterdrückung und für ein Ende der israelischen Besetzung»?

«Christlicher Antisemitismus schlimmster Art»
Der «Deutsche Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit» fand in seiner «Stellungnahme» vom 30. Oktober 2023 deutliche Worte: «Palästina wird als ‹Wiege des Christentums› beschrieben, dabei bleibt unerwähnt, dass Jesus Jude war, sein komplettes Umfeld jüdisch. Der jüdische Kontext des Christentums wird ausgeblendet, um dann eine direkte Linie Jesu zur Christenheit heute zu ziehen – das ist christlicher Antisemitismus schlimmster Art.» Das Titelbild stammt von der deutsch-palästinensischen Künstlerin Alima Haziz, der eine «erkennbare Solidarität» mit der Terrorgruppe Hamas vorgeworfen wird. In der Meditation zum Titelbild wird das Rot der Blumen als «das Blut, das in Kämpfen für Land und Freiheit floss», gedeutet; die Schlüssel am Hals der Frauen sind die Symbole für die ersehnte Rückkehr in die verlassenen Häuser und die Unversöhnlichkeit im Blick auf Israel. Selbst Kinder werden in antiisraelische Propaganda einbezogen, da die als Kinder-Ausmalbilder angebotene «Handala»-Vorlage gemäss dem Koordinierungsrat «im Original antisemitische, israel-feindliche Stereotypen in unverantwortlicher Weise» bedient.

Unterschiedliche Reaktionen in Deutschland und Österreich
Das WGT-Komitee in Deutschland reagierte. Absagen wollte man die Liturgie nicht. «Wann, wenn nicht jetzt sollten christliche Frauen aller Konfessionen sich weltweit zu Friedensgebeten versammeln?» fragte die katholische Vorstandsvorsitzende des WGT, Ulrike Göken-Huismann. So entschloss man sich dazu, die Liturgie an manchen Stellen zu ändern. Es gehe nach wie vor darum, die Stimme der christlichen Palästinenserinnen hörbar zu machen, von ihrem Glauben, ihrem Alltag und der Friedenssehnsucht nach mehr als 50 Jahren israelischer Besatzung zu erzählen, erklärte die evangelische Vorstandsvorsitzende des WGT, Brunhilde Raiser.

Das deutsche WGT-Komitee entschied sich auch dafür, das oben erwähnte Titelbild zu ändern, «da der Vorwurf, sie sei Hamas-freundlich, nicht ausgeräumt werden konnte».

Der Vorstand des Weltgebetstags Österreich zeigt sich in seiner Stellungnahme vom 12. Dezember 2023 «erschüttert vom Ausmass der Gewalt, die den Nahen Osten erfasst hat.» Doch er ist der Meinung, dass die Liturgie, die christliche Frauen aus sechs verschiedenen Kirchen in Palästina erarbeitet haben, getragen ist vom Wunsch nach Frieden und Versöhnung. «Darin geäusserte Kritik richtet sich ausschliesslich gegen die politische Führung Israels und terroristische Organisationen.» Somit bleibt die Liturgie unverändert. Hingegen wird das Titelbild wie in Deutschland nicht mehr verwendet, «denn es enthält Elemente, die in einer Art und Weise interpretiert werden können, wie wir sie nicht verstanden wissen wollen». Das Liturgie-Heft erhält einen Umschlag mit einem schwarzen Feld, wodurch nochmals auf die Problematik verwiesen wird.

Am 18. Januar 2024 erklärten die Verantwortlichen des WGT in Österreich», dass der Weg, den die Frauen in Deutschland gehen, nicht mit dem WGT-Komitee Palästinas im Einklang stehe und von ihnen nicht mittragen werden könne. Sie raten explizit davon ab, die «Änderungen bzw. Ergänzungen vom WGT Deutschland zu übernehmen», denn, so wortwörtlich, «es besteht keine Notwendigkeit». Sie publizieren Auszüge aus einem Brief der Frauen des WGT-Teams in Palästina. Diese schreiben unter anderem: «In dieser schwierigen Zeit appellieren wir erneut an die Wichtigkeit einer respektvollen Zusammenarbeit und bitten darum, unsere Perspektive und unsere Herausforderungen angemessen und ungeschmälert zu berücksichtigen. Das haben ja Österreich und die Schweiz gemacht, indem sie unsere originale Liturgie verwenden. Dafür sind wir sehr dankbar, unsere gemeinsame Zielsetzung sollte darin bestehen, eine Liturgie zu haben, die die reiche Vielfalt und die authentischen Stimmen unserer palästinensischen Gemeinschaft widerspiegelt. Vielen Dank für euer Gebet für die Menschen im Heiligen Land.»

Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz geht eigenen Weg
Der «Rat der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz» (EKS) zeigte sich in seiner Medienmitteilung vom 12. Dezember 2023 besorgt über die Polarisierung, die der Krieg in Israel/Palästina auch in der Schweiz hervorruft. Er fühlt sich mit den palästinensischen Kirchen und ihrem Engagement für alle Palästinenserinnen und Palästinenser verbunden, ist aber zugleich entsetzt über «den menschenverachtenden, brutalen Angriff der terroristischen Hamas auf jüdische Bewohnerinnen und Bewohner Israels». Der Rat EKS ist überzeugt, dass das gemeinsame Gebet über der Unversöhnlichkeit in der Welt steht und stellt sich deshalb hinter die Durchführung des ökumenischen Weltgebetstags. Gleichzeitig wendet sich der Rat EKS «konsequent gegen jede Instrumentalisierung des Gebetstags für eine einseitige Positionierung im gegenwärtigen bewaffneten Konflikt und in der politischen Situation im Nahen Osten». Dazu bietet er eine Handreichung.

In dieser «Handreichung» empfiehlt der Rat EKS, in der Liturgie den Begriff «Nakba» zu vermeiden, der er «ein politisch aufgeladener, mehrdeutiger und missverständlicher Begriff» sei. So ist er aktuell eng verknüpft mit der generellen Infragestellung der Existenz des Staates Israel. Umgekehrt wird der Begriff auch seitens der israelischen Rechten als Drohung einer ethnischen Säuberung gegen Palästinenser und palästinensisch stämmige Israelis genutzt.
Ebenfalls soll nach Möglichkeit auf das im Zusammenhang mit dem Titelbild erwähnte Schlüsselsymbol verzichtet werden. Zusätzlich bietet die «Handreichung» leicht geänderte Fürbitten.

WGT-Komitee der Schweiz hält an der umstrittenen Liturgie und Bild fest
Einen anderen Weg geht das WGT-Komitee der Schweiz. Auch dieses zeigt sich «erschüttert über den Terror der Hamas und entsetzt über die Brutalität und Gewalt, welche seit Oktober 23 im Nahen Osten eskaliert sind». Doch: «Aufbauend auf dem 100-jährigen Prinzip des weltweiten Weltgebetstages: Hinhören, nicht urteilen, nicht Partei ergreifen, vertreibt der schweizerische Weltgebetstag weiterhin die erarbeitete WGT-Liturgie 2024 mit dem originalen Titelbild.»
Im «Ankündigungstext» des Weltgebetstages heisst es ausdrücklich: «Seit dem Überfall der palästinensischen Hamas auf die israelische Bevölkerung wird jedes Wort über Palästina kritisch beurteilt. Die Verfasserinnen der Liturgie haben mit diesem schrecklichen Ereignis nichts zu tun; ihr Leben ist dadurch jedoch schwieriger geworden. Umso wichtiger ist es, ihren Stimmen Gehör zu schenken und ihre Vision zu teilen: ‹Güte und Treue finden zueinander, Gerechtigkeit und Frieden küssen sich› (Psalm 85,11)».

Im «Januarbrief» klingt es nicht mehr so absolut. So weist das Komitee z. B. auf andere Bilder hin, die für Plakate usw. verwendet werden könnten. Und sie übergeben die Verantwortung für die Gestaltung des Gottesdienstes an die regionalen Vorbereitungsgruppen: «Wir trauen euch etwas zu! Nämlich, dass ihr am besten wisst, was euren Mitfeiernden zugetraut werden kann und mit welcher Wortwahl wir alle NICHT zu antisemitischen aber ebenso NICHT zu antiarabischen Äusserungen und Handlungen beitragen.»
Diese Freiheit hat sich z. B. das Weltgebetsteam in Chur genommen und sich dafür entschieden, aufgrund der aktuellen Situation in Palästina/Israel und «weil uns das Thema Frieden gerade in verschiedenen Kontexten wichtig scheint», den Fokus nicht auf ein spezifisches Land zu legen, sondern auf das Thema Frieden.

Die christlichen Frauen aus Palästina, welche die Liturgie mit viel Engagement vorbereitet haben, kündigten auf Anfang Februar 2024 Ergänzungen an. Am 19. Februar wurde dann ein zusätzliches Gebet veröffentlicht, das als allgemeine Bitte um Frieden formuliert ist, aber auch den Satz enthält: «Wir beten für alle Familien, die Angehörige verloren haben, für die Verschleppten, die Vermissten und alle, die noch unter den Trümmern liegen.»

Mit der Erwähnung der «Verschleppten» werden auch die Opfer auf israelischer Seite einbezogen, was ein positives Signal ist; die Liturgie selbst bleibt hingegen fragwürdig, da sie den Weltgebetstag instrumentalisiert: In einem Konflikt nur eine Seite zu Wort kommen zu lassen, ist dem Frieden nicht förderlich.

 

Der 1927 gegründete Weltgebetstag ist die grösste weltweite ökumenische Frauenbewegung und feiert demnächst ihr hundertjähriges Bestehen. Zur Geschichte des Weltgebetstages siehe «Ich habe von eurem Glauben-gehört».


Redaktion


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Bemerkungen :

  • user
    Stefan Fleischer 25.02.2024 um 10:02
    Überall, wo die Kirche glaubt, Politik bereiben zu müssen, sind Auseinandersetzungen und Streit vorprogrammiert. Gerade Weltgebetstage etc. sollten sich dieser Gefahr bewusst sein und sich entsprechend verhalten. Wichtiger als das Gebet um Frieden unter uns Menschen wäre - immer nach meiner persönlichen Meinung - das Gebet für den Frieden von uns Menschen, jedem Einzelnen von uns, mit Gott.